Vinyl

Schwarzes Gold

Foto: Getty Images

Vinyl

Schwarzes Gold

Auch in Israel feiert die gute alte Schallplatte ihr Comeback

von Ralf Balke  21.08.2022 06:00 Uhr

Früher waren sie sofort zu erkennen. »Wenn man vom typischen Plattensammler sprach, dann handelte es sich fast immer um einen älteren Mann aschkenasischer Herkunft«, bringt es Elad Eisenstein auf den Punkt.

»Und da sind noch die DJs zu nennen, die Vinyl ohnehin stets die Treue gehalten hatten«, so einer der beiden Inhaber von Beatnik, einem Plattenladen im trendigen Florentin-Viertel von Tel Aviv. Heute dagegen ist die Fan-Gemeinde deutlich größer und diverser. »Wir haben Teenager, die zu uns kommen und nach Hip-Hop-Scheiben suchen, selbstverständlich die vielen Hipster, für die Vinyl einfach nur cool ist, aber auch immer mehr Frauen, die Platten sammeln.«

Entsprechend vielfältig ist das Sortiment. Angefangen von Jazz über Alternative Music bis hin zu Soundtracks ist alles zu haben, entweder als Second-Hand-Platte oder frisch gepresst.

Geschmack Weil Streamingplattformen wie Spotify oder Apple Music israelische Musik nur sehr begrenzt zur Verfügung stellen, ist das Angebot von Künstlern wie Arik Einstein, Chaverim shel Natasha oder Noga Erez hier besonders groß. »Manche unserer Kunden kaufen ausschließlich alte, gebrauchte Scheiben, andere suchen nach Neuauflagen genau der Platten, die sie früher als Kind oder Teenager gehört haben«, ergänzt Guy Greenberg, Eisensteins Kompagnon.

Je nachdem, wen man fragt, heißt es, dass der Boom vor ungefähr zehn Jahren einsetzte.

Auch kann der Geschmack mitunter recht exotisch ausfallen. »Einige interessieren sich ausschließlich für griechischen Pop, psychedelische Musik aus dem Iran oder türkischen Rock.« Für Greenberg hat das viel mit der unterschiedlichen Herkunft der Israelis zu tun. »Dabei müssen die Fans nicht unbedingt familiäre Wurzeln in diesen Kulturen haben. Sie lieben diese Musik einfach.« Und oftmals ist sie nur auf Vinyl erhältlich.

Nicht nur das sind Gründe, warum die Schallplatte ein Comeback feiert, und zwar weltweit. So wurde in den USA 2021 Musik auf Vinyl im Wert von rund einer Milliarde Dollar verkauft, ein Plus von 61 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für Israel mit seinem relativ kleinen Markt liegen keine konkreten Zahlen vor. Aber zwölf Plattengeschäfte allein in Tel Aviv sprechen eine deutliche Sprache.

plattenbörsen Je nachdem, wen man fragt, heißt es, dass der Boom vor ungefähr zehn Jahren einsetzte. Damals ging man noch auf Flohmärkte oder zu Plattenbörsen, um Musik zu suchen oder anzubieten. »So fing es auch bei uns an«, berichtet Eisenstein. »Irgendwann hatten wir keine Lust mehr, schwere Kisten mit Hunderten von Platten durch die Gegend zu tragen.« Im Jahr 2015 schließlich eröffnete er gemeinsam mit Greenberg den Laden.

Dabei hat das letzte Presswerk für Schallplatten in Israel bereits 1992 dichtgemacht, jeder sattelte damals auf CDs um. Und genau das ist ein Problem, wenn israelische Musiker ihre Songs auf Vinyl veröffentlichen wollen. Alles muss im Ausland bestellt werden. Dabei sind die Auflagen relativ klein.

Je nach Bekanntheitsgrad des Künstlers läuft es auf etwa 300 bis 1500 Scheiben hinaus. Und die sind dann relativ teuer. So wie beispielsweise die neue Kaveret-Box, die alle Platten der alten Kultband von Gidi Gov, bekannt aus der TV-Kultserie Zehu Ze, beinhaltet. Sie kostet satte 400 Schekel, also über 110 Euro. Neuerscheinungen sind ebenfalls kaum unter 100 Schekel zu haben.

schattendasein »Etwa 100 Platten israelischer Künstler kommen jedes Jahr auf den Markt«, weiß Motti Cohen zu berichten. »30 bis 40 davon sind Neuauflagen alter Scheiben, bei den übrigen handelt es sich um aktuelle Musik«, so der Manager von Haozen Hashlishit, dem größten Geschäft für israelische Musikliebhaber auf der King-George-Straße in Tel Aviv. Lange Zeit fristete Vinyl dort eher ein Schattendasein. Es gab nur eine kleine Ecke für gebrauchte Scheiben. Heute dagegen nimmt Vinyl rund 80 Prozent der Ladenfläche ein.

