75 Jahre Israel

Sie bleibt eine Suchende

Ihre Eltern kamen aus Äthiopien – die Schauspielerin Amaresh Heli Sinka will in Bat Yam ein Theater gründen

von Ayala Goldmann  26.04.2023 12:57 Uhr

»Ich komme aus einem traditionellen Haus und glaube immer noch an Gott«: Amaresh Heli Sinka Foto: Marco Limberg

Ihre Eltern kamen aus Äthiopien – die Schauspielerin Amaresh Heli Sinka will in Bat Yam ein Theater gründen

von Ayala Goldmann  26.04.2023 12:57 Uhr

Fast 30 Jahre lang nannten sie alle Heli – das ist die Abkürzung ihres heb­räischen Namens Rachel. Dann beschloss die israelisch-äthio­pische Schauspielerin: Das war es mit Heli. Jetzt bittet sie jeden, der mit ihr spricht, sie Amaresh zu nennen.

In ihrer hellen, aufgeräumten WG im Süden von Tel Aviv – die Fenster sind geöffnet, von draußen hört man den Straßenverkehr – sitzt Amaresh Heli Sinka auf einem Sofa und erklärt, weshalb es für sie so wichtig ist, wie Freunde und Kolleginnen sie ansprechen.

name »Ich bin in Israel geboren, also bekam ich einen israelischen und einen amharischen Namen«, sagt die Schauspielerin, deren Eltern 1984 aus Äthiopien nach Israel eingewandert sind. Sie selbst kam in Bat Yam, einer Stadt südlich von Tel Aviv, zur Welt und hat drei Schwestern und vier Brüder. Plötzlich, vor etwa fünf Jahren, wurde ihr klar, dass der amharische Name besser zu ihr passt.

»Ich habe mich früher eher der israelischen Gesellschaft zugehörig gefühlt. Und der Name Amaresh lag mir sehr schwer auf den Schultern.«

Amaresh Heli Sinka

»Ich habe mich früher eher der israelischen Gesellschaft zugehörig gefühlt. Und der Name Amaresh lag mir sehr schwer auf den Schultern.« Er bedeutet »Leidenschaft«. Doch für die junge Frau fühlte es sich so an, als ob sie eine Verpflichtung mit sich herumtrug, »etwas sehr Großes, und zwar die Geschichte meiner Eltern. Ich habe damals leider noch nicht verstanden, was es war. Aber in den letzten Jahren habe ich mich der äthiopischen Community wieder angenähert. Und jetzt fühle ich, dass Amaresh wirklich mein Name ist. Er hat eine starke Ausstrahlung, und ich bin bereit, ihn auf mich zu nehmen«.

Amaresh wirkt ausdrucksstark und sensibel. Sie ist eine erfolgreiche Schauspielerin in Israel und im Ausland, war in der Serie Das Mädchen von Oslo und im Film Mamas Angel zu sehen. Beim New York City Independent Film Festival 2020 wurde sie mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin in Down To The River ausgezeichnet.

schabbat Doch sie bleibt eine Suchende, beantwortet am Schabbat kein WhatsApp – und befolgt seit einem halben Jahr einige Regeln des jüdischen Ruhetags, wie die Birkot HaSchachar, die Segenssprüche am Morgen.

»Ich komme aus einem traditionellen Haus und glaube immer noch an Gott, und bei meinen Eltern habe ich den Schabbat gehalten, um sie zu ehren. Es gab aber eine Zeit, in der ich mich von der Religion entfernt hatte. Ich habe länger als ein Jahrzehnt in einer Bar in Tel Aviv gearbeitet, um Geld für mein Studium zu verdienen. Im August 2015, als ich fertig war mit dem Studium, habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr am Schabbat arbeite. Und auch nicht mehr nachts. Schluss damit!«

Sie wollte nun ihre Energie auf ihren Beruf als Schauspielerin konzentrieren. Ihre bewusste Entscheidung für den Schabbat fiel nach dem letzten Corona-Lockdown. »Man durfte niemanden treffen, und als ich dann wieder rausging, hatte ich soziale Ängste, alles fühlte sich instabil an. Ich habe Stabilität gesucht. Mein Bruder lernt in einer Jeschiwa. Dort gibt es vorgeschriebene Routinen, alles ist geregelt. Und ich dachte, ich möchte auch eine Routine annehmen – egal, was in der Welt passiert. Auch wenn die ganze Woche Balagan war, habe ich am Schabbat jetzt Seelenruhe. Ich fühle mich sehr gut damit. Schabbat heißt für mich: kein Fernsehen, keine Nachrichten. Nachrich­ten schaue ich sowieso nicht, davon bekomme ich Kopfschmerzen.«

erfahrungen Ihr Fokus ist die Gesellschaft: Schon das dritte Jahr bereitet sie mit Jugendlichen eine Zeremonie vor, für die sie ein Stück geschrieben hat und das sie selbst inszeniert. »Es gibt jedes Jahr an Jom Jeruschalajim einen Tag der Erinnerung an die Einwanderer aus Äthiopien, die auf dem Weg nach Israel im Sudan ums Leben kamen.« Amareshs Theaterstück, das in der Stadt Netanya aufgeführt wird, basiert auch auf Erfahrungen ihrer eigenen Familie.

