Es ist Montag. Ein warmer Herbsttag. Die Sonne strahlt am blauen Himmel. Unser Bus schlängelt sich durch friedlich stimmende Wälder. Wir erreichen den Rand einer Kleinstadt. Üppige grüne Gärten, Katzen pirschen durch die Nachbarschaft. Idylle pur.
Doch der Schein trügt. Kirjat Schmona, unweit der Grenze zum Libanon, ist eine Geisterstadt. Von den eigentlich über 22.000 Menschen leben hier derzeit nur noch rund 2000. Zehn Prozent, die das Nötigste am Laufen halten. Sie kümmern sich um die Infrastruktur, bewachen private Häuser und öffentliche Einrichtungen.
Seit etwa einem Jahr läuft es so – ein Ende ist nicht in Sicht. Die Bewohner sind über das ganze Land verstreut. Wann die Menschen nach Kirjat Schmona zurückkehren, ist ungewiss.
Smarte Initiative
Die Stadtverwaltung hat mehrere digitale Communities eingerichtet, um den Kontakt zu den eigenen Bürgern zu halten, berichtet uns Bürgermeister Avichai Stern. Eine smarte Initiative. Zerrissene soziale Strukturen, verstreute Familien und private wie berufliche Freundeskreise ersetzt man so allerdings nicht. Weggefallene Arbeitsplätze auch nicht.
Die Angriffe auf die Region hören nicht auf. Am Tag vor unserem Besuch gab es Raketenalarm über der Stadt. Eine Stunde nach unserer Abfahrt erneut. Genauso wie am Tag darauf und am Tag danach. Über 750 Raketen und Drohnen wurden in den vergangenen elf Monaten auf Kirjat Schmona gerichtet und abgefeuert.
Vor Ort berichtet uns die Stadtverwaltung zudem von den lange bekannten Invasionsplänen der Terrororganisation Hisbollah für den Norden Israels. Mit Grauen denken wir gemeinsam an den 7. Oktober, als Tausende von Hamas-Terroristen in den Süden des Landes einfielen, alles zerstörten und massenhaft brutal mordeten.
Längst abgebrannt
Eine kurze Fahrt durch die Stadt. Zur Sicherheit werden Schutzwesten und Helme getragen. Wir halten an einem Kindergarten. Auf dem Spielplatz der Einrichtung ist eine Rakete eingeschlagen. Sie wurde nicht vom Abwehrsystem »Iron Dome« abgefangen. Wir sehen weitere Gebäude und Plätze. Manche Wälder rund um die Stadt sind längst abgebrannt. Verursacht durch Raketenbeschuss.
So wie in Kirjat Schmona sieht es an vielen Orten im Norden Israels aus. Eine Pufferzone im eigenen Land, mehrere Kilometer breit, die unbewohnbar ist. Mehr als 100.000 Personen sind evakuiert – teils angeordnet, teils freiwillig.
Es ist verständlich, dass die Menschen hier so nicht leben können, nicht leben wollen. Es wird auch deutlich, dass es bei den Angriffen der Hisbollah gegen israelische Dörfer und Städte nicht um einen Krieg zwischen zwei Staaten geht, die um Macht, Gebiete oder Geld kämpfen.
Keine Kompromisse
Es ist ein ideologischer, ein religiöser Krieg. Es ist ein Krieg gegen das jüdische Leben. Die Hisbollah will keine Kompromisse. Sie will Juden töten. Weil sie Juden sind.
Wie reagiert Deutschland? Wir haben doch sonst auf alles eine Antwort. Wie leben wir unsere viel zitierte Staatsräson aus? Berichten die deutschen Medien regelmäßig über die Lage im Norden? Sehen wir Interviews mit Betroffenen, die seit einem Jahr evakuiert in Hotelzimmern und Wohnungen fernab der Heimat leben? Und was macht die Bundesregierung? Liefern wir Israel alles, was die einzige Demokratie im Nahen Osten braucht, um sich gegen diesen menschenverachtenden Terrorismus zu schützen?
Wir diskutieren diese Fragen auch mit den Bundestagsabgeordneten von CDU, FDP und Grünen, die im Rahmen der ELNET-Delegation diese jüngst in Israel waren. Wir fühlen gemeinsam mit den Menschen hier. Es muss sich etwas ändern. Jetzt!
Der Autor ist CEO des European Leadership Network (ELNET) in Berlin.