Nordisrael

Rückkehr ins Ungewisse

Kriegsschäden in Avivim an der libanesischen Grenze Foto: Flash 90

Kibbuz Manara ist ein beschaulicher Ort. Von der Anhöhe, auf der er gebaut ist, schaut man in die Weite der nahöstlichen Landschaft, im Westen auf das Mittelmeer, im Osten auf die Golanhöhen, im Norden auf die Küste des Libanon. Manara liegt nur 100 Meter von der libanesischen Grenze entfernt – und direkt im Visier der Raketen der Hisbollah.

Manara wurde 1943 gegründet. »In den ersten zehn Jahren gab es kein Wasser im Kibbuz. Wir bekamen es von den Menschen aus den Dörfern des Südlibanon. Sie waren unsere Nachbarn«, erinnert sich Orna Weinberg. Doch heute sei das Land de facto durch den Iran besetzt. »Dadurch wird das Leben der Israelis im Norden und das der Dorfbewohner im Südlibanon zerstört.« Sie wünsche sich sehnlichst Frieden in der gesamten Region, »doch ich habe das Gefühl, dass wir mit der Feuerpause zu diesem Zeitpunkt der Hisbollah und dem Iran eine Atempause zur Wiederaufrüstung geben. Das macht mir große Angst«.

Kein anderer Ort zum Leben

Die 58-jährige Landwirtin ist in Manara geboren und kann sich keinen anderen Ort zum Leben vorstellen. Doch vieles von dem, was sie und die anderen Kibbuzmitglieder in Jahrzehnten aufgebaut haben, liegt heute in Trümmern. Mehr als 75 Prozent der Wohnungen im Kibbuz wurden durch Direkteinschläge von Raketen getroffen. »Meine Wohnung und fünf weitere unserer Familienmitglieder sind praktisch zerstört, dazu die Infrastruktur des Kibbuz, öffentliche Gebäude. Es wird mehr als ein Jahr dauern, bis wir zurück können.« Während Orna Weinberg erzählt, sitzt sie in der Scheune eines Bauernhofs nördlich des Kinneret. »Hier sind wir untergekommen.«

Raketeneinschläge haben die Wohnungen im Kibbuz verwüstet.

Mehr noch als der Verlust ihres Hauses schmerzt sie jedoch das Schicksal der 101 Geiseln, die noch immer in der Gewalt der Hamas sind. Weinberg trägt ein T-Shirt mit dem Aufdruck: »Macht die Arbeit bis zum Schluss – bringt sie nach Hause.«

Die Hisbollah erklärte sich nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 solidarisch mit der Hamas und schloss sich dem Krieg gegen Israel an. Weinberg meint, es sei ein großer Fehler, einen Waffenstillstand einzugehen, denn dieser würde die Verbindung der beiden Fronten auflösen und berge die Gefahr, dass die Geiseln in Vergessenheit geraten. »Und das darf nicht passieren.«

Am 8. Oktober 2023 begann die schiitische Terrororganisation Hisbollah im Libanon, auf israelische Gemeinden Raketen und mit Sprengstoff beladene Drohnen abzufeuern. An manchen Tagen schrillten die Warnsirenen ohne Unterlass. Mehr als 60.000 Menschen mussten evakuiert werden. Am 27. November des Folgejahres begann dann die Feuerpause, die beide Seiten durch Vermittlung der USA und Frankreichs beschlossen hatten.

Kein Sicherheitsraum in der Wohnung

Eine, die noch während des Beschusses durch die Hisbollah in ihr Haus zurückkehrte, ist Moran Brustin. Vor fünf Wochen zog die Mutter von drei kleinen Kindern, obwohl sie keinen Sicherheitsraum in ihrer Wohnung hat, wieder in den Kibbuz Ha­Goschrim. Warum? »Weil das andere Leben kein Leben war.« Sie habe mehr als zehn Monate lang in einem Hotelzimmer gehaust, mit drei Kindern und Schwiegermutter, während ihr Mann fast dauerhaft im Reservedienst in der israelischen Armee eingesetzt war. »Ab einem gewissen Moment ging es nicht mehr. Es war schlicht unmöglich, so zu leben.«

