Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avraham »Avi« Primor, machte sich seit Beendigung seiner Diplomatenkarriere als einer der profiliertesten Kritiker der israelischen Politik einen Namen - aber auch als wichtige Stimme im deutsch-israelischen Dialog. Nach dem 7. Oktober 2023, den Terrorangriffen der Hamas auf Israel, blickt der standhafte Verfechter einer Zwei-Staaten-Lösung für den israelische-palästinensischen Konflikt mit großer Sorge auf den Nahen Osten. An diesem Dienstag (8. April) wird Primor 90 Jahre alt.
1935 in Tel Aviv als Sohn einer deutschen Jüdin und eines Niederländers geboren, trat Primor 1961 in den diplomatischen Dienst Israels ein. Nach Stationen unter anderem in der Elfenbeinküste, Frankreich und Belgien und als Botschafter bei der EU vertrat er von 1993 bis 1999 die Interessen seines Landes in Deutschland.
Dabei war der Friede zwischen Israelis und Palästinensern durch seine Diplomatenkarriere und darüber hinaus immer ein Herzensanliegen des Politikwissenschaftlers und Publizisten. Mit Sätzen wie »Die Mauer ist nur vorübergehend« und »Der Friedensprozess ist unumkehrbar« warb er für einen unabhängigen palästinensischen Staat an der Seite Israels.
Aus Berlin abgezogen
Im eigenen Land kosteten ihn seine klaren Worte und Ansichten 1999 den Botschafterposten in Berlin. Der auswärtige Dienst müsse frei von jeglicher politischer Beteiligung bleiben, kritisierte der damalige Außenminister Ariel Scharon Primor für ein Zeitungsinterview, in der dieser die Demokratiefähigkeit der Schass-Partei in Frage gestellt hatte. In einem seltenen Schritt entschied sich Scharon, Primors Ernennung nicht zu erneuern. Auch die Unruhe, die die Maßnahme gegen den Diplomaten im politischen System hervorriefen, änderte nichts.
Ein halbes Jahr später ging Primor altersbedingt als Diplomat in den Ruhestand und wurde Vizepräsident der Universität Tel Aviv. Bis heute leitet er das von ihm gegründete Zentrum für Europäische Studien an der Privatuniversität »Interdisciplinary Center« (IDC) Herzliya, wo jordanische, israelische und palästinensische Studierende gemeinsam lernen.
Im Laufe seiner langen Karriere hat Primor seine Positionen immer wieder mit der Realität abgeglichen. Vertrat er noch zum 50. Gründungsjubiläum Israels 1995 die Ansicht, dass es gute Chancen gebe, »irgendwann Frieden zu schließen«, sah er 20 Jahre später den Nahost-Konflikt an einem kritischen Punkt. Die Lage sei »so scharf wie nur menschenmöglich«.
»In schlechten Händen«
Die jüngste Positionskorrektur musste Primor vor eineinhalb Jahren vornehmen, als die Hamas am 7. Oktober 2023 den Süden Israels brutal überfiel. Dem Überfall widmete Primor sein jüngstes Buch mit dem Titel »Bedrohtes Israel – Ein Land im Ausnahmezustand«, das im Mai 2024 erschien. Darin wirft er der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der israelischen Armee und den Geheimdiensten des Landes ein völliges sicherheitspolitisches Versagen vor. Das Land sei bei Netanjahu als einem Ideologen des extrem rechten Lagers »in schlechten Händen«, so Primor in einem aktuellen Interview der »Süddeutschen Zeitung«.
Primor wirft seiner Regierung Blindheit und ideologische Verblendung vor. Die Hamas, deren Ziel die Vernichtung Israels sei, sei von Israel selbst geschaffen worden, »um damals ein Gegengewicht zur Fatah zu schaffen«, so der Diplomat in einem Gespräch des israelischen Nachrichtensenders »i24 News«.
Das Resultat, der 7. Oktober, sei als Angriff auf die Seele des Landes beispiellos in seiner Geschichte. Seither befinde sich Israel in einem Schockzustand; ohne Vertrauen in seine Regierung und ohne Kapazität, sich mit dem Schmerz der anderen Seite in dem Konflikt zu befassen. Die Lage bezeichnete Primor zuletzt als hoffnungslos.»Vorreiter für Frieden«
Für Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bleibt der frühere deutsche Botschafter mit seinem Engagement für eine Aussöhnung zwischen den Bevölkerungsgruppen in Israel und seiner Kritik an nationalistischen Tendenzen »ein wichtiger Vorreiter« in Sachen Frieden in Nahost. Mit seinen Analysen trage er »zu unserem tieferen Verständnis der Lage in Nahost bei«, so Steinmeier in seiner Würdigung zu Primors 90. Geburtstag.