Fast 30 Jahre lang nannten sie alle Heli – das ist die Abkürzung ihres hebräischen Namens Rachel. Dann beschloss die israelisch-äthiopische Schauspielerin: Das war es mit Heli. Jetzt bittet sie jeden, der mit ihr spricht, sie Amaresh zu nennen.
In ihrer hellen, aufgeräumten WG im Süden von Tel Aviv – die Fenster sind geöffnet, von draußen hört man den Straßenverkehr – sitzt Amaresh Heli Sinka auf einem Sofa und erklärt, weshalb es für sie so wichtig ist, wie Freunde und Kolleginnen sie ansprechen.
name »Ich bin in Israel geboren, also bekam ich einen israelischen und einen amharischen Namen«, sagt die Schauspielerin, deren Eltern 1984 aus Äthiopien nach Israel eingewandert sind. Sie selbst kam in Bat Yam, einer Stadt südlich von Tel Aviv, zur Welt und hat drei Schwestern und vier Brüder. Plötzlich, vor etwa fünf Jahren, wurde ihr klar, dass der amharische Name besser zu ihr passt.
»Ich habe mich früher eher der israelischen Gesellschaft zugehörig gefühlt. Und der Name Amaresh lag mir sehr schwer auf den Schultern.«
Amaresh Heli Sinka
»Ich habe mich früher eher der israelischen Gesellschaft zugehörig gefühlt. Und der Name Amaresh lag mir sehr schwer auf den Schultern.« Er bedeutet »Leidenschaft«. Doch für die junge Frau fühlte es sich so an, als ob sie eine Verpflichtung mit sich herumtrug, »etwas sehr Großes, und zwar die Geschichte meiner Eltern. Ich habe damals leider noch nicht verstanden, was es war. Aber in den letzten Jahren habe ich mich der äthiopischen Community wieder angenähert. Und jetzt fühle ich, dass Amaresh wirklich mein Name ist. Er hat eine starke Ausstrahlung, und ich bin bereit, ihn auf mich zu nehmen«.
Amaresh wirkt ausdrucksstark und sensibel. Sie ist eine erfolgreiche Schauspielerin in Israel und im Ausland, war in der Serie Das Mädchen von Oslo und im Film Mamas Angel zu sehen. Beim New York City Independent Film Festival 2020 wurde sie mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin in Down To The River ausgezeichnet.
schabbat Doch sie bleibt eine Suchende, beantwortet am Schabbat kein WhatsApp – und befolgt seit einem halben Jahr einige Regeln des jüdischen Ruhetags, wie die Birkot HaSchachar, die Segenssprüche am Morgen.
»Ich komme aus einem traditionellen Haus und glaube immer noch an Gott, und bei meinen Eltern habe ich den Schabbat gehalten, um sie zu ehren. Es gab aber eine Zeit, in der ich mich von der Religion entfernt hatte. Ich habe länger als ein Jahrzehnt in einer Bar in Tel Aviv gearbeitet, um Geld für mein Studium zu verdienen. Im August 2015, als ich fertig war mit dem Studium, habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr am Schabbat arbeite. Und auch nicht mehr nachts. Schluss damit!«
Sie wollte nun ihre Energie auf ihren Beruf als Schauspielerin konzentrieren. Ihre bewusste Entscheidung für den Schabbat fiel nach dem letzten Corona-Lockdown. »Man durfte niemanden treffen, und als ich dann wieder rausging, hatte ich soziale Ängste, alles fühlte sich instabil an. Ich habe Stabilität gesucht. Mein Bruder lernt in einer Jeschiwa. Dort gibt es vorgeschriebene Routinen, alles ist geregelt. Und ich dachte, ich möchte auch eine Routine annehmen – egal, was in der Welt passiert. Auch wenn die ganze Woche Balagan war, habe ich am Schabbat jetzt Seelenruhe. Ich fühle mich sehr gut damit. Schabbat heißt für mich: kein Fernsehen, keine Nachrichten. Nachrichten schaue ich sowieso nicht, davon bekomme ich Kopfschmerzen.«
erfahrungen Ihr Fokus ist die Gesellschaft: Schon das dritte Jahr bereitet sie mit Jugendlichen eine Zeremonie vor, für die sie ein Stück geschrieben hat und das sie selbst inszeniert. »Es gibt jedes Jahr an Jom Jeruschalajim einen Tag der Erinnerung an die Einwanderer aus Äthiopien, die auf dem Weg nach Israel im Sudan ums Leben kamen.« Amareshs Theaterstück, das in der Stadt Netanya aufgeführt wird, basiert auch auf Erfahrungen ihrer eigenen Familie.
Im Projekt »reactions« vermittelt sie äthiopischstämmigen Israelis kreatives Schreiben und Schauspiel – gemeinsam mit dem israelischen Schauspieler Amitay Yaish Ben Ozilio. Daraus soll eine TV-Serie entstehen. »Ich bin froh, in Nachbarschaften zu gehen und zu sagen: ›Chewre, es ist möglich, wacht auf. Man braucht nicht viel Geld, um einen Traum zu verwirklichen.‹ Es gibt viele begabte Leute in der Community, und wir wollen, dass man sie sieht. Diese Geschichten fehlen Israel, überhaupt fehlt Dialog.«
In der Vergangenheit wurde die jüdische Identität äthiopischer Einwanderer durch ultraorthodoxe Rabbiner angezweifelt.
In der Vergangenheit wurde die jüdische Identität äthiopischer Einwanderer durch ultraorthodoxe Rabbiner angezweifelt. Auch Polizeigewalt bei Demonstrationen hat die Community traumatisiert. Dazu kommt soziale Benachteiligung. »Viele wollten bei unseren ›auditions‹ nicht mitmachen, weil sie kein Vertrauen zu uns hatten«, sagt Amaresh. Und obwohl es inzwischen üblicher wurde, dass äthiopische, aschkenasische und sefardische Israelis untereinander heiraten, ist die Gesellschaft nicht frei von Rassismus.
Doch die 35-Jährige ist kein Mensch, der resigniert. »Die jungen Leute im Alter meiner kleinen Schwester – sie ist 24 – trauen sich mehr. Sie haben diese israelische Chuzpe.« Hat Amaresh die auch? »Ja.« Und einen Traum: »Ich möchte mein eigenes Theater in Bat Yam gründen. Ich will Menschen voranbringen und dieser wunderbaren Stadt, die ich sehr liebe, etwas zurückgeben.«
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Sie alle sind Israel!