Irgendwie hat jeder Israeli eine Geschichte zu Leonard Cohen zu erzählen. »Immer wenn ich als Teenager Liebeskummer hatte, legte ich Songs of Leonard Cohen, sein allererstes Album, auf und hörte die Platte hoch und runter«, erinnert sich Dan Nimrod an den vergangene Woche verstorbenen Musiker.
»Vor allem ›Suzanne‹ und ›So long, Marianne‹ hatten es mir damals angetan«, so der heute 48-jährige Sales Manager aus Rischon LeZion. Und offensichtlich scheint es keine Frage des Alters zu sein, um von den Balladen des 1934 im kanadischen Montreal geborenen Künstlers fasziniert zu sein. »Nun hat ihn sogar mein 17-jähriger Sohn für sich entdeckt«, sagt Nimrod.
Auch für Ziv Prinz war Leonard Cohen stets präsent. »Für mich verkörperte er den einsamen Troubadour, der mit seiner unverwechselbaren Stimme eine ganz besondere und intime Atmosphäre schaffen konnte«, betont der 52-jährige Rechtsanwalt aus Tel Aviv. »Deswegen fand ich ihn auf der großen Bühne etwas deplatziert und habe nie eines seiner Konzerte besucht – obwohl sich dazu oft die Gelegenheit geboten hatte.«
boykotte Israel gehörte mehrfach zu den Stationen von Leonard Cohens Welt-Tourneen. Zuletzt begeisterte er am 24. September 2009 im Stadion von Ramat Gan 50.000 Fans. Davor und danach hatte es reichlich Ärger gegeben. Wie andere Künstler auch wurde der Musiker damals massiv von der Boykott-Bewegung unter Druck gesetzt, weil er in Israel auftreten wollte. In New York kam es deshalb bereits im Vorfeld bei einem Konzert zu Störungen. Doch anders als Elvis Costello oder Carlos Santana ließ sich Leonard Cohen nicht beirren. Er weigerte sich beharrlich, seinen Auftritt abzusagen.
»Komplizenschaft mit dem Apartheidstaat«, lautete daraufhin der Vorwurf. Und ein gleichfalls geplantes Konzert in Ramallah wurde in letzter Minute von den palästinensischen Veranstaltern abgesagt. Die Tatsache, dass sich Leonard Cohen mehrfach – auch finanziell durch Spenden für Friedensprojekte – für eine Versöhnung zwischen Israelis und Arabern eingesetzt hatte, schien die Feinde des jüdischen Staates nicht sonderlich zu interessieren.
Dabei war Leonard Cohen »israelsolidarisch«, bevor es den Begriff überhaupt gab. Als im Oktober 1973 der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, lebte er mit seiner Partnerin Suzanne Verdal und ihrem gemeinsamen Sohn Adam gerade auf der griechischen Insel Hydra. Sofort nahm der Musiker das nächste Flugzeug nach Tel Aviv, um »irgendwie vor Ort zu helfen«. Er fühle sich dem Überleben des jüdischen Volkes verpflichtet. Einen konkreten Plan hatte er aber nicht wirklich. Vielleicht in einem Kibbuz arbeiten, weil alle Männer gerade an der Front waren und deshalb jede Arbeitskraft gebraucht wurde. »Ich werde fahren und die ägyptischen Kugeln aufhalten«, schrieb er damals in einem Gedicht.
Dizengoff Doch wie so oft kam alles anders als geplant. In einem Café auf dem Dizengoff erkannte ihn der israelische Sänger Oshik Levi, ein erklärter Fan seiner Musik. Sie kamen ins Gespräch, woraufhin Levi ihm spontan einen Vorschlag machte: »Warum kommst du nicht mit mir und einigen meiner Freunde mit auf den Sinai? Wir treten dort gemeinsam vor Soldaten auf.«
Für einen Moment zögerte Leonard Cohen und fragte zurück, ob seine doch eher melancholischen Songs überhaupt geeignet seien, die Stimmung unter den Soldaten zu verbessern. Schließlich hatte der Überraschungsangriff der Ägypter und Syrer bereits viele Opfer gefordert und drohte anfänglich zu einer Katastrophe zu werden. »Ich erklärte ihm, dass das alles schon irgendwie okay sein wird«, erinnerte sich Oshik Levi dieser Tage in einem Interview mit dem Nachrichtenportal i24news.
Der Israeli selbst gehörte damals zu einer Band mit dem schönen Namen »Die Genfer Konferenz«, bei der auch bekannte Musiker wie Matti Caspi mitwirkten. Wochenlang tourten sie gemeinsam durch den Sinai, spielten bis zu acht Mal täglich vor Einheiten der israelischen Armee. Auf diese Weise kam auch das nunmehr berühmt gewordene Foto zustande, aufgenommen irgendwo in der Nähe des Suez-Kanals, das einen von Sandstaub bedeckten singenden Leonard Cohen zeigt, begleitet an der Gitarre von Matti Caspi inmitten einer Gruppe verschwitzter Soldaten. Und direkt neben ihm steht niemand Geringeres als Ariel Scharon.
sinai In diesen Tagen entstand auch einer von Leonard Cohens wohl berühmtesten Songs: »Lover, Lover, Lover«, den er verschiedenen Berichten zufolge in einigen der ruhigeren Momente auf dem Sinai auf ein Stück Papier gekritzelt hatte und dort erstmals auch öffentlich sang.
Bei einem Konzert in Tel Aviv 1980 hatte er noch erklärt, »dass die Würde und die Tapferkeit der israelischen Soldaten an der Front« ihn dazu inspiriert hätten. Bei späteren Auftritten widmete er das Lied dann sowohl den israelischen als auch den ägyptischen Soldaten. Auch das Stück »Who By Fire«, das gleichfalls auf dem 1974 erschienenen Album New Skins for the Old Ceremony erschien, war durch seine Erlebnisse während des Jom-Kippur-Krieges entstanden.
Leonard Cohens Engagement für den jüdischen Staat hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der Israelis eingeschrieben. Genau das erklärt auch, warum er Fans jeden Alters und unabhängig von der politischen Einstellung hatte. »Ich werde nie vergessen, wie er für die Soldaten im Jom-Kippur-Krieg gespielt hat«, sagte Regierungschef Benjamin Netanjahu nach Cohens Tod.
Und auf der Facebook-Seite von Reuven Rivlin und seiner Frau stand zu lesen: »Heute Morgen haben wir uns angesehen und hatten denselben Gedanken. ›Dance Me to the End of Love‹ war der Soundtrack für so viele Momente in unserem Leben als Paar und als Familie. Er gab, wie so viele seiner Lieder, unserem Alltag Tiefe und Gefühl.«