Sie wollen Fakten schaffen. Die Verantwortlichen in der Tel Aviver Stadtverwaltung werden nach den Feiertagen eine Ausschreibung veröffentlichen, die einen Betreiber für den Busservice sucht – am Schabbat. Bereits im Januar 2020 sollen die Busse regelmäßig rollen.
Bürgermeister Ron Huldai ergreift damit die Initiative und nutzt das existierende Machtvakuum in der Knesset, um eine neue Realität zu schaffen. »Er hat verstanden, dass er die Verantwortung und die Macht hat, den Mangel an Service auszugleichen, den die nationale Regierung zu verantworten hat«, kommentiert die linksliberale Tageszeitung Haaretz Huldais Ankündigung. Es sei nur logisch, dass ein Teil der Autorität in der Frage des Verhältnisses von Religion und Staat wieder vom Innenministerium an die kommunalen Behörden zurückgegeben werde. »Denn die verstehen die Bedürfnisse der Einwohner.«
SPALTUNG Der Streit um den öffentlichen Nahverkehr am Schabbat und an Feiertagen spaltet die Bevölkerung seit Langem. Während der Großteil der Israelis Busse fordert, hatten die religiösen Parteien dem stets einen Riegel vorgeschoben. Ihr Argument war stets »der Status quo«. Doch niemand weiß genau, was der überhaupt besagt. Jahrelang gab es einen Stillstand und keinerlei politische Entscheidungen. Laut einer Umfrage von Chidusch, der Organisation für religöse Freiheit und Gleichheit, sprechen sich 70 Prozent der Bürger für eine zumindest eingeschränkte Beförderung am Schabbat aus, 66 Prozent wollen, dass die Zuständigkeit in den Händen der Stadtverwaltungen liegt.
Den Auftakt zur Revolution des Nahverkehrs hatte der Bürgermeister der Stadt Tiberias, Ron Kobi, gemacht. Er hatte damals argumentiert, dass dies kein religiöser Kampf sei, sondern ein sozialer, »für die Menschen, die sich kein Auto leisten können, damit auch sie ihren Schabbat genießen können«. Der vorsitzende Rabbiner von Chidusch, Uri Regev, meint: »Es ist die Fortführung einer neuen Herangehensweise von Bürgermeistern, die durchsetzen, was sich die Politiker in der Knesset nicht trauen. Tel Aviv tut nur das, was die Bevölkerung im ganzen Land verlangt.«
ARMUT Die Stadtverwaltungen von Ramat Gan, Givatayim und Ramat Hasharon, die alle an Tel Aviv angrenzen, haben bereits ihr Interesse bekundet, sich Huldais Initiative anzuschließen. Auch Holon und Bat-Yam im Süden wären gern dabei. Doch der Wille allein genügt nicht. Denn das Betreiben der Schabbat-Busse kostet Geld. Und beide Städte stehen kurz vor dem Konkurs. Es bedürfte also der Großstadt Tel Aviv, ihnen unter die Arme zu greifen. Denn gerade in diesen Städten sind die Einwohner im Durchschnitt weniger wohlhabend als die in den nördlichen Gemeinden und daher besonders auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Viele haben kein Auto und können sich kein Taxi leisten.
Bürgermeister betonen, dass es nicht um Religion, sondern um soziale Gerechtigkeit geht.
Auch die meisten Parteien befürworten einen Service am Schabbat, vor allem, um eine Diskriminierung der sozial Schwächeren und der Peripherie zu verhindern. Benny Gantz und Yair Lapid von der Union Blau-Weiß lobten Huldais Schritt: »Dies ist eine Aktion, die den besonderen Charakter des Ruhetages berücksichtigt – und gleichzeitig die Freiheit für jeden Menschen, den Schabbat in eigener Weise zu gestalten. Es muss diese Option geben. Und wir werden darauf hinwirken, dass die Verwaltungen dies einrichten können.«
Lapid betonte ebenfalls, dass es keine religiöse Entscheidung sei: »Es ist eine Aktion, die garantiert, dass jeder Großvater, der kein Geld für ein Taxi hat, seine Enkel sehen und mit ihnen an den Strand gehen kann. Denn auch das gehört zum israelischen Schabbat.« Der amtierende nationalreligiöse Verkehrsminister Bezalel Smotrich übte heftige Kritik: »Diese erzwungene Initiative vertieft nur die Gräben in der Bevölkerung.« Er wolle nach Gesetzen suchen, mit denen er sie blockieren kann.
KOSTENLOS Der öffentliche Nahverkehr am jüdischen Ruhetag und an Feiertagen soll insgesamt fünf Buslinien umfassen und freitags von acht Uhr abends bis zwei Uhr nachts verkehren, am Samstag von neun Uhr morgens bis zum Ausgang des Schabbats. Genau wie während der Woche kommen die Fahrgäste durch die gesamte Stadt und müssen dabei nicht öfter als zweimal umsteigen. Die Busse sollen alle 20 bis 30 Minuten verkehren, auf Hauptstraßen sogar alle 10 bis 15 Minuten. Während man während der Woche für eine Fahrt innerhalb der Stadtgrenzen 5,90 Schekel (umgerechnet rund 1,50 Euro) bezahlen muss, ist es für Tel Aviver am Wochenende umsonst, in der Einführungsphase sogar für alle.
Jana Komarenko kann die Neuigkeiten kaum glauben. »Ich lese wenig Zeitung, und davon habe ich nichts gehört. Es wäre wunderbar und würde mein Leben wirklich erleichtern.« Die junge Frau, die derzeit als Kellnerin im Zentrum von Tel Aviv arbeitet, ist oft zu Schichten am Wochenende eingeteilt. Sie wohnt in Givatayim, rund 20 Minuten mit dem Auto entfernt, und muss am Schabbat auf Taxis zurückgreifen. »Und dann ist ein Teil meines Lohnes gleich wieder weg. Das ist so ärgerlich.«
Abraham Maimon aus dem Viertel Yad Elijahu im Süden der Stadt ist religiös und hält den jüdischen Ruhetag strikt ein. Gegen Busse ist er aber dennoch nicht kategorisch. »Wenn sie nicht durch religiöse Gegenden fahren, habe ich nichts dagegen. Es gibt nun einmal Menschen, die sich nicht an die Halacha halten. Das ist die Realität.« Mitfahren würde er nicht, »aber vielleicht ist es eine gute Lösung, damit uns weniger Ablehnung entgegengebracht wird«. Maimon hofft, dass der Nahverkehr im Endeffekt sogar zu einer Versöhnung zwischen säkularen und religiösen Israelis führt.