Sie nehmen kein Blatt mehr vor den Mund. Wirtschaftsbosse, Ökonomen, Investoren, Banker und Firmengründer aus Israel und dem Ausland geben immer düsterere Prognosen zur israelischen Wirtschaft ab. Dabei war diese noch vor wenigen Wochen Aushängeschild für die erfolgreiche Start-up-Nation. Der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, Ben Bernanke, beispielsweise prognostiziert, dass »die geplante Justizreform enormen Schaden« anrichten werde. Stattdessen müsse »Israel einen Konsens über jede wesentliche Änderung des Rechtssystems erreichen«.
Zwar erhielt der kleine Nahoststaat von der Ratingagentur Fitch kürzlich die Bestätigung des Kreditratings von A+ mit stabilem Ausblick wegen der »diversifizierten und widerstandsfähigen« Wirtschaft des Landes, doch Fitch schränkte ein, dass die geplanten Gesetzesänderungen der Regierung »negative Auswirkungen auf das Kreditprofil« des Landes haben könnten.
wachstum Finanzminister Bezalel Smotrich begrüßte Fitchs Entscheidung. Sie zeige, dass die Regierung »alle richtigen Schritte unternimmt, um den Staat Israel voranzubringen«. Die Regierung habe einen hervorragenden, verantwortungsbewussten, zurückhaltenden und auf Wachstum und Infrastruktur ausgerichteten Haushalt genehmigt, führte der Minister aus. »Trotz steigender globaler Inflation schaffen wir es, den Staat Israel als Insel der Stabilität und hervorragenden Ort für Investitionen zu stärken.«
Nur wenige Tage später jedoch veröffentlichte die internationale Ratingagentur Moody’s ein ungewöhnliches Update für Investoren, in dem sie die Regierungspläne eingehend untersucht und davor warnt, dass sie »bei vollständiger Umsetzung das Justizsystem in Israel erheblich schwächen und negative Folgen für die Kreditwürdigkeit haben werden«.
Noch im April 2022 hatte Moody’s Israel angesichts seines Erfolgs bei der Überwindung der Covid-19-Krise einen »positiven« Rating-Ausblick erteilt.
Moody’s ist eine der wichtigsten internationalen Ratingagenturen, die von Banken und anderen Finanzinstituten zur Bewertung des Anlagerisikos herangezogen werden. Die Autoren des Berichts wiesen darauf hin, »dass Israels Institutionen bisher als unterstützender Faktor für die Kreditwürdigkeit des Landes angesehen wurden«. Sie erhalten eine Punktzahl von A1, ähnlich der Großbritanniens und besser als einige EU-Länder wie Italien und Polen. In dem Bericht steht, dass die Justizreform, falls vollständig verabschiedet, die Punktzahl senken könnte.
Noch im April 2022 hatte Moody’s Israel angesichts seines Erfolgs bei der Überwindung der Covid-19-Krise und seiner beeindruckenden Haushaltsdisziplin einen »positiven« Rating-Ausblick erteilt. Diese Faktoren könnten jedoch nicht mehr ausreichen, um die Schwächung der Institutionen des Landes auszugleichen, heißt es in dem sechsseitigen Bericht.
Man erwarte zwar nicht, dass die Vorhaben in Jerusalem drastische kurzfristige Auswirkungen nach sich zögen, sondern eher weiterhin die Währungsvolatilität und wirtschaftliche Unsicherheit schüren und Investitionen beeinträchtigen würden. In der Zusammenfassung heißt es dann, dass »die langfristigen Folgen der Reform für Investitionen im Technologiesektor, der für Israels Wirtschaft von entscheidender Bedeutung ist, schwerwiegend sein könnten – und dies könnte die Wahrnehmung von Israels wirtschaftlicher Stärke seitens der Agentur verändern«.
Niedergang Immer mehr Unternehmer und Experten sorgen sich, der Niedergang der Wirtschaft könne bereits begonnen haben, und sie schaffen Fakten. Wie »Riskified«. Vor einigen Tagen kündigte das mit einer Milliarde Dollar an der New Yorker Börse gehandelte Fintech-Unternehmen an, Unternehmenskapital in Höhe von 500 Millionen US-Dollar aus Israel abzuziehen und statt dem Standort Israel ein Entwicklungszentrum in Lissabon zu fördern. Seinen 550 israelischen Mitarbeitern möchte Riskified sogar »Umzugsangebote« unterbreiten.
In einem Brief an die Mitarbeiter von Gründer Eido Gal hieß es: »Die verabschiedeten Gesetze können zum Abbau unseres unabhängigen Justizsystems führen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dies zu einem bedeutenden und anhaltenden wirtschaftlichen Abschwung in Israel führen. Noch wichtiger ist, dass sich Israel von einer Demokratie mit liberalen Werten in einen autoritäreren Staat verwandelt. Ich glaube, dass diese ›Reform‹ nur Schlechtes bringen wird.«
Die Abwanderung von Fachkräften ins Ausland ist für die Start-up-Nation die größte Bedrohung.
»Israel kann auf mehrere Milliarden Dollar verzichten, die Hightech-Unternehmen herausziehen, und ein schwacher Schekel hat sogar Vorteile für den Export«, analysiert das Wirtschaftsmagazin »Calcalist«. »Aber die Abwanderung von Entwicklungszentren und Fachkräften aus Israel ins Ausland sind die größten Bedrohungen, die Israels Wirtschaft langfristig schaden werden. Diese Maßnahmen können nicht rückgängig gemacht werden, denn der Umzug von Angestellten von Land zu Land ist eine so schwierige Aufgabe wie keine andere.«
Risikofaktor Auch andere, an der Wall Street gehandelte israelische Unternehmen berichten über die geplante Schwächung der Justiz als Risikofaktor. Dazu gehört das wohl wertvollste Unternehmen des Landes, »Mobileye«. »Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bedingungen in Israel und der Region können sich direkt auf unser Geschäft und unseren Betrieb auswirken«, so die Geschäftsführung in ihrem Jahresbericht. »Dazu gehören die Bemühungen zur Förderung einer Justizreform, deren endgültige Umrisse noch unbekannt sind.«
Und bereits zum zweiten Mal meldet sich eine Gruppe zu Wort, die sich aus mehreren Hundert israelischen Ökonomen zusammensetzt: »Seit wir unsere erste Petition veröffentlicht haben, mehren sich die Anzeichen dafür, dass sich der Schaden für die Wirtschaft stärker und schneller manifestieren könnte, als wir erwartet haben.«
In den vergangenen Wochen habe man die ersten Anzeichen einer Kapitalflucht ins Ausland gesehen, die die Bank of Israel dazu zwinge, die Zinsen weiterhin mit hohem Tempo anzuheben, so die Experten. Selbst wenn sich die Märkte kurzfristig stabilisieren, zeigten Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen Justiz- und Finanzinstitute geschwächt wurden, dass man mit langfristigen Schäden für das Wirtschaftswachstum und den Lebensstandard der Israelis rechnen müsse. »Es ist jedoch noch nicht zu spät, um den Zug anzuhalten.«