Eine Frau läuft weinend durch die Trümmer des Ukraine-Krieges, bittet um Hilfe. Ihre Tochter muss aus der Ferne vor dem Bildschirm dabei zusehen. Diesen Horror erlebte Tatiana Goldin, eine Israelin aus Aschdod.
Sie sah ihre Mutter Ludmila in der geschundenen Stadt Mariupol umherirren, nachdem ihr Haus von den Russen zerstört worden war. Am Dienstag konnten sich beide endlich wieder in die Arme nehmen, als Ludmila auf dem Ben-Gurion-Flughafen landete.
YOUTUBE Doch ihre Rettung dauerte Wochen. Die verstörenden Bilder, die von der Stadtverwaltung Aschdod auf Twitter geteilt wurden, zeigen die Frau, wie sie bereits Ende März verzweifelt darum bittet, aus der Kriegszone geholt zu werden. Tränenüberströmt erzählt ihre Tochter Tatiana, was sie empfand, als sie zufällig eines Morgens das Video auf YouTube sah: »Meine Mutter so zu sehen, um Hilfe schreiend, war unerträglich. Sie war immer eine starke Frau.«
Doch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Nachdem ein russischer Luftangriff das Haus von Ludmila zerstört hatte, hatte sie weder Essen noch Wasser oder Medikamente, die die 66-Jährige dringend benötigte.
Bürgermeister Yehiel Lasri versprach, alles ihm Mögliche zu tun, um Ludmila aus der Ukraine zu retten.
Ihre Tochter setzte sofort alle Hebel in Bewegung, um sie aus dem Kriegsgebiet zu retten. Goldin ist Angestellte der Gemeinde Aschdod. Bürgermeister Yehiel Lasri versprach ihr, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um ihrer Mutter zu helfen. Er hielt Wort.
»Die Stadtverwaltung von Aschdod hat sofort Maßnahmen ergriffen, um mit verschiedenen Organisationen zusammenzuarbeiten, damit Ludmila aus der Ukraine herausgeholt und nach Israel gebracht werden kann«, heißt es in einer Stellungnahme der Verwaltung. »Es gab Tage großer Anspannungen, als Ludmila Mariupol verließ. Es ging nur schleppend voran.«
UNKLARHEIT Zwischendurch wusste Goldin zwar, dass es ihrer Mutter gelungen sei, unter schwerem russischen Beschuss aus der Stadt zu fliehen, aber danach herrschte lange Zeit Unklarheit, ob sie noch am Leben sei. Es war eine sehr schwierige Zeit.
Und dann kam der ersehnte Tag auf dem Ben-Gurion-Flughafen, als sich Mutter und Tochter in die Arme fielen. »Wir können endlich erleichtert aufatmen und all den Stress, der so lange dauerte, loslassen«, erzählte Goldin in einem Bericht des Fernsehkanals zwölf.
Mariupol ist im vergangenen Monat nach einer verheerenden dreimonatigen Belagerung, die schätzungsweise 20.000 Tote forderte und die Stadt in Schutt und Asche legte, von russischen Streitkräften eingenommen worden. Zusammen mit dem Kiewer Vorort Butscha ist die Hafenstadt zu einem Symbol für die Zerstörung und das Leid des Krieges geworden.
»Wohin zurück? Es ist nichts mehr da. Sie hat nichts und niemanden dort.«
Tatiana goldin
Am Dienstagabend erzählten die beiden Frauen im Fernsehen, wie es ihnen jetzt geht. Ludmila sei überglücklich, in Israel mit ihrer Tochter und ihrem Enkel zusammensein zu können und die Gräuel des Krieges überlebt zu haben, übersetzte Goldin die Worte ihrer Mutter. Gleichzeitig stünde sie noch unter Schock, habe große Ängste und sei oft von Traurigkeit überwältigt.
Auf die Frage, ob Ludmila in die Ukraine zurückwolle, antwortete ihre Tochter: »Wohin zurück? Es ist nichts mehr da, sie hat nichts und niemanden dort.« Zum Glück sei sie jetzt in guten Händen, resümierte der Moderator. »Sie ist nicht nur in guten Händen«, sagte Tatiana Goldin bestimmt und nahm ihre Mutter fest in den Arm. »Sie ist auch in starken Händen. Und ich werde sie nie wieder loslassen.«