EILMELDUNG! Hamas droht mit Ermordung israelischer Geiseln

Kurierdienst

Schnell, schneller, türkis

Rund 9000 Fahrer beschäftigt der Kurierdienst Wolt in 23 Orten in Israel: Zeitlich flexibel, aber stets in Eile begehen sie auch Verkehrsdelikte, die sie selbst und andere gefährden. Foto: Flash90

Flügel haben sie keine. Obwohl man manchmal nicht sicher sein kann, ob sie vielleicht doch die Schwerkraft überwinden. Wenn auch nur für einen Moment. Geht man in Tel Aviv über die Straße und sieht im Augenwinkel einen blau-grünen Streif vorüberziehen, dann war es mit großer Wahrscheinlichkeit ein Kurierfahrer von Wolt. In Israel trägt Hermes Türkis.

Verehrt werden die Kurierfahrer in der Stadt, in der alles begann, tatsächlich fast wie Götterboten. Im Mai 2021, als der Krieg mit Gaza tobte, Tausende Geschosse gen Israel flogen und auch Tel Aviv trafen, kursierte ein makabrer Witz in den sozialen Netzwerken: »Was ist das Schlimmste an den Raketen der Hamas? Dass Wolt dann nicht fährt.«
Wenn auch nicht im Raketenhagel, so trotzen die Fahrer sonst doch fast jeder Widrigkeit auf den Straßen und liefern bei Wind und Wetter. »Sie sind echte Helden«, findet Rotem Yakov. »Die trauen sich immer raus, ob strömender Regen oder 35 Grad im Schatten, und liefern zuverlässig und schnell.«

Schnelligkeit Die rund 9000 Fahrer, die im ganzen Land umherdüsen, arbeiten als Freiberufler, sind also flexibel in der Zeitgestaltung. Manche arbeiten nur einige Stunden im Monat, andere schwingen sich jeden Tag auf ihr Fahrrad oder Moped. Zum Grundverdienst pro Lieferung leben die Wolt-Fahrer vom Trinkgeld. Besondere Voraussetzungen für den Job gibt es außer einem fahrbaren Untersatz und einem Smartphone keine. Nur die Farbe Türkis sollte man mögen, denn die unverkennbaren T-Shirts und quadratischen Boxen auf dem Gepäckträger in der charakteristischen Farbe sind absolutes Muss.

Ein Witz lautet: »Was ist das Schlimmste an den Raketen der Hamas? Dass Wolt nicht fährt.«

Yakov, die Single-Frau, die in der Hightech-Branche arbeitet, bestellt mindestens einmal die Woche und hat es sich zum Prinzip gemacht, den Fahrern mindestens zehn Prozent des Bestellwertes extra zu geben. »Wenn ich ausgehe, in ein Restaurant oder eine Bar, gebe ich den Kellnern selbstverständlich Trinkgeld. Also steht es bei der Bestellung nach Hause dem Kurier zu.« Der »Tip« gehört bei Wolt allerdings nicht unbedingt dazu, kann aber freiwillig in der App angeklickt werden.

Einer der Fahrer ist Alex. Seinen vollen Namen möchte er nicht nennen, weil sein hauptsächlicher Arbeitgeber keinen Zusatzjob erlaubt. Doch Alex, ein Geflüchteter aus Eritrea, ist auf die Schekel vom Lieferservice angewiesen, um seine Familie zu ernähren. »Tel Aviv ist teuer«, sagt er auf Englisch. Also nutzt er täglich seine Mittagspause, um im Zentrum Restaurantspeisen an Kunden auszufahren. Bis zu fünf Lieferungen schafft er dann mit seinem Elektrobike. Je mehr Lieferungen, desto mehr Geld. Alex bringt es auf den Punkt: »Tel Aviv mag es schnell – und schnell bin ich auch.«

Doch die Dienstleistung hat nicht nur Fans. Der Ausschuss der Knesset für Verkehr brachte das Thema »Kuriere« kürzlich auf die Tagesordnung, weil innerhalb von drei Jahren 80 Menschen bei Verkehrsunfällen verletzt wurden, an denen Fahrer der Lieferservices beteiligt waren. »Die Boten haben es immer eilig«, so Oz Dror von der Organisation Or Yarok, die sich für Verkehrssicherheit einsetzt. »Diese sogenannte Gig-Beschäftigung bringt sie dazu, viele Verkehrsdelikte zu begehen, sich selbst und andere zu gefährden.«

Allerdings hält Dror nicht die Fahrer, sondern die Kurierunternehmen für verantwortlich, denn die Art der Jobs, die sie bieten, wo es nur um Schnelligkeit gehe, fördere die Umgehung der Verkehrsregeln.

Plattform Wolt, gegründet in Finnland, kam 2018 nach Israel und ist heute in 23 Orten aktiv, darunter neben den Großstädten Tel Aviv, Haifa und Jerusalem auch in Ramat Gan, Herzliya, Netanya, Kfar Saba, Aschdod und Yavne. Eigentlich handelt es sich bei Wolt um eine Plattform mit App, auf der sich diejenigen, die ihre Waren liefern wollen, eintragen können. Natürlich gegen eine Gebühr. Bis heute haben das mehr als 2500 Restaurants, Convenience-Stores, Supermärkte, Floristen, Apotheken, Buchhandlungen, Tierbedarfsläden und andere Geschäfte getan.

Und jetzt hat Wolt in Tel Aviv sogar seinen eigenen Supermarkt eröffnet. »Statt des einen großen Wocheneinkaufs wird Lebensmittel-Shopping dadurch viel unmittelbarer und häufiger möglich«, ist Lior Eshkol, Geschäftsführerin von Wolt Israel, sicher. »Die technologischen und operativen Fähigkeiten, die wir in dreieinhalb Jahren entwickelt haben, machen es möglich, dass wir unseren Kunden die Einkaufserlebnisse bieten, die sie sich wünschen.«

Oft wird das Leben in der Metropole am Mittelmeer als »schnell und unkompliziert« beschrieben. Deshalb scheint der Lieferservice so gut hierher zu passen.

»Wolt Market« wird ausschließlich für Lieferungen betrieben und zunächst nur das Zentrum von Tel Aviv abdecken. Der Laden verfügt über rund 3000 verschiedene Produkte, darunter Molkereiwaren, frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Brot, Tiefkühlprodukte, Getränke, Hygiene- und Reinigungsprodukte, Säuglingsnahrung und Windeln. Die Waren sollen schon eine halbe Stunde nach dem Aussuchen in der App vor der Haustür stehen. In so kurzer Zeit schaffen die wenigsten den Einkauf im Supermarkt.

Oft wird das Leben in der Metropole am Mittelmeer als »schnell und unkompliziert« beschrieben. Deshalb scheint der Lieferservice so gut hierher zu passen. »Ich bestelle das frische Brot von meiner Lieblingsbäckerei jetzt immer mit einem Klick, es ist tatsächlich so einfach«, erzählt Omer Dahan aus Tel Aviv. »Früher musste ich 20 Minuten mit dem Auto in den Laden fahren, stand oft im Stau und habe mich geärgert. Durch Wolt muss ich meine Freizeit nicht mehr dafür vergeuden. Wenn ich bestellt habe, sagt mir die App: ›Lehn dich zurück und relax.‹ Und das mache ich dann, bis der Bote in Türkis an meiner Tür klingelt.«

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