Es war der längste Stau des Wochenendes. Tausende Israelis reihten sich in die Blechlawine auf dem Weg zum Kibbuz Schfaim 20 Minuten nördlich von Tel Aviv ein, um einkaufen zu gehen. Sonderangebote gab es an diesem Freitagvormittag nicht, dafür Haushaltswaren, T-Shirts, Babykleidung, Honig, frisches Obst und Gemüse, Blumen oder Challot für den Schabbat. Alles Produkte aus dem Süden des Landes, der seit über einem Monat unter dem ständigen Beschuss aus dem Gazastreifen leidet. Mehr als 100 Einzelhändler und Landwirte boten ihre Waren an, und die Menschen aus dem Zentrum füllten ihre Taschen. Solidarität im Zeichen des Krieges.
Verschiedene Initiativen unterstützen mit der »Hilfe von Innen« die während der militärischen Auseinandersetzung mit der Hamas geschädigten Betriebe und Geschäfte. Besonders betroffen sind neben den Gemeinden im Süden auch Tourismuseinrichtungen im ganzen Land, wegen der wegbleibenden Gäste aus dem Ausland.
»Ich muss sowieso für das Wochenende einkaufen, dann kann ich es auch bei den Menschen machen, denen es im Moment schlecht geht«, erklärt Schoschi Levy ihren Besuch auf dem Basar für den Süden, der im Angesicht des Gazakrieges von der Bank Hapoalim in verschiedenen Städten Israels organisiert wurde. Für sie ist diese Art der direkten Hilfe ein jüdisches Prinzip. »Ich fülle meine Vorratskammer und tue etwas Gutes damit – das ist doch prima.«
Saison Die Bäckerei Dahani aus der Hafenstadt Aschdod hat Quiches, Kuchen und Challot aufgebaut. Zwar müssten die Menschen auch im Krieg essen, sagt Bäcker Schlomi, während er seinen Kunden die geflochtenen Schabbatbrote über den zur Theke umfunktionierten Tapetentisch schiebt. »Aber die Leute haben Angst, auf die Straße zu gehen, da verzichten sie schnell auf frische Ware.
Mehr als die Hälfte unserer Käufer bleibt weg.« Dieser Basar sei eine schöne Art, für etwas Ausgleich zu sorgen. Mehr als die Einnahmen in der Kasse zählt für Schlomi allerdings, dass die Israelis so offenkundig bereit sind, den terrorisierten Gemeinden in Zeiten der Not unter die Arme zu greifen.
Doch nicht nur der Süden leidet. Auch die Tourismusbetriebe sind von der Kriegssituation betroffen. In der Hochsaison stehen viele der normalerweise ausgebuchten Hotels und Ferienwohnungen leer, bleiben Restaurants auf ihren Speisen sitzen und vermelden Souvenirläden leere Kassen. Im Vergleich zum Juli 2013 kamen im vergangenen Monat 26 Prozent weniger Urlauber ins Land. In den letzten fünf Jahren war die Zahl noch nie so niedrig gewesen, gibt das Tourismusministerium an. »Wir bereiten uns auf die Zeit danach vor«, machte Minister Uzi Landau jetzt klar. Sofort nach Ende des Krieges wolle man in weltweite Marketingkampagnen investieren, um die Gäste wieder in Scharen ins Gelobte Land zu holen.
Ausflug Im Inland soll die Aktion »Dafka Israel«, frei übersetzt »Jetzt erst recht Israel«, für mehr Urlauber sorgen. Auf überdimensionalen Postern prangt dieser Tage an Kreuzungen, Häuserwänden und Litfaßsäulen das Logo mit den bunten Badelatschen, das den Israelis die Ferien im eigenen Land schmackhaft machen soll. Auch im Internet (www.davkaisrael.co.il) und im Radio wird Werbung für Ausflüge und Kurzreisen gemacht. »Kommt und schaut euch unsere wunderschöne Natur im eigenen Land an«, tönt es zu jeder vollen Stunde.
Familie Sela hat sich einladen lassen. Mit zwei Kindern und Hund reisten die Tel Aviver am Samstag gen Norden, um einen Tag am Strand Dor südlich von Haifa zu verbringen. »Wir fühlten uns in diesen Wochen in unseren vier Wänden sehr eingesperrt, aber wir waren etwas besorgt, und es fehlte auch die Motivation, uns auf den Weg zu machen«, erzählt Mutter Sarah. »Man denkt doch immer wieder an Raketen.« Dann hätten sie die Radioaufrufe von »Dafka Israel« gehört und gedacht, dass das eine »wirklich feine Idee« ist. Als Tagestouristen haben sie Hunderte von Schekeln für Eintrittsgelder und Restaurants ausgegeben. »Es war toll, und wir haben uns vorgenommen, bis zum Ferienende jedes Wochenende einen Ausflug zu machen. Das fühlt sich einfach richtig an.«
Kompensation Auch die Hilfsorganisation Leket, die gewöhnlich übrig gebliebenes Obst und Gemüse von Feldern und Obstgärten sammelt, um es an die Ärmeren der Gesellschaft zu verteilen, geht in diesen Tagen in den südlichen Ortschaften einkaufen. Gidi Kroch, Vorsitzender von Leket, erläutert, warum: »Leket kümmert sich mit seinen Spenden um Bedürftige und unterstützt gleichzeitig lokale Geschäfte in der Gegend.« Der Eigentümer Schlomo Cohen vom Minimarkt »Super Cohen« in Sderot erhielt eine der Bestellungen. »70 Prozent der Bewohner sind weg. Für uns ist das ein riesiger Einbruch. Diese Krise ist schlimmer als alle anderen zuvor«, sagt Cohen. Er sei froh, dass auf diese Art geholfen werde.
Auch Ron Baraban, der in seiner Firma »Nes Schemanim« hochwertige Öle herstellt, ist glücklich, dass er im Kibbuz Schfaim steht und seine Ware anbietet. »Es läuft gut«, sagt er und lächelt seinen Kunden zu. »Man sieht, dass Anteil an unserem Schicksal genommen wird.« Wirtschaftlich sei die Aktion allerdings nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Denn im vergangenen Monat habe er mehr als 70 Prozent seiner Einnahmen eingebüßt, das könne kein Basar abdecken. Hinzu komme, dass die Fabrik im Kibbuz Kissufim in unmittelbarer Nähe zum Gazastreifen fast dauerhaft geschlossen ist. »Wir können nicht arbeiten und müssen Dutzende Male in den Schutzraum rennen. Das klappt einfach nicht.« Um weiter funktionieren zu können, hofft Baraban auf Kompensation von der Regierung.
Umarmung Die beschloss am Wochenanfang eine erste Entschädigung von etwa viereinhalb Millionen Euro für die Bewohner von Sderot und andere Orte in der Nähe von Gaza. Zunächst sollen mit dem Geld öffentliche Einrichtungen wie Parks, Sport- und Kulturzentren sowie Kindergärten repariert und verstärkt werden. »Es ist uns klar, dass neben der Herstellung der Ruhe im Süden auch die Gemeinden gestärkt werden müssen«, so Regierungschef Benjamin Netanjahu. »Das ist eine nationale Herausforderung, die so schnell wie möglich angegangen werden muss.«
Baraban sieht das mit Skepsis. »Bis wir Geschäftsleute etwas sehen, kann es sicher dauern«, sinniert er und gießt Sonnenblumenöl zum Probieren in ein Schälchen. »Solange werden wir uns selbst irgendwie über Wasser halten müssen – und Basare wie diese veranstalten. Denn die sind wie eine riesengroße Umarmung.«