Gelegentlich werden Menschen gefragt, mit wem sie gern einmal einen Tag lang tauschen würden. Und obwohl mir noch niemals eine solche Frage gestellt wurde, beantworte ich sie still und heimlich für mich: mit den Hunden von Tel Aviv!
Nein, ich sehne mich nicht danach, bei 40 Grad im Schatten im Husky-Kostüm herumzulaufen. Ich möchte auch nicht eines dieser winzigen Hündchen sein, welches, sobald eine Polle geflogen kommt, von seiner Besitzerin hochgerissen und angstvoll an die Brust gedrückt wird. Auch mit den mittel- bis sehr großen Hunden, die den ganzen Tag auf schmalen Balkonen oder an geöffneten Fenstern herumlungern müssen, weil ihre Besitzer arbeiten, möchte ich nicht eine Sekunde tauschen.
Dogsitter Ich wäre gerne eines der glücklichen Geschöpfe, das von einem Dogsitter mit Anstand und Würde durch den Wahnsinn der Tel Aviver Straßen ausgeführt wird. Jeder, der nach Tel Aviv kommt, wird diesen magischen Wesen früher oder später über den Weg laufen: jung, zumeist männlich, mehr oder weniger tätowiert, lange Haare zum Dutt oder Pferdeschwanz zusammengebunden, Riesenschlüsselbund mit Karabinerhaken am Hosenbund befestigt und – die Ruhe in Person. Nicht nur die Ruhe, ehrlicherweise ist es viel mehr als das. Das richtige Wort für die Tel Aviver Dogsitter lautet: Souveränität.
Immer wenn ich sie beobachte, sind sie vor allem eines: souverän. Sie haben in jeder Hand mindestens fünf Hundeleinen, sie zerren und reißen nicht, sie lassen sich auch nicht zerren und reißen, sie gehen einfach ihrer Wege, so, als wären sie mit den Hunden, die ihnen nicht gehören, eine Symbiose eingegangen, als wäre es das Normalste und Selbstverständlichste der Welt, mit einem bunt zusammengewürfelten Hunderudel in einer wilden Großstadt wie Tel Aviv Gassi zu gehen.
Ich bewundere diese Gabe zutiefst, fehlt sie mir doch gänzlich. Ich bin da eher wie mein Hund – er hüpft kreuz und quer. Dieses Benehmen machte mich ratlos. Weswegen ich mich eines Tages tatsächlich traute, einen der Dogsitter zu fragen, was mit meinem Hund los sei. Seine Antwort: »Mit Ihrem Hund ist alles in Ordnung. Es liegt an Ihnen!« »Was?«, fragte ich ungläubig zurück, was aber unbeantwortet blieb, denn für mein Gegenüber war unser Gespräch längst beendet. Hundesitter reden nicht viel, sie schweigen wie ihre Hunde.
Katzen Sie führen all die Labradore, Retriever und Mischlinge an anderen Hunden und Katzen vorbei, meist ohne ein Wort zu sagen. Sie halten an roten Ampeln, die Hunde setzen sich wie eine Eins an die Bordsteinkante, sie weichen Fahrradfahrern, Kinderwagen, E-Bikes, Scootern und Fußgängern aus, ohne in Hektik zu geraten. Ihr Geheimnis: Körpersprache.
Ein aufrechtes, selbstbewusstes Frauchen hat einen aufrechten, selbstbewussten Hund. Bin ich souverän, ist es mein Hund auch. Anders ausgedrückt: Will ich, dass mein Hund endlich vernünftig an der Leine durch Tel Aviv läuft, ohne mir regelmäßig den Arm auszukugeln, muss ich ihm das mit aller Dringlichkeit vermitteln.
Das Zauberwort heißt: »Nein«. Und vielleicht noch ein kleines »Komm!« hinterhergeschickt, aber das war es dann auch schon. Würden sich seine Hunde an ihren Leinen so daneben benehmen wie meiner, hätte der Dogsitter definitiv etwas falsch gemacht. Hat er aber nicht. Hat keiner von ihnen.
Jedenfalls habe ich in all den Jahren nicht einen erlebt, der die Nerven verloren hätte. Sie holen ihre Schützlinge nacheinander von zu Hause ab (daher dieser große Schlüsselbund), laufen mit ihnen 60 bis 90 Minuten durch Tel Aviv, danach werden sie in derselben Reihenfolge wieder zurückgebracht. Simpel. Souverän. Sagte ich schon, dass ich gerne einmal einen Tag lang mit diesen Hunden tauschen würde?