Jodtabletten sind noch überall zu haben, Spielplätze bestens besucht, Milch und Spinat werden mit gewöhnlichem Appetit verzehrt. Das verheerende Beben in Japan versetzt die Israelis nicht unbedingt in Angst und Schrecken. Dabei betonen Experten, dass es auch hier nur eine Frage der Zeit sei, wann die Erde erzittern wird. Von Panik ist dennoch keine Spur.
Und doch hat das Geschehen in Fukushima auch für Israelis Folgen: So werden sie wahrscheinlich kein Atomkraftwerk bekommen, von dem sie noch gar nichts wussten. Offenbar hatte die Regierung geplant, einen neuen Meiler zur Stromerzeugung in der Negevwüste zu bauen. Im Angesicht der nuklearen Bedrohung nach dem Erdbeben entschloss sich Premierminister Benjamin Netanjahu aber offenbar, das Vorhaben zu verwerfen.
In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN erklärte der Regierungschef, dass er die vor einigen Monaten getroffene Entscheidung für eine zivile nukleare Anlage überdenken wolle. »Ich muss sagen, ich war damals sehr viel enthusiastischer, als ich es heute bin.« Glücklicherweise haben wir Gas gefunden, so der Premier weiter.
Unterdessen fordern auch Knessetabgeordnete erstmals Auskunft über Risiken in der streng geheimen nuklearen Anlage. Es gebe in Israel bisher lediglich einen Reaktor in Dimona, berichtet die Deutsche Presseagentur. Der liege in der Wüste, sei schon fast 50 Jahre alt und erzeuge keinen Strom. Da Jerusalem den Atomsperrvertrag nicht unterzeichnet habe, hat das Land keinen Zugang zur Hilfe internationaler Experten oder entsprechender Technologie.
Erdbeben Japan bringt einmal mehr die Frage auf die parlamentarische Tagesordnung, ob Israel bereit ist für »The Big One«. Kurz nach dem Beben in Haiti von 2010 machte Avi Schapira, Leiter der seismologischen Abteilung im Verkehrsministerium, klar, dass ein kommendes Beben wohl eine Katastrophe nationalen Ausmaßes nach sich ziehen würde. Schapira leitet den Knesset-Hauptausschuss, der sich mit Erdbebenvorbereitung befasst.
Der Zeitpunkt einer binationalen Übung war zufällig gewählt, doch verliehen ihr die aktuellen Geschehnisse zweifelsohne mehr Gewicht. In der vergangenen Woche trafen sich jordanische und israelische Rettungsteams in der Arawa-Wüste und simulierten gemeinsam die Auswirkungen nach einem schweren Beben. Fast 200 Frauen und Männer des heimischen Magen David Adom und der Hilfsorganisation Jordanischer Roter Halbmond arbeiteten Hand in Hand mit Studenten und Professoren der Ben-Gurion-Universität, um Rettungsmaßnahmen auf die Beine zu stellen.
»Wir fragen nicht mehr, ob es ein Beben geben wird, sondern nur noch wann und wie stark«, bestätigt Rami Hofstetter, Direktor des Geophysikalischen Institutes von Israel (GII).
Warnsystem Durch historische Aufzeichnungen wissen die Experten auch, dass etwa alle 80 bis 100 Jahre ein starkes Beben auftauchte. Das letzte große ereignete sich 1927 im südlichen Toten Meer mit einer Stärke von 6,2. Hunderte von Menschen wurden getötet oder verletzt. »Heute ist die Bevölkerung um das Zwanzigfache angestiegen. Ein derartiges Beben würde wahrscheinlich schon zu einer Katastrophe führen«, nimmt Hofstetter an.
Pläne für ein Warnsystem liegen bislang lediglich auf dem Tisch. Viele Geologen sind der Meinung, es müssten dringend Sensoren in der Region des Toten Meeres angebracht werden. Diese ermöglichen eine Warnung der Bevölkerung und geben ihr bis zu 20 Sekunden Zeit, sich vorzubereiten.
Eine Sicherheitsnorm – übrigens eine der striktesten der Welt –, ist hingegen schon lange umgesetzt. Nach Angaben des GII-Direktors wurde sie 1974 eingeführt und war einige Jahre später gängige Praxis. Schätzungsweise 80 Prozent aller Bauten im Land sind demzufolge so konstruiert, dass sie bei einem Erdbeben zwar beschädigt werden, aber nicht zusammenfallen sollen.
Tsunami Auch die Gefahr einer Riesenwelle ist in Israel relevant, wie Hofstetter deutlich macht. Zwei Professoren des geografischen Institutes der Hebräischen Universität veröffentlichten jetzt eine Studie, die Folgen von Tsunamis in der Mittelmeerregion untersucht. Je näher ein Erdbeben an der Oberfläche ist, fassten Daniel Felsenstein und Michal Leichter zusammen, desto größter sind die Auswirkungen auf Meer und Wellen.
Im Falle eines sechs Meter hohen Tsunamis würden nach den Angaben mehr als 22 Prozent der nördlichen Kleinstadt Nahariya und fast ein Viertel von Haifa überflutet werden. Auch zehn Prozent von Tel Aviv würden wahrscheinlich von dem Tsunami erfasst.
In der kleinen Cafeteria des Konservatoriums von Kiriat Tivon macht man sich weniger Gedanken über Wassermassen hierzulande, als darüber, wie es in Japan zugeht. »Wie kann es sein, dass die Leute nach so einer Katastrophe nicht die Nerven verlieren?«, fragt ein Musiklehrer mit Blick in die Tageszeitung. Sein Tischnachbar staunt, dass die Menschen sogar beim Schlangestehen völlig ruhig sind und für ein paar Liter Benzin oder Wasser Stunden in der Kälte ausharrten.
»In Israel sähe das ganz anders aus«, resümieren beide. Auf die Frage, ob sie von der großen Wahrscheinlichkeit eines Bebens hierzulande wissen, nicken beide. Bereitet es ihnen Sorge? »Nein«, sagt einer, »das ist zu hypothetisch. Vielleicht kommt es, vielleicht auch nicht. Man kann es eh nicht aufhalten, und wenn es so weit ist, dann werden wir es ja merken.«