Obwohl der Likud von Premierminister Benjamin Netanjahu auch bei den vierten Parlamentswahlen innerhalb von zwei Jahren die Mehrheit holte, kann er bislang keine Mehrheit auf sich vereinen. Doch auch der sogenannte Anti-Netanjahu-Block kommt nicht auf die benötigten 61 Sitze in der Knesset. Am kommenden Montag will Präsident Reuven Rivlin versuchen, die Patt-Situation aufzulösen. Er hat die Vorsitzenden der Parteien zum Gespräch geladen.
ANKLAGE Am selben Tag soll der Korruptionsprozess gegen den Ministerpräsidenten in Jerusalem fortgesetzt werden. Er war wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben worden. Netanjahu braucht die Mehrheit dringend, um das Verfahren gegen sich aufzuheben oder zumindest aufzuschieben. Doch gerade dies macht es für ihn umso schwerer, eine Koalition zusammenzubekommen. Denn nicht mehr alle Parteien sind bereit, mit einem Premier, der unter Anklage steht, eine Regierung zu bilden.
Der Anti-Netanjahu-Block ist ein Patchwork aus Jesch Atid von Yair Lapid, der 17 Mandate holte, und mindestens einem halben Dutzend kleineren Parteien. Obwohl sich die Vorsitzenden der beiden Rechtsparteien Jamina und Neue Hoffnung, Naftali Bennett und Gideon Saar, Medienberichten zufolge noch nicht eindeutig für eine Beteiligung ausgesprochen haben, gibt es angeblich bereits Uneinigkeit um das Amt des Premierministers.
Zwar seien Lapid, Bennett und Saar zu einer Rotation bereit, doch die Frage, wer als Erster auf dem Chefsessel Platz nehmen darf, soll zu Streitigkeiten führen. Jamina hatte sieben Mandate erhalten, die Neue Hoffnung sechs.
»Ich bin bereit, alles zu tun, um eine ehrliche Regierung zu bilden.«
Vorsitzender Blau-Weiß, Benny Gantz
Währenddessen rief der Verteidigungsminister und Vorsitzende der Zentrumspartei Blau-Weiß, Benny Gantz, noch einmal alle Parteien auf, sich zusammenzutun, um Netanjahu abzusetzen. Auf Facebook schrieb er: »Ich bin bereit, alles zu tun, um eine ehrliche Regierung zu bilden und fünfte Wahlen zu verhindern. Bis dahin werde ich innerhalb der Regierung arbeiten, damit Bibi nicht einen Millimeter weiterkommt in seinem Bestreben, den Rechtsstaat zu schädigen.«
HAUSHALT Gantz hob hervor, dass Israel in der jetzigen Situation drängende Probleme habe, die bewältigt werden müssten, dazu gehöre vor allem ein neuer Haushalt, der verabschiedet werden müsse. Blau-Weiß holte acht Mandate bei den Wahlen.
Präsident Rivlin will sich nach der Pessachwoche mit den Vertretern der Parteien treffen, um dann zu entscheiden, wen er mit der Regierungsbildung beauftragt. Entsprechend dem Gesetz muss es nicht die Partei sein, die die meisten Stimmen erreichte. Der Abgeordnete, der mit der Aufgabe betraut wird, hat dann 28 Tage Zeit, um eine Regierung zu bilden. Er kann um eine Verlängerung von 14 Tagen bitten, die der Präsident jedoch nicht genehmigen muss, wenn er keine Aussicht auf Erfolg sieht.
VERSPRECHEN 13 Parteien sind nach den Endergebnissen in der 24. Knesset vertreten. Die meisten von ihnen haben vor den Wahlen Versprechen abgegeben, mit wem sie in jedem Fall oder auf keinen Fall koalieren würden. Derzeit haben sich nur Bennett und Mansour Abbas, der Vorsitzende der arabisch-islamischen Partei Raam, alle Möglichkeiten offen gelassen. Raam hatte trotz Voraussagen, dass sie es nicht über die Eintrittshürde schaffen würde, vier Sitze erreicht.
Sollten die Politiker in Jerusalem wieder einmal keine regierungsfähige Koalition auf die Beine stellen, müssten die Israelis voraussichtlich im Sommer wieder wählen gehen – zum fünften Mal. Bis dahin würde die jetzige Regierung als Interimsregierung bestehen bleiben.