Das Ereignis, das in die Weltgeschichte eingehen sollte, drohte zum »Eiertanz« zu werden – so fürchtete es jedenfalls Theodor Herzl, der Mann, der 1897 den ersten Zionistenkongress ins Leben gerufen hatte. »Die Leitung dieser Verhandlung wird überhaupt, wie ich glaube, seltenes Kunststück sein, das keinen anderen Zuschauer haben wird als den, der es aufführt«, schrieb Herzl am 24. August in sein Tagebuch, nur Tage vor Kongressbeginn. »Ein Eiertanz zwischen allen unsichtbaren Eiern.«
Der 1860 geborene Journalist Herzl war nach antisemitischen Exzessen selbst im scheinbar aufgeklärten Westeuropa zu der Auffassung gelangt, dass Juden nur in einem eigenem Staat in Freiheit, Sicherheit und Würde leben könnten. Jedoch teilen längst nicht alle Juden Europas seine Sicht. Manche plädierten für völlige Assimilation; andere, insbesondere orthodoxe Juden, hielten die Errichtung einer jüdischen Heimstätte vor der Ankunft des Messias für eine Sünde. Zu den »Eiern«, deren Interessen und Empfindlichkeiten er würde umtanzen müssen, zählte Herzl außerdem die Türkei und Österreich, die Christen, die Russen und nicht zuletzt das »Ei des Neides, der Eifersucht«.
Zwar brachte Herzl nicht alle Kritiker zum Verstummen; doch der Baseler Kongress mündete nicht nur in einer ersten offiziellen Absichtserklärung, er erschuf auch einen Enthusiasmus und eine Vision, die die Baseler Delegierten in die jüdischen Gemeinden ihrer Heimatländer trugen. Mit fast übersinnlich wirkender Weitsicht schrieb Herzl in sein Tagebuch: »Fasse ich den Baseler Congress in ein Wort zusammen, das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen, so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.«
Zeremonie In diesem Sommer jährt sich der Basler Kongress zum 120. Mal – Anlass für Gedenkfeiern und Hommagen verschiedenster Art. Die Zionistische Weltorganisation (WZO), selbst gegründet während des Baseler Kongresses, hielt nun eine Zeremonie ab – passenderweise in Herzliya, jener israelischen Küstenstadt nördlich von Tel Aviv, die bei ihrer Gründung 1924 nach Theodor Herzl benannt wurde.
Zu den Feierlichkeiten im Auditorium des »Israel Air Force Center« hatte die WZO 120 Menschen eingeladen, die mit Vor- oder Nachnamen Herzl heißen. Junge Schausteller im Herzl-Look – Hut, Frack und Vollbart – unterhielten die Gäste mit bemüht österreichischem Akzent und boten sich für Selfies an. Der Bürgermeister von Herzliya, Moshe Fadlon, und der Vize-Vorsitzende der WZO, Yaakov Hagoel, sprachen Grußworte. Anschließend wurde jedem »Herzl« eine Gedenkmedaille mit dem Konterfrei des berühmten Namensvetters überreicht.
Die meisten Gäste stammten aus Israel, einige jedoch waren extra aus dem Ausland angereist: etwa der 76-jährige Herzl Hamburger aus Manchester, der die Zeremonie in Begleitung seiner Tochter, seines Schwiegersohns und seiner Enkeltochter besuchte. »Nicht viele Leute heißen Herzl mit Vornamen«, sagte er. »Außer mir selbst kenne ich in England niemanden. Also dachte ich mir: Das ist eine einzigartige Gelegenheit.«
Twitter In Basel selbst hatte ursprünglich eine weit größere Gedenkfeier stattfinden sollen, mit 1500 geplanten Teilnehmern. Doch Mitte Juni blies der Baseler Regierungsrat die Veranstaltung ab: Die Zeit sei zu knapp, um die nötigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Ungehindert und gelegentlich augenzwinkernd wird das Jubiläum dagegen online gefeiert: Das israelische Außenministerium etwa hat einen Twitter-Account unter dem Titel »HerzlTweets« eingerichtet und setzt darüber täglich Zitate von Theodor Herzl ab, lässt Twitternutzer zwischendurch aber auch über ihren »liebsten Herzl-Bart« abstimmen.
Überhaupt erfährt die Bartpracht Herzls im Jubiläumsjahr des Kongresses bemerkenswert viel Aufmerksamkeit: Das populäre US-Medienportal »Buzzfeed« nimmt die »historisch bedeutsame Gelegenheit« zum Anlass, die fünf »fantastischsten Bärte« unter den Teilnehmern des Baseler Kongresses zu krönen. Der wenig überraschende Gewinner: Theodor Herzl. »Schließlich plante er den ersten Zionistenkongress und erschien dort mit dieser umwerfenden, kultigen Gesichtsbehaarung«, heißt es zur Begründung. »Kein Wunder, dass er immer im Rampenlicht steht.«