Schwierige Zeiten für einen Mann, der gerne auch als »Mr. Security« bezeichnet wird und dessen Wahlkämpfe sich immer wieder um das Thema Sicherheit drehten: Während eine Terrorwelle über Israel schwappt, gerät Premierminister Benjamin Netanjahu unter Druck, sowohl innerhalb der Regierung wie auch sicherheitspolitisch – denn die Lage scheint sich nicht zu beruhigen.
Bei seiner Rede zur Eröffnung der Wintersitzungsperiode der Knesset erinnerte Netanjahu daran, dass Israel schon mehrmals schwere Zeiten überstanden hat: »Wir haben vor der Staatsgründung Attacken erlebt und hinterher. Terror entsteht nicht durch Frustration, sondern aus dem Wunsch, uns zu zerstören.«
massnahmen Attacken wie die derzeitigen sind tatsächlich nicht völlig neu, doch schaffen sie stets aufs Neue eine Ausnahmesituation. Den Besuch in Berlin und damit die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen hat Netanjahu deshalb vergangene Woche abgesagt. Am Dienstag beschloss das Sicherheitskabinett verschiedene Maßnahmen, um den Terror in den Griff zu bekommen.
So wurden seit Mittwoch sechs zusätzliche Armeeeinheiten in Jerusalem mobilisiert. An den Eingängen zu arabischen Vierteln in der Hauptstadt werden Kontrollpunkte errichtet. Außerdem beschloss das Kabinett, IDF-Soldaten an Bus- und Bahnhaltestellen sowie in den Fahrzeugen selbst für Sicherheit sorgen zu lassen. Auch sollen die Häuser von Terroristen abgerissen und ihr Eigentum konfisziert werden, um künftige Attentäter abzuschrecken. Diese Maßnahmen werden auch von Oppositionsführer Isaac Herzog (Zionistische Union) unterstützt.
Ebenfalls am Mittwoch genehmigte der Verteidigungsausschuss der Knesset die Einberufung von 1400 Reservisten zur Verstärkung der Grenzpolizei. 8oo wurden bis Redaktionsschluss bereits einberufen.
Überstunden Israel, ein Land, in dem zahlreiche Kontrollen an Eingängen zu Bürogebäuden, Parkhäusern, Einkaufszentren und Straßenmärkten zum Alltag gehören, soll nun noch stärker geschützt werden. Um einem Personalmangel entgegenzutreten, hat Wirtschaftsminister Aryeh Deri von der Schas-Partei sogar erlaubt, Sicherheits- und Wachpersonal unter bestimmten Bedingungen bis zu 14 anstatt zwölf Stunden pro Schicht einzusetzen. Die Ausnahmeregelung soll für einen Monat gelten. Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat wie auch der Polizeichef von Aschdod, Noam Shekel, riefen Zivilisten dazu auf, Waffen bei sich zu tragen, um für den Notfall gerüstet zu sein und die Sicherheit zu erhöhen.
Gleichzeitig versucht Netanjahu, die Lage zu beruhigen: Ende vergangener Woche ordnete er seine Minister und die Abgeordneten der Knesset an, den Tempelberg nicht zu besuchen. Viele Muslime fürchten, dass die israelische Regierung versucht, den Status quo dort zu verändern. Jüdische Besucher, vor allem Politiker, werden als Provokation verstanden.
Die Reaktionen in der Knesset waren harsch. Von links ertönte Kritik, die Entscheidung komme zu spät: Isaac Herzog sagte laut Medienberichten, Netanjahu hätte Abgeordnete schon vor Monaten daran hindern sollen. Die arabischen Parlamentsmitglieder waren außer sich: Jamal Zahalka von der Vereinigten Liste schimpfte, Netanjahu habe kein Recht, Abgeordneten zu untersagen, einen heiligen Ort zu betreten. Und sogar aus dem eigenen Lager bekam Netanjahu Gegenwind. Vize-Außenministerin Tzipi Hotovely sagte laut Medienberichten: »Als gewählte Repräsentantin rufe ich so viele Bürger wie möglich dazu auf, den Tempelberg zu besuchen.«
Obama Und das ist nicht die einzige Kritik aus seiner Regierung, sogar aus der eigenen Partei, mit der Netanjahu derzeit zu kämpfen hat. Der Tourismusminister Yariv Levin, der Minister für Immigration, Zeev Elkin, und der Minister für Soziale Angelegenheiten, Haim Katz – alle drei Likud-Mitglieder – kamen vergangene Woche zu einer Protestveranstaltung vor Netanjahus Residenz in Jerusalem, organisiert von Siedlerorganisationen. Katz forderte in seiner Rede, mit härteren Strafen und mehr Baugenehmigungen gegen den Terror anzukämpfen.
Letzteres wäre auch im Sinne von Bildungsminister Naftali Bennett (Habait Hajehudi). Doch Netanjahu hat bereits angekündigt, derzeit keine Baugenehmigungen für Häuser im Westjordanland und in Ostjerusalem zu erteilen – auch, weil ein Treffen mit Obama bevorsteht, bei dem es um mehr militärische Unterstützung im Zuge der Atomverhandlungen mit dem Iran gehen soll. Und Netanjahu will den US-Präsidenten nicht mit neuem Siedlungsbau verärgern. Naftali Bennett hingegen schon.
koalition Wackelt also die Koalition? Netanjahu zumindest hat die Opposition bereits dazu aufgerufen, eine große Koalition zu bilden – was Herzog ablehnte. Eine Alternative wären Neuwahlen. Haaretz zitiert dazu aber eine Quelle aus der Koalition, die das für unwahrscheinlich hält: Selbst Bennett hätte verstanden, dass die derzeitige Konstellation die beste Alternative sei. Keiner habe ein Interesse, die Regierung zu unterminieren.
Dennoch stehen der Regierung, die mit 61 Sitzen nur eine äußerst knappe Mehrheit im Parlament hat, harte Zeiten bevor: Die Abgeordneten sind seit Montag nach einer langen Sommerpause zurück in der Knesset und befassen sich in den kommenden Wochen nicht nur mit der Terrorwelle, sondern auch mit weiteren umstrittenen Themen wie dem Verteidigungsetat und dem Erdgasgesetz.
Und für Netanjahu scheint sich in diesen Tagen noch eine weitere Gefahrenzone aufzutun: die Stimmung in der Bevölkerung. Haaretz zitierte Anfang der Woche eine neue Erhebung, laut der die Befragten zu 21 Prozent Avigdor Lieberman von Israel Beiteinu zutrauten, am besten mit der Sicherheitslage und der Terrorgefahr umzugehen. Knapp dahinter, mit 17 Prozent, landete Naftali Bennett. Premierminister Netanjahu – »Mr. Security« – schaffte es mit 15 Prozent nur auf Rang drei. Doch womöglich gelingt es dem Premier, mit den neuen Sicherheitsmaßnahmen das Ruder noch einmal herumzureißen.