Es mag sein, dass andere das als »unverständlich« ansehen, immerhin lebe sie in einer Region, in der die Reaktionszeit vom Beginn der Sirene bis zum Einschlag einer Rakete praktisch null beträgt. »Für meine Familie war es die einzige Möglichkeit, wieder mehr oder weniger normal zu funktionieren. Aber das kann nicht jeder.«

Dass das Leben unter Raketenbeschuss alles andere als leicht ist, beschreibt Brustin ebenfalls: »Bei einer Sirene müssen sich meine Kinder auf den Boden legen, und ich lege mich auf sie, um sie zu schützen.« Sie sei alles andere als »pro Krieg« eingestellt, sicher fühle sie sich aber auch durch den Waffenstillstand nicht. »Gibt uns jemand eine Garantie, dass wir nicht wieder angegriffen werden?«

Tzahi David Hafsadi ist noch nicht zurückgekehrt. Und er weiß auch nicht, wann und ob er dies überhaupt tun wird. Er stammt aus Kiryat Schmona, der Stadt, die schon kurz nach Beginn des Konflikts mit der Hisbollah evakuiert wurde. Hafsadi zog mit seiner Frau und einem Kind in ein Hotel nach Jerusalem. Eines seiner Kinder wurde während der Zeit der Evakuierung geboren. Seine Frau stammt aus der Stadt. »Und nun will sie nicht mehr zurück in den Norden. Sie hat Angst.«

»Wir haben einen hohen Preis bezahlt«

Auch Hafsadi hält den Waffenstillstand für keine gute Idee. »Wir alle, meine Familie, meine Gemeinde, haben einen hohen Preis bezahlt. Doch wofür? Wir haben die Sorge, dass der Job gegen die Hisbollah nicht beendet wurde.«

Die 35-jährige Taya Kadeshberg lebt seit mehr als einem Jahr wieder in ihrem Kinderzimmer im Haus der Eltern – zu fünft. Sie würde gern nach Hause, um »mein Leben zu leben«. Sie ist sich sicher, dass die meisten Menschen aus dem Norden genauso denken. Es gehe dabei nicht nur um die Sicherheit. »Vieles hängt davon ab, ob man überhaupt woanders leben kann. Hat man das Geld dafür, lässt die Familiensituation es zu, macht die Arbeit es möglich?«

Evakuierung bedeutete: mit drei Kindern und der Schwiegermutter in einem Hotelzimmer.

»Auch wir aus dem Norden haben normale Alltagssorgen wie andere auch. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die meisten von uns einfach nicht sicher fühlen.« Schließlich habe die Hisbollah dieselben mörderischen Pläne wie die Hamas am 7. Oktober für den Norden Israels gehabt. »Nur 1000-mal schlimmer«, so die Mutter von drei Kindern im Alter von drei bis neun Jahren. Sie mache sich große Sorgen, was in naher Zukunft passieren könnte. »Die im Grenzgebiet stationierten UN-Truppen tun nichts, die libanesische Regierung tut nichts. Wir fühlen uns ausgeliefert.«

Eigentlich lebt Devora Ivgi im Moschaw Avivim. Doch dort war sie seit fast 14 Monaten nicht mehr. »Ein Waffenstillstand heißt nicht, dass wir heute oder morgen zurückkehren können.« Es werde viel hinter den Kulissen diskutiert, was man in der Öffentlichkeit nicht wisse, sagt sie. »Doch alles in allem sollte die Tatsache, dass ich an einer Grenze lebe, mich nicht in die Lage bringen, dass ich mich ständig unsicherer fühle als in Tel Aviv.«

Nach dieser langen Zeit könne sie es als Geflüchtete im eigenen Land kaum mehr ertragen, nicht zu Hause zu sein. »Jeden Morgen wache ich auf und denke: ›Ich möchte so gern zurück!‹« Dann hält sie inne. »Aber ich habe gar kein Haus mehr. Es wurde von zwei Raketen getroffen. Alles ist zerstört. Auch wenn der Krieg vorbei sein sollte – es gibt keinen Ort, an den ich zurückkehren kann.«

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