Muss die menschliche Evolutionsgeschichte umgeschrieben werden? Ein Kieferknochen, der in einer urzeitlichen Höhle im Carmelgebirge gefunden wurde, datiert die Entstehung des Menschen neu, meinen Wissenschaftler. Das Fossil ist das älteste des Homo sapiens, das jemals außerhalb Afrikas gefunden wurde. Ausgegraben wurde es bereits 2002, doch erst jetzt – nach 15 Jahren intensiver interdisziplinärer Forschung – ist klar, dass die Knochen 170.000 bis 200.000 Jahre alt sind.
»Das ändert das komplette Konzept der menschlichen Evolution«, erläutert Israel Herschkowitz von der Abteilung Anatomie und Anthropologie an der Tel-Aviv-Universität. Bislang nahm man an, dass die Wiege der Menschheit vor 160.000 bis 200.000 Jahren im heutigen Äthiopien lag. Außerhalb des afrikanischen Kontinents habe sich der Homo sapiens allerdings erst etwa vor 90.000 bis 120.000 Jahren bewegt.
Mischmasch Der neue Fund in der Misliya-Höhle, der im renommierten »Science Magazine« vorgestellt wurde, zeigt Erstaunliches. Für Herschkowitz ist klar: »Die komplette Historie der Menschheit muss damit mindestens 100.000 bis 200.000 Jahre zurückdatiert werden.« Außerdem verdeutliche der Kieferknochen die Annahme, dass die moderne Menschheit nicht separat entstand, sondern zeitgleich mit anderen hominiden Spezies wie den Neandertalern lebte und sich sogar paarte. »Die verschiedenen Gruppen haben lange Zeit interagiert.«
Herschkowitz ist überzeugt: »Unsere Art ist ein genetischer Mischmasch aus verschiedenen Hominiden.« Weitere archäologische Funde in der Höhle würden diese Theorie unterstützen. Die moderne menschliche Ansiedlung habe demzufolge bereits vor einer Viertelmillion Jahren stattgefunden. »So muss die biologische Geschichte der Menschheit auf rund eine halbe Million Jahre zurückdatiert werden.«
Mina Weinstein-Evron vom Archäologie-Institut der Universität Haifa hat ebenfalls an dem Projekt mitgeforscht. Und obwohl sich anhand des Restgebisses nicht bestimmen lässt, ob der Homo sapiens eine Frau oder ein Mann war, hat Weinstein-Evron für unseren Vorfahren einen Namen gefunden. Sie glaubt, es war eine Frau, und in Anlehnung an den Ort des spektakulären Fundes nennt die Professorin sie »Miss Liya«.