Im Projekt »reactions« vermittelt sie äthiopischstämmigen Israelis kreatives Schreiben und Schauspiel – gemeinsam mit dem israelischen Schauspieler Amitay Yaish Ben Ozilio. Daraus soll eine TV-Serie entstehen. »Ich bin froh, in Nachbarschaften zu gehen und zu sagen: ›Chewre, es ist möglich, wacht auf. Man braucht nicht viel Geld, um einen Traum zu verwirklichen.‹ Es gibt viele begabte Leute in der Community, und wir wollen, dass man sie sieht. Diese Geschichten fehlen Israel, überhaupt fehlt Dialog.«

In der Vergangenheit wurde die jüdische Identität äthiopischer Einwanderer durch ultraorthodoxe Rabbiner angezweifelt.

In der Vergangenheit wurde die jüdische Identität äthiopischer Einwanderer durch ultraorthodoxe Rabbiner angezweifelt. Auch Polizeigewalt bei Demonstrationen hat die Community traumatisiert. Dazu kommt soziale Benachteiligung. »Viele wollten bei unseren ›auditions‹ nicht mitmachen, weil sie kein Vertrauen zu uns hatten«, sagt Amaresh. Und obwohl es inzwischen üblicher wurde, dass äthiopische, aschkenasische und sefardische Israelis untereinander heiraten, ist die Gesellschaft nicht frei von Rassismus.

Doch die 35-Jährige ist kein Mensch, der resigniert. »Die jungen Leute im Alter meiner kleinen Schwester – sie ist 24 – trauen sich mehr. Sie haben diese israelische Chuzpe.« Hat Amaresh die auch? »Ja.« Und einen Traum: »Ich möchte mein eigenes Theater in Bat Yam gründen. Ich will Menschen voranbringen und dieser wunderbaren Stadt, die ich sehr liebe, etwas zurückgeben.«

Mehr dazu lesen Sie in unserem Magazin zum 75-jährigen Bestehen Israels.

Darin stellen wir in Porträts und Interviews 75 Israelinnen und Israelis vor, für die in Israel ein Traum wahr geworden ist – Start-up Gründer, Musikerinnen, Soldaten, Landwirte, Sportlerinnen, Markthändler, Mediziner, Schriftstellerinnen und viele mehr.

Sie alle sind Israel!

Gaza/Tel Aviv

Ehemalige Hamas-Geisel berichtet über schwerste Misshandlung

Der junge Mann wurde in einer winzigen unterirdischen Zelle festgehalten, immer wieder geschlagen und gedemütigt. Den schlimmsten Moment seines Lebens erlebte er ausgerechnet an seinem Geburtstag

von Sara Lemel  14.03.2025

Gaza/Tel Aviv

Hamas will eine Geisel freilassen und vier Tote übergeben

Die Terrororganisation sagt, sie habe einen Vorschlag der Vermittler akzeptiert. In diesem Rahmen will sie demnach weitere aus Israel Entführte aus ihrer Gewalt entlassen

 14.03.2025 Aktualisiert

Tel Aviv

»Ich bin Omer Schem-Tov und ich bin frei«

Omer Schem-Tov berichtet erstmals über die schlimmste Phase seiner Geiselhaft in Gaza - und fordert die Freilassung aller Entführten.

von Cindy Riechau  14.03.2025

Nahost

US-Vermittler legt Vorschlag für Verlängerung der Waffenruhe vor

Laut Witkoffs Plan käme zuerst nur eine Handvoll Geiseln frei. Was wird aus den übrigen?

 14.03.2025

Israel

Bernard-Henri Lévy sagt aus Protest Teilnahme an Konferenz in Israel ab

Der Schritt des französischen Philosophen erfolgte aus Protest gegen die Einladung der zwei rechten französischen Politiker Jordan Bardella und Marion Maréchal

von Michael Thaidigsmann  13.03.2025

Jerusalem/Genf

Nach Israel-kritischem Bericht: Netanjahu wirft UNHRC Antisemitismus vor

Ein UN-Bericht wirft Israel sexualisierte Gewalt gegen Palästinenser vor. Der Ministerpräsident spricht von einem »antiisraelischen Zirkus«

von Imanuel Marcus  13.03.2025

Geiseln

Avinatan lebt!

Es ist das erste Lebenszeichen der 32-jährigen Geisel. Seine Freundin, die befreite Noa Argamani, kämpft unermüdlich für ihn

von Sabine Brandes  13.03.2025

Vermisst!

Angekettet und allein

Alon Ohel wurde am 7. Oktober schwer verletzt und verschleppt

von Sabine Brandes  13.03.2025

Doha

Verhandlungen um Waffenruhe und Geiseln stocken

Die Gespräche kommen nicht voran. Welches Ziel verfolgen die Amerikaner?

 13.03.2025