Netanjahu soll sich scheiden lassen. Das fordern die überdimensionalen Poster, die in den vergangenen Tagen an vielen großen Straßenkreuzungen in ganz Israel aufgetaucht sind. Ebenso sollen sich Yair Lapid, Mosche Kachlon und Justizministerin Ayelet Shaked trennen. Doch die Plakate haben nichts mit den Ehepartnern der Politiker zu tun. Vielmehr geht es um eine »Scheidung von den Palästinensern«. Diejenigen, die dazu aufrufen, sind pensionierte Sicherheitsexperten von Armee, Geheimdiensten und Polizei aus den höchsten Rängen.
Die »Commanders for Israel’s Security« (CIS) wollen mit ihrer landesweiten Aktion aufrütteln. CIS besteht aus rund 300 Israelis, die sich mit dem Thema genauestens auskennen. Gegründet vor vier Jahren von Generalmajor Amnon Reschef, ein Held des Jom-Kippur-Krieges, hat die Organisation ein erklärtes Ziel: den zionistischen Traum am Leben zu erhalten. Motivation für die Scheidungskampagne ist die Sorge der Mitglieder, dass sich »die Knesset langsam in Richtung Annexion des palästinensischen Westjordanlandes bewegt«. Dieser Schritt aber würde Israel in einen binationalen Staat umwandeln und den jüdischen Charakter für immer ändern, warnt die Gruppe.
Mehrheit »Wir sorgen uns, dass wir eine unwiderrufliche Lage erreichen, die die Realität bestimmt und das Ende der zionistischen Vision eines jüdischen Staates mit sich bringt, einer Demokratie mit jüdischer Mehrheit«, erläutert Generalmajor Avi Misrachi, der von 2009 bis 2012 als Leiter des militärischen Zentralkommandos eingesetzt war. »Wenn man einen Teil des Gebietes per Gesetz einnimmt, zeigt man den Palästinensern, dass es für sie keine Hoffnung mehr gibt, einen eigenen Staat zu erhalten. Sie sind dann für immer mit uns verbunden.« Und in diesem Fall, ist er sicher, werden sie schlicht fordern, Bürger Israels zu werden.
Auch der unbegrenzte Bau jüdischer Siedlungen auf Palästinensergebiet sei ein Problem, meinen die Mitglieder.
Auch der unbegrenzte Bau jüdischer Siedlungen auf Palästinensergebiet sei ein Problem, meinen die Mitglieder. Dies werde zukünftige israelische Regierungen von der Entscheidung abhalten, sich aus den Gebieten zurückzuziehen. Viele Palästinenser sähen schon heute die Lösung in einem einzigen Staat, weiß Gadi Schamni aus Gesprächen. Auch er ist Generalmajor, war der Chef des Zentralkommandos der IDF und Israels Militärattaché in Washington. »Allerdings aus einem anderen Grund als die Rechtsaußen-Politiker. Die Palästinenser hätten gern einen Staat, in dem sie in Tel Aviv arbeiten und leben können. Doch wir wollen nicht, das dies geschieht.«
Um »die Sicherheit und Zukunft Israels« zu gewährleisten, schlägt CIS zwei hauptsächliche Schritte vor. Erstens sollte ihrer Meinung nach die Sicherheitsbarriere um das Westjordanland fertiggestellt werden. Derzeit hat diese noch drei große Lücken. Allerdings sollte dies mit der Ankündigung geschehen, dass über das Gebiet östlich der Mauer verhandelt werden kann. Zweitens müsse daran gearbeitet werden, dass die Palästinenser die Hoffnung auf einen eigenen Staat nicht verlieren – auch wenn dessen Gründung derzeit nicht möglich erscheint.
Barriere Rolli Giron, ehemaliger Abteilungsleiter des Mossad, unterstreicht, dass seine Organisation keinen unilateralen Rückzug der Sicherheitskräfte aus dem Westjordanland propagiert. »Im Gegenteil, wir wollen, dass Armee und Geheimdienst dableiben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Stattdessen sollen die israelischen Zivilisten östlich der Barriere abgezogen werden, um die Spannungen mit den Palästinensern zu verringern und auf eine Lösung hinzuarbeiten.«
Warum gerade jetzt eine Kampagne dieser Art? »Weil wir Alarm schlagen wollen gegen die schleichenden Maßnahmen der Regierung in Richtung der Annexion von Judäa und Samaria. Denn das brächte eine Katastrophe für Israel.« Giron fügt hinzu, dass die Gruppe keiner bestimmten politischen Richtung angehöre und auch keineswegs die Koalition unterminieren wolle. »Es ist eine demokratisch gewählte Regierung, die ihre legitime Agenda verfolgt.« Allerdings habe sie es versäumt, die Implikationen einer Annexion genauestens zu untersuchen. Nach Meinung von CIS ist dies aber eine absolute Notwendigkeit.
Die Mitglieder von CIS wollen den jüdischen Charakter des Staates bewahren.
CIS nimmt auch auf die aktuelle Sicherheitslage außerhalb der Palästinensergebiete Bezug. Schamni argumentiert: Die Ausschaltung der Terrortunnel der Hisbollah, die Entwicklungen in Syrien, die wiederkehrenden Kampfrunden im Süden sowie die Terroranschläge im Westjordanland zeigten deutlich, wie schnell sich die Sicherheitsprobleme Israels entwickeln, und natürlich dürfe man die nicht auf die leichte Schulter nehmen. »Doch keiner dieser Fälle bedroht unsere Existenz. Israel ist viel stärker als all jene, die es herausfordern – nicht nur im Sicherheitsbereich.«
Annexion Eine Annexion von Palästinensergebieten aber würde in der Region und international als eine Ansage Israels angesehen werden, die Verhandlungsstrategie zu beenden und die Tür für eine zukünftige Trennung zwischen den beiden Seiten endgültig zuzuschlagen. Zudem würde es die innerpalästinensische Rechtfertigung für eine Zusammenarbeit zwischen palästinensischen und israelischen Sicherheitskräften zerstören. Diese Lücke würde von Kriminalität und Terror gefüllt werden. »Als Folge hätte die Armee keine andere Wahl, als das gesamte Westjordanland mit den Millionen von Einwohnern einzunehmen. Die Palästinensische Autonomiebehörde würde zerfallen, die Hamas der alleinige Anführer des palästinensischen Volkes werden.«
Dieses Szenario sehen die Sicherheitsveteranen als ultimative Bedrohung für Israels Existenz an. Um es zu verhindern, müsse die Regierung, bevor sie entsprechende Gesetze erlässt, den Einfluss einer Annexion auf Wirtschaft, Sicherheit, internationalen Status sowie die Beziehungen mit den Nachbarn genauestens untersuchen. Dann sollten die Ergebnisse der Öffentlichkeit präsentiert werden, damit das Volk wählen kann. »Denn«, resümiert Schamni, »diese Entscheidung kann die zionistische Vision eines sicheren und demokratischen jüdischen Staates mit einer soliden jüdischen Mehrheit für alle kommenden Generationen stark gefährden.« Deshalb sei es an der Zeit, sich von den Palästinensern scheiden zu lassen. »Und zwar jetzt.«