Ein Mann der leisen Worte war Gilad Erdan noch nie. »Es ist an der Zeit, dass die Europäische Union anfängt, ihre Politik zu überprüfen«, so Israels Minister für öffentliche Sicherheit und strategische Angelegenheiten am Mittwoch vergangener Woche. »Statt sich weiter hinter bedeutungslosen Worthülsen zu verstecken, sollte man endlich die eigenen Richtlinien ernst nehmen und sofort aufhören, Organisationen zu unterstützen, die den Boykott gegen den Staat Israel vorantreiben.«
Anlass für seine Anschuldigungen war die Präsentation eines neuen Berichts seines Ministeriums. In The Money Trail: European Union Financing of Organizations Promoting Boycotts against the State of Israel werden auf 34 Seiten die finanziellen Zuwendungen der EU an Nichtregierungsorganisationen (NGOs) näher unter die Lupe genommen.
BDS-ORGANISATIONEN Namentlich sind darin zehn NGOs aufgelistet, die der BDS-Bewegung nicht nur ideologisch nahestehen, sondern auch aktiv an ihr beteiligt sein sollen. Die meisten davon haben ihren Sitz in den Palästinensischen Autonomiegebieten, alle übrigen in Norwegen, Italien, Frankreich und Irland.
Die EU-Vertretung in Israel verweist
auf die Meinungsfreiheit:
Jeder dürfe den Staat beleidigen.
Um an Informationen über Geldgeber, Summen und Empfänger heranzukommen, musste nicht gleich der Mossad losgeschickt werden – fast alle Daten sind über das EU-eigene Finanztransparenzsystem (FTS) online für jedermann einsehbar. Auch handelt es sich nicht um den ersten Bericht seiner Art, sondern um die aktualisierte Auflage einer bereits im Mai 2018 unter dem gleichen Titel erschienenen Publikation. Nur lautete damals die zweite Überschrift etwas dramatischer: »Millionen, die von EU-Einrichtungen an NGOs gingen, die Verbindungen zu Terror und Boykott gegen Israel unterhalten«. Jetzt ist nicht mehr von Terror, nur noch von Boykott die Rede, obwohl im Text selbst viel über zweifelhafte NGOs und ihre mangelnde Distanz zum Terror zu lesen ist.
Genau darüber war es im vergangenen Sommer zum medialen Schlagabtausch zwischen Gilad Erdan und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini gekommen, die recht verärgert auf die israelischen Vorwürfe reagiert hatte.
In der Neuauflage wird ein weiteres Mal betont, dass EU-Mittel nicht direkt in Projekte fließen, die im Zusammenhang mit dem Boykott gegen Israel stehen. Das mache die Sache aber keinesfalls besser. »Denn ferner sollte klar sein, dass Gelder hin- und hergeschoben werden können. Durch die Finanzierung von vordergründig legitimen Projekten von NGOs, die der BDS-Bewegung nahestehen, erhalten diese die Möglichkeit, finanzielle Ressourcen für die Delegitimierung und den Boykott des Staates Israel freizumachen.«
Darüber hinaus würde durch die EU-Förderung ihr Image aufgewertet, sodass andere Geldgeber schneller bereit sind, einen Scheck auszustellen. Kritisiert wurde gleichfalls ein Mangel an Transparenz. Denn die alimentierten NGOs, allen voran die palästinensischen, würden es mit ihren Finanzberichten nicht so genau nehmen. Man wisse nicht, was genau mit den Geldern geschieht.
BOYKOTT Der Bericht beschäftigt sich vor allem mit zwei prominenten palästinensischen Organisationen, und zwar Al-Haq in Ramallah, die Israel immer wieder vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen will und unter anderem Firmen, die im Rahmen von Infrastrukturprojekten in Israel und den besetzten Gebieten aktiv sind, mit Boykottforderungen unter Druck zu setzen versucht, sowie das Al-Mezan-Zentrum für Menschenrechte aus Gaza mit einer ähnlichen Agenda. Shawan Jabarin, seit 2006 Generaldirektor von Al-Haq, sei zudem Mitglied der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die die EU selbst als Terrororganisation auflistet. Beide NGOs erhielten zusammen jährlich 750.000 Euro. Von deutlich über fünf Millionen Euro ist in dem Bericht die Rede, die derartigen Gruppierungen von der EU insgesamt zur Verfügung gestellt würden.
»Nur weil eine Organisation oder Person irgendwie im Zusammenhang mit der BDS-Bewegung stehe, heißt das noch lange nicht, dass diese NGO in die Anstiftung zu illegalen Handlungen involviert ist und deswegen ungeeignet sei, EU-Fördermittel zu erhalten«, heißt es in einer ersten Reaktion der Vertretung der EU in Israel. Man teile keineswegs die israelischen Bedenken. »Wir haben bereits den früheren sogenannten Money Trail-Report des Ministeriums analysiert und sind dabei zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die darin genannten Anschuldigungen unbegründet und faktisch inkorrekt sind«, so ein EU-Sprecher.
Auch sei eine Einladung an die israelische Seite zu einem »produktiven Dialog über die Zivilgesellschaft, wie es der EU-Israel-Action-Plan vorsieht«, nie beantwortet worden. Ferner teilt die EU-Vertretung in Israel mit, dass man sich dem Prinzip der Meinungsfreiheit verpflichtet fühlt, was auch »Informationen und Ideen betrifft, die den Staat oder jeden Sektor seiner Bevölkerung beleidigen, schockieren oder verstören könnten. Jede Maßnahme, die die Bewegungsfreiheit für zivilgesellschaftliche Organisationen einschränkt, sollte daher vermieden werden«.
Ob die EU den neuen Bericht nun zum Anlass nehmen wird, ihre Förderpolitik zu überprüfen, darf bezweifelt werden. Was man aber jetzt schon ahnen kann: Das mediale Duell Erdan–EU wird wohl in die nächste Runde gehen.