Geiseln

»Sie werden vergewaltigt – vielleicht jeden Tag«

Die Mütter der fünf gekidnappten Soldatinnen: Ira Ariev, Shira Elbag, Ayelet Levy und Orly Gilboa (v.l.) Foto: Screenshot Kanal 12

Sie sprechen über das, was sie lange nicht aussprechen wollten. Die schwersten Gedanken, die schlimmsten Vermutungen. Ayelet Levy, Mutter von Naama, Orly Gilboa, Mutter von Daniela, Shira Elbag, Mutter von Liri und Ira Ariev, Mutter von Karina, erzählen in einem Interview mit Danny Kushmaro im Nachrichtenmagazin des Fernsehkanals 12, wie es ihnen geht. Ihre Töchter, junge Späherinnen der IDF, sind Geiseln in Gaza. Sie wurden mit Körperkameras von Hamas-Terroristen gefilmt, wie sie am 7. Oktober aus ihrer Armeebasis Nahal Oz entführt werden.

Die Familien der fünf Soldateninnen baten um die Ausstrahlung des Filmmaterials. Man wolle das ganze Land und insbesondere die politische Führung aufwecken, damit sie sich dringender für ihre Freilassung einsetzen, so die Eltern. »Ich möchte, dass Sie dieses Filmmaterial jeden Tag zu Beginn der Nachrichten zeigen«, sagte Liris Vater, Eli Elbag, im Studio, nachdem das Video gesendet wurde. »Was können wir sonst noch sagen? Wo können wir sonst noch schreien? Was können wir sonst noch tun, um die Nation aufzuwecken?«

Junge Mädchen in ihren Schlafanzügen werden gedemütigt

Das dreiminütige, bearbeitete Video, das zur Veröffentlichung freigegeben wurde, beginnt in einem Sicherheitsraum der Basis um etwa neun Uhr morgens, als Terroristen den fünf jungen Frauen die Hände fesseln. Es handelt sich um sogenannte Späherinnen, deren Aufgabe es ist, die Aktivitäten an der Grenze zu Gaza zu überwachen. Sie sind in ihren Schlafanzügen, völlig verwirrt, entsetzt und blutverschmiert. Einer der Terroristen schreit die Mädchen an: »Ihr Hunde – wir werden auf euch herumtrampeln!« Einer weiterer beschreibt sie als »Frauen, die schwanger werden können« und wieder ein anderer sagt: »Ihr seid sehr schön.«

Die Mütter von Karina und Daniela haben das Video nicht gesehen, sondern nur Screenshots davon. »Ich sah ihren Blick und konnte es nicht ertragen. Ich weiß sowieso, was Karina durchmacht«, so Ira Ariev. »Also habe ich mich entschlossen, es nicht anzuschauen. Ich weiß ohnehin nicht mehr, wohin ich rennen soll, mit wem noch reden. Ich konnte einfach nicht.«

»Ich sah ihren Blick und konnte es nicht ertragen. Ich weiß sowieso, was Karina durchmacht.«

ira ariev

Ähnlich äußert sich Orly Gilboa, die Mutter von Daniela, über Bilder, die sie von ihrer Tochter sah. »In den schlimmsten Kriegsfilmen habe ich niemals so einen verzweifelten Blick gesehen.« Sie müsse seit dem 7. Oktober filtern, was sie sich anschaue, »...damit ich weiter versuchen kann, stark zu sein und zu funktionieren, so wie in diesem Moment. Denn meine Seele ist schon zu verwundet.«

Ayelet Levy hat die Aufnahmen gesehen. Und wie ihre Tochter Naama dabei ein Ferienlager erwähnt, in dem sie zusammen mit palästinensischen Jugendlichen war. »Ich habe Freunde in Palästina«, so die 19-Jährige verzweifelt. »Sie hat alles versucht. Versucht, in irgendeiner Weise mit Kommunikation aus dieser Situation herauszukommen. Sie kämpft um ihr Leben.« Naamas Mutter versucht, die Tränen zurückzuhalten, als sie sagt: »Ich bin stolz auf sie«.

Alle Frauen sprechen auch über Treffen mit Regierungsvertretern in den vergangenen Monaten, die sie oft schockiert zurückließen. »Viele fragten uns allen Ernstes, warum wir hier sind«, erzählt Liris Mutter Shira Elbag. Die Frau von Premierminister Benjamin Netanjahu, Sara, hätte sich bei den Müttern gemeldet und versprochen, ihren Mann zu drängen, etwas zu tun. Finanzminister Bezalel Smotrich allerdings weigert sich nach eigenen Angaben, das Video anzusehen, damit er »nachts schlafen kann«. Auf die Frage von Kushmaro, ob sie meinen, die Regierung tue genug, um die Geiseln freizubekommen, antworten die Frauen einhellig: »Nein!«

Auf den Tisch hauen und Forderungen stellen

Anfangs seien sie alle sehr höflich gewesen und hatten Respekt vor den Ministern, berichtet Gilboa. »Nach einer Weile haben wir allerdings verstanden, dass es nichts bringt. Wir müssen auf den Tisch hauen und Forderungen stellen.« Doch auch das scheint keine Ergebnisse nach sich zu ziehen. »Weil die Politiker von der Realität völlig entrückt sind.«

Die Realität der Mädchen ist eine, die sich niemand vorstellen will. Doch Shira Elbag und die anderen Mütter stellen es sich vor. Denn ihre Töchter sind dort. »Jetzt sind sie den achten Monat im Gazastreifen«, so Elbag. »Und was ist im neunten Monat…« Sie würden genau wissen, aus diesem Video und von zurückgekehrten Geiseln, was mit Frauen und Mädchen in Gaza passiert. »Wir als Eltern schreckten lange davor zurück, das Wort überhaupt zu benutzen, denn alle sind schockiert, so wie wir auch. Doch wir müssen es an die Öffentlichkeit bringen: Die Mädchen werden vergewaltigt – vielleicht sogar jeden Tag.«

»Wir sind diejenigen, die zu der Regierung gehen und ihnen erklären, was geschieht.«

ayelet levy

Diese schweren Dinge, fügt Levy hinzu, müssen jetzt endlich dazu führen, dass verstanden wird, dass die Mädchen und alle Frauen aus humanitären Gründen sofort freigelassen werden müssen. »Der Terroranschlag vom 7. Oktober dauert für unsere Töchter noch immer an. Acht Monate nachdem es geschehen ist, können wir nicht glauben, dass wir uns am selben Punkt befinden – und sogar in einer schlimmeren Situation«, fasst sie zusammen.

Es habe lange gedauert, doch jetzt hätten sie verstanden: »Wir müssen diesen Kampf allein kämpfen. Wir sind diejenigen, die zu der Regierung gehen und ihnen erklären, was geschieht, wir müssen sie erinnern, ›unsere Töchter sind noch immer in Gaza‹. Es fühlt sich an, als sei dies unser ganz persönlicher Krieg.«

Vor zwei Monaten erhielten die Eltern eine Nachricht von der Regierung, dass es ein neues »Lebenszeichen« der Mädchen gebe. Was genau das gewesen sei, wüssten sie allerdings nicht. Am Ende der Sendung sprachen die Mütter direkt zu ihren Töchtern in die Kamera und versicherten ihnen, dass sie nichts unversucht lassen, um sie freizubekommen, auf sie warten und jede einzelne Minute an sie denken. »Ihr kommt zurück nach Hause«, sagten sie. Und: »Bitte überlebt!«

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