Es war ein Wahlkampf wie eine Schlammschlacht. Israel wählt in diesen Stunden die Parteien, die die 20. Knesset bilden werden. In den Wochen zuvor hatten sich die Politiker gegenseitig mit Vorwürfen überhäuft.
»Wenn wir es nicht sind, dann sind die es«, stand wie eine dunkle Vorahnung auf den Plakaten des Likud geschrieben. Und die Rivalen von der Zionistischen Union drohten, als befänden sie sich mitten in einem Rosenkrieg: »Wir – oder er«. Mit »er« war der amtierende Regierungschef Benjamin Netanjahu gemeint, der jetzt um seine Wiederwahl kämpft.
Von Programmen oder Inhalten war in den Kampagnen wenig die Rede. Es ging den Parteien hauptsächlich darum, die Versäumnisse der anderen hervorzuheben. In Sderot sind die Straßen mit Postern des Likud, von Schas und dem Jüdischen Haus gepflastert.
Die von Raketen gebeutelte Kleinstadt am Rande des Gazastreifens ist traditionell Hochburg der Rechts- und religiösen Parteien. Noch sind die Stimmen nicht ausgezählt, doch Umfragen bestätigen, dass sich daran auch nach dem Krieg gegen die Hamas vom vergangenen Sommer nicht viel geändert hat.
Meretz Im Zentrum von Tel Aviv sieht es anders aus. Hier, in der Hochburg der Zentrums- und Linkswähler, dominieren die Plakate von Meretz, der Zionistischen Union und Jesch Atid. Netanjahu schaut auffallend selten von Häuserwänden oder Balkonballustraden. Die Menschen spazieren durch die Straßen, genießen das warme Frühlingswetter in den Cafés und machen auf dem Weg zum Wahllokal einen Abstecher ans Meer.
Auf der Lilienblum-Straße ist das Hauptquartier der Grassroot-Organisation V15 (Victory 15) angesiedelt, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, einen Wandel im Land hervorzurufen. Die jungen Leute vor dem Büro auf der trendigen Straße mit Cafés und Boutiquen scheinen sicher zu sein, dass die Zahlen heute nach 22 Uhr Grund zum Jubel geben werden. »Na klar, wir werden heute Abend feiern«, ruft ein junger Mann mit dem Kampagnenlogo auf dem T-Shirt.
Der Leiter einer Großbaustelle im Viertel Newe Zedek von Tel Aviv hat heute Morgen um acht Uhr auf dem Weg zur Arbeit gewählt. »Für das jüdische Haus«, ruft der Mann mit der Kippa auf dem Kopf knapp, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwendet. Direkt vor der Baustelle weht ein überdimensionales Poster in Grün-Weiß im Frühlingswind, auf dem Meretz-Chefin Zahava Gal-On die Tel Aviver um Stimmen bittet.
SMS Naftali Bennett, den Vorsitzenden der nationalreligiösen Partei, die verstärkt von Siedlern gewählt wird, dürfte die Aussage des Bauleiters freuen. Denn nach letzten Voraussagen schwand seine Popularität kurz vor den Wahlen zusehends. Mit SMS, E-Mails und Telefonanrufen an potenzielle Wähler nur wenige Stunden vor dem Urnengang versuchte er, den Trend aufzuhalten.
Ex-Finanzminister Yair Lapid war einer der wenigen, der kaum über andere herzog. Er halte sich bewusst aus den Schlammschlachten der anderen heraus und konzentriere sich auf das Wesentliche, betonte er mehrfach. Die letzten Wochen nutzte Lapid, um Wahlkampf auf der Straße zu machen, sprach in Altenheimen, streikte gemeinsam mit Chemiearbeitern, die um ihren Arbeitsplatz fürchteten, und erklärte seine Vorstellung von einer gerechteren Gesellschaft in Israel.
Sogar am Wahltag selbst wurde er nicht müde, sich dem Volk zu zeigen. In Ramat Pinkas ging er gemeinsam mit dem Brautpaar Victoria und Gary wählen. Die erklärten, wie wichtig es ihnen sei, für ihre Kinder zu stimmen, bevor sie heirateten. »Wir glauben, dass Yair Lapid mit seiner Jesch-Atid-Partei die Zukunft ist.« Der Vorsitzende der Partei zeigte sich glücklich ob dieses Vertrauensbeweises und sagte: »Eine Stimme für uns ist wirklich eine Stimme für eine bessere Zukunft für uns und unsere Kinder«.
Schulfrei Am Strand von Herzlija schäkert eine Gruppe von Teenagern. Heute, am Wahltag, ist schulfrei, die meisten Bildungseinrichtungen werden als Wahllokale genutzt. Ins Wasser trauen sich an diesem zwar sonnigen, doch windigen Dienstagnachmittag nur wenige. Die 15- bis 16-jährigen Jungs und Mädchen aus der Alon-Schule in Ramat Hascharon haben, obwohl noch nicht wahlberechtigt, durchaus eine Meinung.
»Ich habe für Lapid gestimmt«, sagt Ben, ein hochgewachsener Zehntklässler. Auf die Anmerkung, dass man in Israel doch aber erst ab 18 wählen kann, erklärt er, dass in den Oberschulen des Landes einige Tage vor den tatsächlichen Wahlen an den Schulen gewählt werde. Mädchen und Jungs geben Wahlzettel ab und tun so, als würde ihre Stimme gezählt. »Es ist alles wie bei einer echten Wahl, nur einen Premierminister haben wir nicht«, sagt Ben und lacht, »sonst hätte ich mich natürlich aufstellen lassen.«
konflikte Im Café nebenan sitzen die Altmans, die aus dem Wahllokal an den Strand gekommen sind, um das schöne Wetter an diesem arbeitsfreien Mittwoch zu genießen. Vater Menachem hat bislang den Likud unterstützt, Mutter Yael gibt ihre Stimme seit Jahren der Linkspartei Meretz. »Wir reden zu Hause nicht über Politik«, wiegelt sie die Frage ab, ob das nicht zu Konflikten führe.
»Aber vor diesen Wahlen haben wir es doch getan, und meine Frau hat mich überzeugt, für Herzog zu stimmen, damit Netanjahu abgewählt wird. Ich bin wahrlich kein Fan der Arbeitspartei«, redet sich Menachem seinen Frust von der Seele, »aber die jetzige Regierung hat unserem Land enormen Schaden zugefügt. Vor allem bei der Außenpolitik und in der Wirtschaft. Das muss ein Ende haben«. »Stimmt«, mischt sich seine Ehefrau ein, »wir hoffen sehr, dass dieses Ende schon heute Abend kommt«.