Sie sind überall: am Strand, in Parks, auf Dachterrassen, Sportanlagen und natürlich in den unzähligen Studios, von denen es in Tel Aviv gefühlt an jeder Ecke eines gibt. Menschen auf Yogamatten, die sich im »herabschauenden Hund« strecken, auf einem Bein balancieren oder sich auf dem Rücken liegend entspannen.
Yoga boomt, das gilt für viele Länder der westlichen Welt. Besonders aber boomt es in Tel Aviv. Die ursprünglich aus Indien stammende Praxis, die den Übenden nicht nur einen gesunden Körper verspricht, sondern auch einen friedvollen Geist, hat hier selbst Beachvolleyball den Rang abgelaufen.
hype Dass junge, säkulare, körper- und trendbewusste Tel Aviver sich für Yoga begeistern, mag dabei noch halbwegs naheliegen. Der Hype konzentriert sich zwar in der quirligen Küstenstadt, beschränkt sich aber nicht auf sie. In allen Teilen des Landes stehen inzwischen Studios, selbst an so unerwarteten Orten wie der religiös geprägten Stadt Beit Shemesh.
Dass junge, säkulare, körper- und trendbewusste Tel Aviver sich für Yoga begeistern, mag dabei noch halbwegs naheliegen.
Ein ultraorthodoxes Paar hat es schon vor über einem Jahrzehnt eröffnet, Rachel und Avraham Kolberg, und die fernöstliche Praxis damit entgegen einiger Widerstände in eine Gemeinschaft getragen, die Einflüsse aus fremden Kulturkreisen für gewöhnlich mit Misstrauen betrachtet.
Krankenkasse Die Yoga-Begeisterung der Israelis überrascht selbst manch erfahrenen Yogalehrer. »Die Art und Weise, wie Yoga in Israel aufblüht und welche Wucht es entwickelt, kann ich gar nicht beschreiben«, sagt Iris Klein, eine 55-jährige Israelin, die seit mehr als 20 Jahren Yoga praktiziert und lehrt. »Yoga ist überall: Es ist in die Schulen vorgedrungen, in Krankenkassen und Krankenhäuser. Und die Nachfrage wird immer größer. Ich arbeite von morgens bis abends und habe nicht genug Platz im Terminkalender!«
Ihr eigener Pfad zum Yoga begann in Singapur, wo sie vor über 20 Jahren mit ihrem Mann lebte. Dort nahm sie Unterricht bei einem indischen Yogalehrer, der ein Schüler des legendären Tirumalai Krishnamacharya gewesen war, bekannt als einer der Begründer des modernen Yoga. Heute bildet Klein in ihrer Tel Aviver Klinik selbst Yogalehrer aus, wobei ihr Fokus auf therapeutischem Yoga liegt.
»Yoga verschafft aber nicht nur Heilung«, erklärt sie, »es bringt auch eine höhere Lebensqualität. Man erhält Instrumente, um sich selbst zu helfen, ein Gefühl von Kontrolle und das Bewusstsein, sich selbst etwas Gutes zu tun. In seiner Essenz ist Yoga Selbsthilfe«. Insofern, meint sie, passe Yoga zu Israel. »Hier ist alles sehr intensiv, die Realität ist kompliziert, es gibt viel Leid. Da überrascht es nicht, dass Yoga hier aufblüht. Die Menschen finden darin etwas Heilendes.«
judentum Manche meinen gar, eine besondere Verbindung zwischen Yoga und Judentum zu erkennen. Vor allem in den USA, aber auch in Israel gibt es Studios, die sich »jüdischem Yoga« verschrieben haben.
Einige Studios haben sich dem »jüdischen Yoga« verschrieben.
Deren Lehrer verknüpfen etwa Lehren der Tora, Weisheiten aus dem Talmud oder Erkenntnisse der Kabbala, der jüdischen Mystik, mit der Philosophie des Yoga. »Die Kabbala ist voller yogafreundlicher Referenzen«, schreibt der Brite Marcus Freed, Co-Gründer des internationalen Jewish Yoga Network.
»sonnengruß« Das sehen indes nicht alle so. Manche orthodoxen Rabbiner und Gläubige lehnen Yoga ab: Bei vielen Posen, etwa dem »Sonnengruß«, handele es sich um strikt verbotene Götzendienerei, lautet eines der Argumente. Der Rabbiner Menachem Mendel Schneerson, auch bekannt als Lubawitscher Rebbe und eine Ikone der chassidischen Chabad-Bewegung, verbot seinen Anhängern 1977, sich fernöstlichen Praktiken wie Yoga und bestimmten Formen der Meditation zu widmen, da es sich bei diesen um gotteslästerliche »Kulte« handele.
Auf der anderen Seite gibt es strenggläubige Juden wie die Kolbergs in Beit Shemesh, die im Yoga eine Möglichkeit sehen, ihren Glauben auszudrücken und zu vertiefen. Auch die orthodoxe Yogalehrerin Kinneret Dubowitz, Gründerin des Jewish Women’s Yoga Network, zählt dazu. In den USA, Kanada und Israel bildet sie jüdische Frauen zu Yogalehrerinnen aus.
Sie argumentiert, dass Yoga sich von der hinduistischen Tradition seines Heimatlandes problemlos lösen lasse. »Denjenigen Juden, die glauben, dass wir Götzenanbetung praktizieren, würde ich sagen: Würden Sie Menschen davon abhalten, Sport zu treiben oder zu tanzen, obwohl Sport aus griechischen Vorstellungen von Körperanbetung stammt und viele Tanzformen sich aus zutiefst philosophischen Reflexionen über das Leben und den Körper entwickelt haben?«
Fitness Tatsächlich ist in vielen israelischen Yoga-Studios von den spirituellen Wurzeln wenig zu spüren: Der Fokus liegt meist auf der körperlichen Anstrengung. Manche langjährigen Yogis stören sich daran, mache doch die mentale Übung den wahren Kern des Yoga aus. Dem stimmt Iris Klein zwar zu, die Reduzierung auf physische Fitness sieht sie dennoch entspannt.
Manche orthodoxen Rabbiner und Gläubige lehnen Yoga ab.
»Vielen Menschen fällt es am leichtesten, Zugang zu der körperlichen Dimension zu finden«, sagt sie. »Das hängt auch von der Reife der Übenden ab.« Manch einer beginne mit Yoga, um seine Fitness zu verbessern, und entdecke mit der Zeit auch die spirituellen Aspekte für sich.
Die kanadisch-jüdische Yogalehrerin und Journalistin Wendy Schneider berichtet gar, dass manche säkularen Juden beim Yoga erstmals ihre Spiritualität entdecken – und sich auf diesem Weg ihren eigenen Wurzeln nähern. »Es scheint klar«, schrieb sie einmal in den »Hamilton Jewish News«, »dass jüdisches Yoga vielen Juden, die ihren Glauben aufgegeben hatten, ein Tor zurück zum Judentum bietet«.