Sie blutete stark und hatte große offene Wunden am Kopf. Nach einem Luftangriff der israelischen Armee gegen die Hamas wurde die israelische Geisel Noa Argamani im Gazastreifen schwer verletzt. Doch sie wurde völlig allein, ohne jegliche Hilfe, in einem zerstörten Haus zurückgelassen. »Niemand kam, kein Arzt, kein Rotes Kreuz, niemand.« Das erzählte die junge Israelin jetzt auf einer Notfallsitzung im Beit Hanasi zur Gesundheit der Geiseln, die noch in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen sind.
Am Internationalen Tag der Menschenrechte hatte der israelische Präsident Isaac Herzog zusammen mit medizinischen Experten die Sitzung einberufen, um auf die schlimme Lage und die tiefe Sorge um das Wohlergehen der Geiseln aufmerksam zu machen, die seit mehr als 430 Tagen festgehalten werden. Dabei nahmen Gekidnappte teil, die aus der Gefangenschaft befreit wurden, sowie die Familien von Entführten, die noch immer von der Terrororganisation festgehalten werden.
Die befreiten Geiseln treffen sich mit Politikern und Promis in aller Welt, geben sich kämpferisch auf Protesten, setzen sich eloquent in Interviews mit der nationalen und internationalen Presse für die Freilassung ihrer Leidensgenossen ein. Dabei sieht man ihnen meist nicht an, wie es in ihrem Innern aussieht. Doch ihre Wunden – physisch und psychisch – sind tief, wiegen schwer auf ihrer Seele und belasten sie tagein, tagaus.
Argamanis Lebensgefährte Avinatan Or ist noch in Gaza
Argamani weiß genau, wie grausam die Bedingungen für die Geiseln sind. 246 Tage war die 27-Jährige in Gaza gefangen: Ihr Lebensgefährte Avinatan Or, mit dem sie gemeinsam von dem Nova-Musikfestival verschleppt wurde, befindet sich noch immer in der Gewalt der brutalen Terrororganisation.
»Ein Luftangriff traf das Gebäude, in dem ich, Yossi Sharabi und Itay Svirsky festgehalten wurden. Wie Sie wissen, hat Yossi es nicht überlebt. Zwei Tage später wurde Itay Svirski getötet«, berichtete sie in Jerusalem.
»Als die Ärzte bei ihrer Rückkehr all ihre Verletzungen sahen, sagten sie, »es ist ein medizinisches Wunder, dass sie überlebt hat«.
Anfang des Jahres ergab eine militärische Untersuchung, dass Sharabi, der aus dem Kibbutz Be’eri stammte, im Januar bei einem Luftangriff der IDF starb und Svirsky einige Tage später von seinen Entführern ermordet wurde. Argamani wurde im Juni zusammen mit den drei männlichen Geiseln Almog Meir Jan, Shlomi Ziv und Andrey Kozlov bei einer waghalsigen Operation von israelischen Eliteeinheiten gerettet. Svirskys Leichnam wurde Anfang dieser Woche nach Israel zurückgebracht.
Bei der Diskussion sagte Argamani, der Luftangriff habe sie »blutend und mit völlig offenem Kopf zurückgelassen.« Als die Ärzte bei ihrer Rückkehr all ihre Verletzungen sahen, sagten sie, »es ist ein medizinisches Wunder, dass sie überlebt hat«.
Bei dem Anlass wurde das Propagandavideo der Hamas gezeigt, in dem Argamani in Gefangenschaft zu sehen ist. »Dies ist die kürzere und zensierte Version des Videos«, sagte sie. »Ich wollte Ihnen das ganze Video ersparen.« Es sei einfach zu schrecklich. Über die 100 verbleibenden Geiseln sprach sie eine eindringliche Warnung aus: »Wir kennen ihren Zustand nicht. Aber ihr Schicksal könnte schlimmer sein als meins.«
Präsident Herzog fügte hinzu, dass er auf der Grundlage dieses Berichtes und vieler verschiedenen Informationsquellen, die ihm zur Verfügung stehen, wisse: »Das Leben der Geiseln ist in großer Gefahr. Es muss alles Mögliche getan werden, um sie nach Hause zu bringen.«
Herzog habe »unzählige Male« mit dem Roten Kreuz gearbeitet
Im Laufe des Jahres habe man alle Möglichkeiten ausgelotet, um die medizinische Hilfe für die in den Tunneln von Gaza festgehaltenen Menschen zu verbessern und bereitzustellen. »Wir haben unzählige Male mit dem Roten Kreuz und anderen Organisationen zusammengearbeitet, versucht, Medikamente zu liefern, Treffen zwischen dem Roten Kreuz und den Familien der Geiseln zu ermöglichen und Informationen auszutauschen. Aber alle Bemühungen stießen auf eine Mauer – die Mauer der Hamas, die jegliche Hilfe verhindert.«
Derzeit gebe es eine »erneute, große und bedeutende Anstrengung«, fügte er hinzu, ohne Details zu nennen. »Diese Prozesse müssen so schnell wie möglich ausgereift sein.« Täglich spreche er mit einem anderen Anführer in der Welt, manchmal sogar mehrmals am Tag. »Heute Morgen habe ich mit einem wichtigen regionalen Staats- und Regierungschef gesprochen, und ich kann sagen, dass es eine globale Übereinstimmung gibt, um einem Abkommen zur Befreiung der Geiseln Priorität einzuräumen.«
»Wir begehen den 431. Tag der unvorstellbarsten Menschenrechtsverletzungen. Von der kriminellen und terroristischen Organisation wird kein einziges Menschenrecht gewahrt«, hob Herzog hervor. »Die ganze Welt muss mit aller Kraft gegen diese abscheuliche Organisation und ihre eklatanten Menschenrechtsverletzungen aufschreien.«
»Von der kriminellen und terroristischen Organisation Hamas wird kein einziges Menschenrecht gewahrt«.«
Bei dem blutigen Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 auf Gemeinden in Israels Süden wurden über 1.200 Menschen ermordet, hauptsächlich Zivilisten, und 251 Menschen nach Gaza verschleppt.
Ebenfalls am Dienstag berichtete die freigelassene Geisel Ilana Gritzewsky bei der Sitzung des Verfassungs-, Rechts- und Justizausschusses der Knesset den Abgeordneten über Verletzungen, die ihr in der Gefangenschaft von den Terroristen zugefügt wurden: »Sie haben mir das Becken gebrochen, mein Bein verbrannt, meinen Kiefer ausgerenkt. Auf meinem linken Ohr bin ich jetzt taub.«
Die 30-jährige Gritzewsky wurde im Rahmen des Waffenstillstandsabkommens vom November 2023 freigelassen und ist die Partnerin von Matan Zangauker, der immer noch Geisel der Hamas ist. Am vergangenen Samstag war ein Propagandavideo von Matan veröffentlicht worden, das zeigt, dass der 26-jährige Israeli am Leben ist. Gritzewsky kam in die Knesset, um der Forderung nach einem Deal zur Geiselbefreiung Nachdruck zu verleihen.
Der Vorsitzende des Ausschusses, Simcha Rothman von der rechtsextremen Partei Religiöser Zionismus hatte sich geweigert, das Video von Zangauker in der Knesset zu zeigen. Also sprach die ehemalige Geisel, um das Schicksal ihres Liebsten und der anderen 99 Menschen, die unter unerträglichen Zuständen leben müssen, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und deutlich zu machen, in welch großer Gefahr sie sich befinden.