Und es lohnt sich. Liebhaberstücke gehen schnell für einige Hundert Schekel über den Tisch. Die teuerste Platte, die er jemals verkauft hatte, war eine perfekt erhaltene Erstpressung der Churchills, einer israelischen Progressive Rock Band aus den späten 60er-Jahren. »Und zwar für 18.000 Schekel«, umgerechnet mehr als 5100 Euro.

»Etwa 100 Platten israelischer Künstler kommen jedes Jahr auf den Markt.«

Motti Cohen


So viel Geld würde Yoram Mittelstadt nicht für eine Schallplatte hinlegen. »Auch ich habe Vinyl vor vielleicht zehn oder zwölf Jahren wiederentdeckt und bin bald auf jede Plattenbörse gegangen«, so der 57-jährige Consultant aus Tel Aviv, der mittlerweile zwei Plattenspieler sowie eine Sammlung von über 800 Scheiben sein Eigen nennt, darunter einige wertvolle Erstpressungen oder Limited Editions. »Mich fasziniert vor allem die künstlerische Gestaltung der Plattencover, auch der israelischen. Manche, wie beispielsweise das Album der alten Band Shlosharim, wurden von so bekannten Grafikern wie David Tartakover entworfen.«

Genau diesen ästhetischen Genuss können Streamingdienste nicht vermitteln. Aber noch etwas unterscheidet die Schallplatte von Spotify & Co. und macht ihren Reiz aus: »Es gibt eine soziale Komponente«, glaubt Mittelstadt. »Man trifft sich nicht mit Freunden, um Daten-Häppchen zu hören. Bei Vinyl ist das völlig anders.« Da entsteht eine Interaktion, man tauscht sich aus und setzt sich intensiver mit der Musik auseinander. »Schallplatten sind einfach sexy«, fasst Mittelstadt den Trend zusammen.

Meinung

Die Namen in die Welt schreien

24 junge Männer in der Gewalt der Hamas sind wahrscheinlich noch am Leben - sie können und müssen durch ein Abkommen gerettet werden

von Sabine Brandes  28.04.2025

Jerusalem

Bringt Bennett die Wende bei Wahlen?

Nach einer aktuellen Umfrage bekäme Premier Netanjahu keinen rechts-religiösen Block mehr zustande - würde jetzt gewählt

von Sabine Brandes  28.04.2025

Jerusalem/Den Haag

Israel verweigert Anhörung vor höchstem UN-Gericht

Es geht um die angeblichen Verpflichtungen des jüdischen Staates in den Palästinensergebieten. Außenminister Sa’ar begründet die Position der Regierung

 28.04.2025

Kyoto

Israelischer Tourist muss »Kriegsverbrechen-Deklaration« unterschreiben

In einem Hotel muss ein israelischer Gast schriftlich versichern, nicht an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein

 28.04.2025

Nahost

Israelischer Luftangriff auf Hisbollah-Ziel in Beirut

Die israelische Luftwaffe hat erneut ein Ziel in Beirut angegriffen. Als Grund gibt Israel einen Verstoß der Hisbollah gegen die Vereinbarung mit dem Libanon an

 27.04.2025

Terror

Ex-Geisel Krivoi: »Sie foltern Matan mit Stromschlägen«

Die ehemalige Geisel Ron Krivoi spricht über die Qualen der verschleppten Israelis durch die Hamas in den Terror-Tunneln

von Sabine Brandes  27.04.2025

PLO

Neuer starker Mann im Westjordanland?

Hussein al-Scheich bekleidet das neugeschaffene Amt des Stellvertreters von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas – und ist damit dessen potenzieller Nachfolger

 27.04.2025

Gaza

Hamas erklärt Bereitschaft für mehrjährigen Waffenstillstand

Im Gegenzug sollen alle Geiseln aus Gaza freikommen. Zuvor hatte die Terrororganisation einen israelischen Vorschlag abgelehnt

 27.04.2025

Nahost

Huthi feuern Rakete auf Israel

Bereits in der zweiten Nacht in Folge heulten in weiten Teilen Israels Alarmsirenen. Die israelische Armee hat das Geschoss abgefangen

 27.04.2025