Es kam völlig unerwartet. Doch nachdem die erste Welle der Verwunderung abgeflacht ist, stellt sich Genugtuung ein. Der Sinneswandel von Richter Richard Goldstone, nachzulesen in der Washington Post, ist Balsam für die israelische Seele. Denn die einst vorgenommene Einschätzung, Israel habe im Gazakrieg gezielt palästinensische Zivilisten angegriffen, hat er korrigiert.
»Zwei Jahre danach zu dieser Einsicht zu kommen, ist spät«, meint der israelische Armee-Sprecher Arye Sharuz Shalicar, »aber auf jeden Fall besser als gar nicht«. Die Hamas bezeichnete Goldstones Worte indes als »äußerst merkwürdig«.
Nach dem jahrelangen Beschuss seiner Städte und Dörfer im Süden durch palästinensische Extremisten schlug Israel zum Jahreswechsel 2008/2009 zurück. Die Militäroffensive »Gegossenes Blei« gegen die Hamas im Gazastreifen dauerte etwa drei Wochen, es starben schätzungsweise um die 1.400 Menschen.
Im Anschluss an den Krieg legte der jüdische Jurist aus Südafrika als Vorsitzender einer UN-Untersuchungskommission dem Genfer Menschenrechtsrat einen Bericht vor, in dem er den beteiligten Parteien – Israel wie auch Hamas – Kriegsverbrechen vorwarf. Israel war geschockt und erzürnt. Die UN verurteilten den jüdischen Staat.
Aufklärungswillen Jetzt rätselt man in Israel, was Goldstone wohl zu dieser enormen Kehrtwende bewogen haben könnte. »Vor allem großer persönlicher Druck durch den Verlust von Freunden und Kontakten in seiner jüdischen Gemeinde«, munkelt die Tageszeitung Yedioth Ahronoth. Der Besuch einer Konferenz an der Stanford-Universität zum Goldstone-Bericht könnte ein Auslöser gewesen sein, erwägt Haaretz.
Professor Abraham Bell, der Israel in der Debatte vertrat, ist der Meinung, Goldstone habe zu diesem Zeitpunkt gefühlt, er müsse sich einfach besser erklären. Einhellig ist die Meinung, dass der Jurist mit dem Artikel Israels eigenen Aufklärungswillen bei Vorfällen innerhalb der Armee würdigen wollte.
»Der ursprüngliche Bericht hat einen enormen Schaden für Israel angerichtet«, macht IDF-Sprecher Shalicar deutlich. »Für jeden, der weiß, wie unsere Armee funktioniert, war er wie eine riesengroße Ohrfeige, weil er uns ungerechtfertigt verurteilt hat.« In seinem Artikel bestätigte Goldstone dies nun ebenfalls. »Das ist positiv«, so Shalicar, »doch unsere Soldaten, die an der Offensive beteiligt waren, haben viel gelitten, die ganze Welt hat auf sie herabgeschaut. Dieser Schaden ist einfach da.«
Durch den Artikel dürften jedoch die Chancen, israelische Politiker oder führende Armeeoffiziere wegen vermeintlicher Kriegsverbrechen vor internationale Gerichte zu zerren, wesentlich geschmälert sein. Die Reisewarnungen für verschiedene Offiziere sind bereits angepasst worden.
Währenddessen begrüßte auch das amerikanische State Department die Entwicklung. Ein Sprecher sagte: »Wir haben von Anfang an gesagt, wir sehen keine Beweise, dass Israel absichtlich Zivilisten beschossen oder sonstige Kriegsverbrechen begangen hat.« Jerusalem will nun eine umfassende Kampagne starten, damit der gesamte Bericht von den Vereinten Nationen ignoriert, also de facto in den politischen Papierkorb geworfen wird.
Richard Goldstone
Der UN-Sonderermittler schreibt am 1. April in der Washington Post: »Wenn ich gewusst hätte, was ich jetzt weiß, wäre der Goldstone-Bericht ein anderes Dokument gewesen.« Ausdrücklich erkennt er Israels Recht und Verpflichtung an, sich und seine Bürger gegen Angriffe zu verteidigen. Trotz eines Mangels an Kooperation mit den UN-Ermittlungen hätten umfangreiche Untersuchungen Israels ergeben, dass Zivilisten nicht als strategische Ziele galten. Israel habe vielmehr zahlreiche Richtlinien erlassen, um sie zu schützen. Hingegen habe die Hamas ihre Raketen absichtlich auf zivile Ziele abgefeuert. Er habe die Hoffnung gehegt, dass zumindest der Nachweis dieser »ernsthaften Kriegsverbrechen« die Hamas dazu bringen würde, ihre Attacken zu vermindern. Stattdessen seien seitdem weitere Hunderte Raketen auf den Süden abgefeuert worden. Zudem mag die Aufforderung an die Hamas, »sich selbst einer Unt- ersuchung zu unterziehen, ein irrtümliches Unternehmen gewesen sein.«