Mehr als 100 extremistische israelische Siedler, zum Teil bewaffnet und maskiert, haben am Donnerstagabend ein palästinensisches Dorf im Westjordanland überfallen. Sie warfen Steine und Molotowcocktails und steckten mindestens vier Häuser und sechs Fahrzeuge in Brand.
Dabei sei auch ein palästinensischer Mann getötet und ein weiterer verletzt worden, gab das Gesundheitsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an. Israelische und internationale Politiker verurteilten den Angriff aufs Schärfste.
Die israelische Armee gab an, wenige Minuten nach der Meldung des »schweren Vorfalls« Truppen und Grenzpolizisten zum Tatort entsandt zu haben und bei der Vertreibung der Israelis aus dem Dorf Mittel zur Aufruhrbekämpfung und scharfe Schusswaffen eingesetzt zu haben.
»Die israelischen Streitkräfte verurteilen Vorfälle dieser Art und die Randalierer, die Sicherheit, Recht und Ordnung gefährden und die IDF und die Sicherheitskräfte von ihrer Hauptaufgabe ablenken, nämlich Terrorismus zu vereiteln und die Sicherheit der Bewohner zu schützen«, fügte das Militär in einer Erklärung hinzu.
Unklar, wodurch Palästinenser getötet wurde
Der 23-jährige Palästinenser Rasheed Seda sei getötet und ein weiterer palästinensischer Zivilist durch die »Kugeln der Siedler« schwer verletzt worden, erklärte die PA und nannte das Geschehen »organisierten Staatsterrorismus«. Israelische Sicherheitsquellen gaben allerdings an, es sei unklar, wer auf die Palästinenser geschossen habe. Das Militär sagte außerdem, es untersuche den Tod des Palästinensers und habe eine Gemeinschaftskommission von Polizei und dem Geheimdienst Schin Bet eingerichtet.
Das Büro des Premierministers Benjamin Netanjahu gab eine Erklärung ab, in der es hieß, es betrachte den Angriff mit »äußerster Ernsthaftigkeit«. Die Verantwortlichen für jegliche Straftat würden festgenommen und vor Gericht gestellt. Der israelische Präsident Isaac Herzog verurteilte den Angriff als »Pogrom«. Verteidigungsminister Yoav Gallant verurteilte die »Handvoll Extremisten«, die in Jit randalierten, »während unsere Soldaten an verschiedenen Fronten kämpfen, um den Staat Israel zu verteidigen.«
Innenminister Moshe Arbel forderte unterdessen den Schin Bet und andere Strafverfolgungsbehörden auf, »sofort zu handeln, um das Phänomen des schweren nationalistischen Verbrechens auszumerzen, das heute Abend an Unschuldigen im Dorf Jit begangen wurde«. Arbel, ein Mitglied der ultraorthodoxen Shas-Partei, sagte, die Aktionen »widersprechen den Werten des Judentums, sind ein moralischer und menschlicher Tiefpunkt und schaden dem Staat Israel und dem Siedlungsvorhaben in Judäa und Samaria.«
Netanjahu regiert mit Unterstützung von zwei rechtsextremen Parteien, die weitere israelische Siedlungen im Westjordanland und eine vollständige Annexion befürworten. In einer seltenen Stellungnahme schrieb der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich auf X, die Angreifer in Jit hätten »nichts mit der Siedlung und den Siedlern zu tun«. Sie seien Kriminelle, gegen die die Strafverfolgungsbehörden »mit der vollen Härte des Gesetzes« vorgehen müssen.
Yair Golan, der Chef einer neuen linksgerichteten Allianz namens »Die Demokraten«, sagte, die Gewalt vom Donnerstag sei »keine extremistische Minderheit und kein kleines Problem, sondern eine gewalttätige Gruppe, die enorme Unterstützung von der Regierung genießt«. Netanjahu habe »Vertreter der Randalierer in Jit in die Knesset geholt und zu Ministern ernannt.«
Auswärtiges Amt, EU und USA verurteilen Gewalt
Die Bundesregierung verurteilte die Vorgänge. Das Auswärtige Amt postete am Freitagnachmittag auf der Plattform X: »Diese Gewalt ist inakzeptabel, die Angriffe müssen sofort aufhören. Palästinenser*innen haben ein Recht auf ein Leben in Sicherheit. Israel ist verpflichtet, die Palästinenser*innen im Westjordanland zu schützen, diese Angriffe zu stoppen und die Täter strafrechtlich zu verfolgen. Es darf für solche Gewalttaten keine Straflosigkeit geben.«
Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, ging noch weiter. »Wir verurteilen die Angriffe der Siedler in Jit, die darauf abzielen, die palästinensische Zivilbevölkerung zu terrorisieren«, schrieb er auf X.
Tag für Tag heizten Siedler »in fast völliger Straffreiheit« die Gewalt immer weiter an. »Die israelische Regierung muss diese inakzeptablen Aktionen sofort stoppen. Ich bekräftige meine Absicht, einen Vorschlag für EU-Sanktionen gegen die Unterstützer der gewalttätigen Siedler, einschließlich Mitglieder der israelischen Regierung, vorzulegen«, so Borrell weiter. Für eine Sanktionierung ist allerdings die Zustimmung aller 27 EU-Mitgliedsstaaten erforderlich.
Auch der US-Botschafter in Israel, Jack Lew, zeigte sich »entsetzt« über den Angriff israelischer Siedler. Das Weiße Haus in Washington erklärte am Donnerstag (Ortszeit), es verurteile den gewalttätigen Amoklauf von über 100 Siedlern in einem palästinensischen Dorf im Westjordanland. »Angriffe gewalttätiger Siedler auf palästinensische Zivilisten im Westjordanland sind inakzeptabel und müssen aufhören.«
Die Gewalt von Siedlern gegen Palästinenser im Westjordanland hat nach dem verheerenden Massaker der Terrorgruppe Hamas im Süden Israels am 7. Oktober stark zugenommen. (Mitarbeit mth)