Das Karussell der geopolitischen Machtverschiebungen im Nahen und Mittleren Osten dreht sich weiter. Was noch vor Jahren als unvorstellbar galt, erweist sich mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und einigen Golfstaaten sowie Marokko und dem Sudan als gegenwärtige Realität. Während mit Saudi-Arabien eine weitere arabische Nation hinzukommen soll, könnte mit Pakistan auch das zweitgrößte muslimische Land der Welt der neuen Allianz beitreten.
»Dieses Bündnis würde Israels Beziehungen zur islamischen Welt festigen«, sagt Elias Solomon, ehemaliger Politikberater aus Ramla. »Auch ist Pakistan eine Nuklearmacht.« Der ursprünglich aus Karatschi stammende Sicherheitsexperte wanderte 1948 im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern wegen antisemitischer Ausschreitungen gegen die dort ansässige »Bene Israel«-Gemeinde in den jüdischen Staat aus. »Obwohl sich Pakistan nicht im Krieg mit Israel befindet, ist eine Normalisierung schwierig, da es den palästinensischen Kampf ideologisch mit den Befreiungsbestrebungen Kaschmirs im eigenen Land gleichsetzt und es daher seinen Islamisten keinen Spielraum gewähren möchte.«
Eine Annäherung an Israel könnte in Pakistan öffentliche Proteste hervorrufen.
Tatsächlich könnten die politischen Kosten für das streng muslimische Land hoch sein. Eine Abkehr von seiner traditionellen Unterstützung für panislamische Interessen und besonders eine Annäherung an den jüdischen Staat könnten eine öffentliche Gegenreaktion und gewalttätige Proteste hervorrufen. Islamisten bilden die Mehrheit im Land und gelten für die Militärregierung um Premierminister Imran Khan als Sicherheitsbedrohung. Ein weiteres Hindernis sind Islamabads Beziehungen zur Türkei und zum Iran, die beide das Land in der Kaschmir-Frage unterstützen.
DELEGATIONEN »Pakistan hat in der Vergangenheit bereits zwei Delegationen nach Israel entsandt, um eine Normalisierung der Beziehungen zu erkunden«, sagt der Nahost-Konfliktforscher Noor Dahri während eines Besuchs in Tel Aviv. »Zwischen beiden Ländern fanden diplomatische und militärische Engagements regelmäßig statt.«
Der pakistanischstämmige Gründer der Denkfabrik »Islamische Theologie für Terrorismusbekämpfung« der Universität Leicester hat zahlreiche Forschungsbeiträge zum Nahostkonflikt verfasst und ist Direktor der Pakistan Israel Alliance (PIA), einer Organisation, die versucht, Brücken zwischen Muslimen und Juden zu bauen. »Die Golfstaaten drängen Pakistan zu Beziehungen mit Israel«, sagt der Sicherheitsexperte. »Saudi-Arabien möchte Islamabad von seinem Kurs mit Ankara und Teheran abbringen und sie in ihr aufstrebendes Bündnis mit Jerusalem aufnehmen.«
Obwohl Pakistan die Gründung Israels 1948 nicht anerkannte, gab es trotzdem immer wieder eine verdeckte Zusammenarbeit auf Geheimdienst- oder Militärebene. In den Nahostkriegen unterstützte es militärisch die arabischen Staaten und nahm mit seinen Luftstreitkräften aktiv an den Kämpfen 1967 und 1973 teil. Als Jerusalem 1982 plante, von Indien aus pakistanische Nuklearanlagen zu zerstören, wäre es fast zu einem Krieg zwischen Pakistan und Indien gekommen, das daraufhin die israelische Operation absagte.
ÖKONOMIE »Pakistan hofft, bei einem Abkommen mit Israel seine Beziehungen zu Saudi-Arabien zu verbessern«, sagt Dahri. »Riad hat seine Finanzhilfen und Ölexporte gestoppt. Genauso wie die Vereinigten Arabischen Emirate, die auch die Visaerteilung einstellten.« Für die pakistanische Ökonomie, die durch ihre in den Golfstaaten arbeitenden Bürger mehrere Milliarden US-Dollar erwirtschaftet, ist dies ein schwerer Schlag. »Pakistan braucht Verbündete in der Region, um Indiens wachsende Beziehungen im Nahen Osten auszugleichen«, erklärt der Terrorexperte.
Die Unterstützung der Taliban gehört zur Strategie des Regimes in Islamabad.
Angesichts der militärischen Zusammenarbeit zwischen Islamabad und Riad drängt die pakistanische Armeeführung Khan zur Annäherung an Israel. Der Premier fordert aber zuerst eine bessere Regelung für die Palästinenser. Um konservative Oppositionsparteien zu beschwichtigen, versuchte seine Regierung erfolgreich, ein islamistisches Regime in Afghanistan unter Führung der Taliban zu stützen, die dort jetzt nach mehr als 20 Jahren wieder die Macht zu übernehmen drohen. Gleichzeitig will sie das dort von den USA hinterlassene Vakuum füllen und ihren Einfluss in der Region stärken.
»Das US-Taliban-Abkommen war ein Erfolg für die langjährige Strategie Pakistans, militante Islamisten als strategisches Kapital einzusetzen«, schrieb Kunwar Khuldune Shahid noch vor dem Abzug der US-Truppen in der israelischen Tageszeitung »Haaretz«. »Islamabad möchte die Taliban-Herrschaft in Kabul etablieren, da der NATO-Abzug bevorsteht.« Für den pakistanischen Journalisten spiegelt sich diese Unterstützung in den Narrativen wider, die in der politischen Sphäre verbreitet werden.
Auch würde das Khan-Regime Terroristen als Märtyrer feiern und es den USA nicht erlauben, von seinem Territorium aus grenzüberschreitende Antiterrormissionen durchzuführen. »Es ist die Paradoxie eines muslimisch-antisemitischen Regimes, das eine zweigleisige Politik betreibt«, erklärte Shahid. »Sie unterstützen ein islamisches Emirat in Afghanistan und suchen gleichzeitig Verbindungen zum jüdischen Staat.«
VERMITTLER Die Motivation einer Annäherung zwischen Islamabad und Jerusalem liegt in einem seltsamen und widersprüchlichen geopolitischen Viereck mit Kabul und Riad. Als Vermittler könnten die USA und die Golfstaaten Geheimdienst- und Militärkooperation beider Länder fördern und Pakistan dazu bringen, trotz seiner innenpolitischen Zwänge sich schrittweise Israel zu nähern.
»Ein Handelsabkommen oder eine Investitionspartnerschaft, die auf die wichtigsten Bedürfnisse beider Länder ausgerichtet ist, wäre ein Anfang«, sagt Elias Solomon. Für den Sicherheitsexperten beweist die Welle der Normalisierungsabkommen mit einigen arabischen Staaten, dass zwischen ehemaligen Feinden ein warmer Frieden möglich ist. Als gläubiger Jude der auf Frieden mit weiteren Staaten hofft, zitiert er den Talmud: »Herr der Welt, mögest du Israel erlösen. Und willst du nicht, so erlöse die Nichtjuden.«