Es hat definitiv etwas Poetisches. Wenn die Sonne durch die farbigen Felder blitzt und blaue, grüne, gelbe, rote Lichter an die Wand projiziert, kommt man ins Träumen. Vielleicht von der Unversehrtheit der Natur, einer besseren Welt. Blickt man durch die Öffnungen ins Innere der Installation, berauscht die Schönheit. Doch das Kunstwerk von Beverly Barkat ist nicht nur schön – es ist auch durch und durch scheußlich. Gebaut aus Bambusfeldern voller Meeresplastik, stellt die große Sphäre unseren Erdball dar.
Vor wenigen Tagen erst vollendete die Künstlerin das Werk. Hier, im Eingangsfoyer des Gottesman Family Israel Aquarium in Jerusalem, stellt sie es zum ersten Mal aus. Mindestens sechs Monate lang soll es an dieser Stelle zu sehen sein, bevor es in sein permanentes Zuhause im World Trade Center in New York umzieht. Wichtig ist Barkat vor allem, dass junge Menschen Zugang finden und durch das Projekt lernen.
Aktivismus »Earth Poetica« ist eine poetische Darstellung der inneren Welt der Künstlerin, die zu jedem einzelnen Kontinent eine besondere Verbindung hat, und ein Aufruf zum kollektiven Aktivismus. Sie wurde in Südafrika geboren und machte mit zehn Jahren gemeinsam mit ihren Eltern Alija. Barkat, Ehefrau des Knessetabgeordneten für den Likud und ehemaligen Bürgermeisters von Jerusalem, Nir Barkat, ist eine international renommierte Künstlerin, die sich in verschiedenen Genres ausprobierte, von Schmuckdesign über Ölgemälde und Skulpturen, »bevor ich meine Stimme in der Kunst fand«.
»Das Plastik ist meine Palette, es sind die Farben, mit denen ich male.«
Beverly Barkat
Die Stimme von »Earth Poetica« ist laut und klar: »Ist dies, was wir unseren Kindern hinterlassen?« Sie habe Bilder von Kindern im Kopf, die über eigentlich wunderschöne Strände laufen, die aber über und über mit Plastik bedeckt sind. Die Kinder wühlen in dem Müll, um Teile zu verkaufen. »Dann erinnerte ich mich daran, dass ich als Kind an ähnlichen Stränden gespielt habe. Ich sammelte Muscheln.«
wandel Als sie die Einladung bekam, im World Trade Center auszustellen, war ihr klar, dass es etwas Großes, Bleibendes werden muss. Obwohl sie, wie sie selbst betont, keine künstlerische Aktivistin ist, »wollte ich etwas schaffen, das einen Wandel herbeiführen kann«.
Vor drei Jahren startete sie das Projekt. Als sie aus New York zurückkam, begann sie, Plastik zu sammeln, transparent, opak, bunt, härter und weicher … »Es ist unglaublich, wie viele Arten von Plastik es gibt.« Das ist beispielhaft an der Wand ausgestellt. Von den Säcken voller Müll, die ihr Menschen aus der ganzen Welt schickten, über die einzelnen Verpackungsmaterialien bis hin zu den geschredderten Plastikteilchen, die die Künstlerin für ihre Arbeit benutzte.
»Das Plastik ist meine Palette, es sind die Farben, mit denen ich male. Das Weiß für den Nordpol musste ein anderes sein als für den Südpol.« Manchmal fehlte ihr ein Ton, den sie in Israel nicht finden konnte. »Beispielsweise ein ganz besonderes Grün, das es nur bei Mineralwasserflaschen in Australien gibt. Kein anderes konnte der Fluss Nil sein.«
Da sie während der Pandemie Israel kaum verlassen konnte, bat sie Freunde, es zu sammeln und ihr zu schicken. Besonders wichtig bei der Herstellung von »Earth Poetica« sei ihr die Bewegung auf unserer Erde gewesen: in den Meeren, den Wäldern, den Städten. »Ich habe mir die Strömungen in meinem Kopf vorgestellt und sie dann kreiert.«
Topografie Für die genaue Darstellung der Topografie der Kontinente und Strömungen der Ozeane benutzte sie alte Karten aus einem Second-Hand-Geschäft in Jerusalem, verschiedene Globen und Google Earth. Doch das imposante Werk bedurfte auch der »akribisch genauen Planung und feinsten Handarbeit«. Als Außengerüst wurde ein Metallrahmen geschmiedet, in den »Bausteine« aus Bambus gesetzt wurden, »eines der wichtigsten Materialien für die Zukunft«, wie sie meint. Die Bambusrechtecke wurden mit farbigem Plastik gefüllt.
Neben Plastikflaschen, Tüten, Boxen und anderer Verpackung machen 60 Prozent des Mülls in den Ozeanen heutzutage alte Fischernetze aus.
»Wenn es nicht akkurat war, passte es nicht und ergab keinen Globus.« Für sie ein Lernprozess. »Irgendwann kam mir die Idee, dass ich die Bambusstangen aufschneiden und so ein Dreieck bilden konnte. Hat man ein Dreieck, entsteht daraus ein Kreis.«
schock Einen Lernprozess wünscht sich Beverly Barkat auch für die Besucher. »Wenn die Menschen hereinkommen, möchte ich, dass sie unseren Planeten Erde sehen und ob der Schönheit in Verzückung geraten.« Dann jedoch der Schock: »Betrachten sie ihn aus der Nähe, sehen sie, dass es Plastik und Müll ist. Und zwar von uns selbst verursacht.«
Neben Plastikflaschen, Tüten, Boxen und anderer Verpackung machen 60 Prozent des Mülls in den Ozeanen heutzutage alte Fischernetze aus. Tragisch für die Bewohner der Gewässer – Fische, Schildkröten und Meeressäuger, die oft in den Netzen hängen bleiben und qualvoll verenden. Im Aquarium können die Besucher dazu mehr erfahren.
Erreichen möchte die Künstlerin mit ihrer Installation hauptsächlich zwei Dinge: »Dass ich so viele Menschen wie möglich an experimentelle Kunst heranführe, denn wir brauchen Kunst zum Leben.« Außerdem möchte sie, dass jeder zweimal überlegt: »Muss ich diese Plastikflasche oder diese Tüte wirklich benutzen oder vermeide ich es besser?« Denn sie weiß: »Wenn wir so weitermachen, wird unser kompletter Erdball – und nicht nur die Meere, sondern alle wunderschönen Landschaften – bald komplett mit Plastik überzogen sein. Wir versinken im Müll.«