Man braucht nur eine kleine Nummer. Mit dem Zettel in der Hand holt man sich sein Paket bei der Post ab. Dieser Tage stehen die Israelis jedoch nicht für Päckchen der Verwandten oder Bestellungen aus dem Shoppingkanal an. Sie holen ihre Sicherheitspakete ab. In einem hellbraunen Pappkarton liegt die Gasmaske, fein säuberlich verpackt für den Ernstfall. In den letzten Tagen verlängern sich die Schlangen. Das Kriegstrommeln der Regierung tönt den Menschen in den Ohren.
Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak scheinen überzeugt, dass ein Schlag gegen den Iran die richtige Lösung sei, um dessen Atomprogramm zu stoppen. Dabei haben israelische Sicherheitsexperten jüngst erörtert, dass selbst ein ausgetüfteltes Militärmanöver dessen Entwicklung höchstens um zwei Jahre verzögern würde.
Doch die Regierung sieht das iranische Atomprogramm als Existenzbedrohung für das Land an. Jeden Tag kommen neue Details zu Entwicklungsfortschritten aus Teheran ans Licht, die in den Medien ausgebreitet werden. Die regierungsnahe Tageszeitung Israel Hayom etwa berichtete diese Woche, dass der Iran bereits an einer Trägerrakete für atomare Sprengköpfe baue.
Am Wochenende machten verschiedene Zeitungen mit der Schlagzeile auf, Jerusalem habe vor, noch vor dem kommenden November anzugreifen. Dann finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Die wollen Netanjahu und Co. angeblich nicht abwarten, um nicht in die Situation zu geraten, bei einer veränderten politischen Lage in Nahost »nicht mehr agieren zu können«. Bei einem Alleingang Israels rechnen Regierung und Armee mit Vergeltungsangriffen nicht nur aus dem Iran, sondern auch von der islamistischen Hisbollah im benachbarten Libanon.
Vorbereitung Je lauter die Reden über einen Präventivschlag werden, desto öfter hört man Kritik. Einer der bekanntesten Schriftsteller des Landes, David Grossman, sprach sich in der linksliberalen Zeitung Haaretz vehement gegen einen Militärschlag Israels aus. Auch die Vorbereitung der Bevölkerung steht in der Kritik. So wird beklagt, dass mindestens die Hälfte der Israelis nicht über Gasmasken verfüge und viele Krankenhäuser nicht ausreichend vorbereitet seien. Glaubt man Medienberichten, wird an den Schutzräumen für die VIPs jedoch mit Hochdruck gearbeitet. So soll es in Jerusalem Sicherheitsanlagen für die Regierung geben, im Tel Aviver Armee-Hauptquartier für die Militärführung sowie für die Vertreter der Zentralbank und verschiedener Ministerien.
Dennoch geben sich die Politiker äußerst verhalten, wenn es um die Folgen für Israel geht. Vage Prognosen zur Dauer der Auseinandersetzung, zu etwaigen Toten und Verletzten kursieren, jedoch kaum Konkretes. Der Chef der Bank of Israel, Stanley Fischer, bekannt für seine rationale Art, sagte am Wochenende, dass ein Kriegsfall für die heimische Wirtschaft Milliardenschäden bedeuten würde. Die Bank of Israel bereite sich auf eine schwerwiegende Krise vor, die nach einem Angriff kommen werde, und zudem auf eine schwierigere Sicherheitslage, erklärte Fischer.
Noch fallen keine Raketen auf israelische Städte. Stattdessen erhalten in diesen Tagen Tausende von Einwohnern sukzessive in verschiedenen Orten des Landes eine SMS der Heimatschutzbehörde. Der Text: »Heimatschutz – Wir testen das Mobilfunk-Warnsystem«. Das Verteidigungsministerium will sich der Kurzmitteilungen bedienen, um damit im Notfall Warnungen rasch unters Volk zu bringen. Das Pilotprojekt hatte am Sonntag in der Stadt Ramle begonnen, an den darauffolgenden Tagen klingelte es unter anderem in Tel Aviv, Haifa, Jerusalem, Modiin, Afula und Chadera. Im nächsten Monat bereits soll die Verbindung zu allen Handybesitzern – das sind in Israel nahezu 100 Prozent – stehen.
Atomprogramm Am Dienstag ernannte Premier Netanjahu zudem seinen alten Vertrauten Avraham Dichter zum neuen Heimatschutzminister. Der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet gilt als vehementer Befürworter militärischer Maßnahmen gegen das iranische Atomprogramm.
Ungewissheit Die Kriegsgegner debattieren, ob es sich beim politischen Säbelrasseln um Netanjahus Ehrgeiz handelt, für immer in die Annalen der Geschichte einzugehen, oder lediglich um einen Bluff, um den Druck auf die Europäische Union und die USA zu erhöhen, damit diese ihre Sanktionen gegen den Iran ausweiten.
Oron Zachar dachte noch vor wenigen Wochen, es sei eine Mischung aus beidem. Mittlerweile ist der Akademiker aus Tel Aviv überzeugt, dass die Regierung es ernst meint. Und das macht ihn zutiefst besorgt. Eigentlich alles andere als ein politischer Aktivist, gründete er eine Facebook-Gruppe, die sich gegen einen Angriff auf den Iran ausspricht. »Die Kriegshetze ist nicht mehr lustig, sie kann sehr schnell zur ›selffulfilling prophecy‹ werden«, steht da. Zachar erklärt, dass auch er den Iran und dessen potenzielle Atomwaffen als riesengroße Bedrohung für die Welt betrachtet. »Aber es kann nicht Israels Sache sein, vorzupreschen und das ganz allein zu regeln.«
Auch Haaretz-Autor Bradley Burston findet die Diskussion über die wahren Beweggründe Netanjahus überflüssig: »Nach einem Schlag gegen den Iran wird Israel ein anderes Land sein. Einige der Raketen mit hochexplosiven Sprengköpfen werden die Abwehrsysteme durchschlagen. Und jemand von deinen Lieben wird vielleicht unter jenen sein, die von einem Geschoss getroffen oder von einem einstürzenden Gebäude zerquetscht worden sind.« An den Regierungschef gerichtet, schreibt Burston weiter: »Im Augenblick des Angriffssignals gibt es nichts mehr, was du uns noch sagen kannst. Denn wir hören nicht mehr zu.«