Präsident Reuven Rivlin hat das Mandat für die Regierungsbildung in Israel am Dienstagmittag an den amtierenden Regierungschef Benjamin Netanjahu übertragen. Der Vorsitzende des rechtskonservativen Likud war von 52 Abgeordneten als Ministerpräsident vorgeschlagen worden. Der Präsident gab sich jedoch wenig zuversichtlich und fügte hinzu, dass »keiner der Kandidaten eine echte Chance hat, eine neue Regierung zu bilden«.
ZEIT Er habe Netanjahu nur deshalb vorgeschlagen, weil dieser die meisten Empfehlungen erhalten habe, machte Rivlin deutlich. Der amtierende Premier hat nun 28 Tage Zeit, um eine Regierungskoalition auf die Beine zu stellen. Anschließend kann er um 14 Tage Verlängerung bitten, die ihm der Präsident gestatten oder verweigern kann.
Gleichzeitig findet in Jerusalem der Prozess gegen Netanjahu statt. Der 71-Jährige ist in drei Fällen wegen Betrugs, Veruntreuung und Bestechlichkeit angeklagt. Nach den ersten Anhörungen tönte er gegen die Staatsanwaltschaft, dass »so ein Putsch aussieht«.
»Die Demokratie hat sich damit erschöpft.«
Präsident Reuven Rivlin
Am Montag hatten nach Monaten der Verzögerungen durch die Pandemie die ersten Zeugenvernehmungen stattgefunden. Die Anklägerin Liat Ben Ari beschuldigt den israelischen Premierminister des »massiven Machtmissbrauchs«.
KANDIDATEN 52 Parlamentarier hatten ihn dennoch als Kandidaten vorgeschlagen: der komplette Likud, die ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereintes Tora-Judentum sowie die Rechtsaußen-Fraktion Religiöser Zionismus.
45 Stimmen gingen an den Vorsitzenden der Zentrumspartei Jesch Atid, Yair Lapid. Der hatte am 23. März 17 Mandate geholt und wollte die amtierende Regierung mithilfe eines sogenannten »Anti-Netanjahu-Blocks« absetzen. Für Lapid stimmten seine eigene Partei, die Linken Meretz und Awoda, Blau-Weiß von Benny Gantz und Israel Beiteinu von Avigdor Lieberman.
Die sieben Knessetabgeordnete von Jamina stimmten für ihren eigenen Vorsitzenden Naftali Bennett. Der hatte nach Angaben in israelischen Medien in den vergangenen zwei Tagen intensive Gespräche über Koalitionsmöglichkeiten und ein Rotationsverfahren im Ministerpräsidentenamt mit Lapid geführt. Offensichtlich mit wenig Erfolg.
GEWISSEN Die arabische Vereinte Liste sprach ihren Respekt für Lapid aus, könne ihn jedoch nicht guten Gewissens vorschlagen, da er in einer Koalition mit den rechten Parteien Jamina und Neue Hoffnung von Gideon Saar sitzen würde, begründete sie ihre Entscheidung.
Es sieht danach aus, dass Israel geradewegs auf die nächsten Wahlen zusteuert – die fünften.
Saar selbst, der erst vor rund drei Monaten aus dem Likud ausgetreten und seine eigene Partei gegründet hatte, um Netanjahu zu entthronen, meinte jetzt, dass er sich in Sachen Mandat für die Regierungsbildung nicht äußern könne. Er hätte es wohl gern für sich beansprucht, munkelt man in Jerusalem. Seine sechs Sitze, die er bei den Wahlen gewann, reichten dafür allerdings nicht im Entferntesten.
VORZUG Auch der Vorsitzende der arabischen Partei Raam, Mansour Abbas, der nach eigenen Aussagen vor den Wahlen in Erwägung gezogen hatte, an einer Likud-Koalition beteiligt zu sein, ließ schließlich offen, wem er den Vorzug gibt.
Der israelische Präsident hatte vor und nach den vierten Wahlen innerhalb von zwei Jahren den Unwillen und die Unfähigkeit der Politiker beklagt, eine regierungsfähige Koalition auf die Beine zu stellen und am Leben zu halten. »Die Demokratie hat sich damit erschöpft«, resümierte er am Montag pessimistisch.
»Die Ergebnisse der Konsultationen haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass kein Kandidat realistische Chancen hat, eine Regierung zu bilden.«
Präsident Rivlin
Immer wieder hatte er gegen Neuwahlen plädiert und die Politiker inständig gebeten, sich um das Wohl des Staates zu kümmern. Doch seine Botschaften verhallten im Nichts. Damit sieht es danach aus, dass Israel geradewegs auf die nächsten Wahlen zusteuert – die fünften.
GESETZ »Die Ergebnisse der Konsultationen haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass kein Kandidat realistische Chancen hat, eine Regierung zu bilden, die das Vertrauen der Knesset genießt«, so Rivlin. »Erlaubte es das Gesetz, ich würde die Entscheidung an die Vertreter des Volkes, die Knesset, weitergeben. Doch das ist nicht gestattet.«
In Bezug auf Netanjahus Prozess fügte er hinzu: »Der Präsident ist kein Ersatz für die Rechtsprechung. Es ist die Aufgabe der Knesset, über die substantielle und ethische Frage zu entscheiden, ob ein Kandidat, der unter krimineller Anklage steht, in der Lage ist, als Premierminister zu dienen.«