Die israelische Regierung ist sich uneinig darüber, wie sie mit der zweiten Welle des Coronavirus umgehen soll. Seit Tagen steigen die Zahlen der Covid-19-Neuinfektionen stetig, in den vergangenen 24 Stunden wurden mehr als 1700 registriert.
Während die rechtskonservative Likud-Partei von Premier Benjamin Netanjahu strikte Maßnahmen und sogar einen weiteren nationalen Lockdown fordert, spricht sich der Koalitionspartner Blau-Weiß dagegen aus.
BESCHRÄNKUNGEN In einem angespannten Treffen im Büro des Ministerpräsidenten am Dienstag hatte der Leiter des nationalen Sicherheitsrates, Meir Ben-Shabbat, vorgeschlagen, eine neue Reihe von Beschränkungen für die Bevölkerung umzusetzen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
Dazu gehören die Schließung von Synagogen, Jeschiwas, öffentlichen Schwimmbädern, sämtlichen Sport- und Fitness-Studios, Sommerlager für Kinder und Jugendliche sowie Restaurants.
»Die Schritte, die wir implementieren, sind nicht dramatisch genug, um zu einem Rückgang der Zahlen zu führen.«
Gesundheitsminister Yuli Edelstein
Derzeit sind in Israel Sommerferien, und vor allem die vorzeitige Beendigung der Camps für Schulkinder, würde es für viele Arbeitnehmer unmöglich machen, ihre Jobs weiterhin auszuüben. Inmitten der Wirtschaftskrise sorgen sich mehr als die Hälfte der Israelis darum, wie sie ihr tägliches Leben bezahlen sollen und haben Zukunftsangst.
Verteidigungsminister und Vorsitzender der Zentrumspartei Blau-Weiß, Benny Gantz, sprach sich bei der Sitzung gegen die verschärften Bedingungen für die Israelis im öffentliche Leben aus. Zwar müsse die Regierung Maßnahmen ergreifen, er sehe jedoch derzeit keinen Grund für weitere Restriktionen.
RÜCKGANG Gesundheitsminister Yuli Edelstein (Likud) meinte jedoch, dass es dann keine andere Möglichkeit gebe, als einen vollen Lockdown zu erklären. »Ich gehörte zu jenen, die dagegen waren, doch ich habe die Dynamik untersucht. Die Vorschläge des Ministeriums werden immer weiter zurückgeschraubt, bis die Schritte, die wir implementieren, nicht dramatisch genug sind.« Auf diese Weise werde man keinen Rückgang bei den Fällen sehen.
»Wenn wir in drei Tagen keine Änderung bei den Zahlen sehen, müssen wir uns dorthin bewegen«, so Edelstein. »Ich schlage vor, dass wir beginnen, über einen totalen Lockdown zu sprechen.«
Das Kabinett stimmte überein, dieses Szenario am kommenden Sonntag in der Sitzung zum Wochenbeginn zu diskutieren. Netanjahu wolle Gantz bis dahin überzeugen, den Einschränkungen zuzustimmen, machte er klar. Ohne die Stimmen von Blau-Weiß kann das Kabinett keine Maßnahmen durchsetzen.
»Ein totaler Lockdown ist eine Waffe für ein Untergangsszenario.«
Clalit-Vorsitzender Ran Balicer
Zwei Gesundheitsexperten, die an dem Treffen teilnahmen, sprachen sich gegen einen Lockdown aus. Der Vorsitzende des Clalit Gesundheitsdienstes, Ran Balicer, gab zu bedenken, dass eine komplette Abriegelung des Landes, eine »Waffe für ein Untergangsszenario« sei, die man nicht für eine kurze Zeit einsetzen könne. »Es hat immense Auswirkungen, nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die öffentliche Gesundheit.«
ANARCHISTEN Der Chef des Ichilov-Krankenhauses in Tel Aviv, Ronni Gamzu, machte darüber hinaus deutlich, dass es keine Krise im Gesundheitssystem gebe. »Ich möchte Ihnen die Werkzeuge geben, mit der Coronakrise weise umzugehen, ohne dass jemand fälschlicherweise annimmt, dass wir Krankenhäuser kollabieren.« Die Anarchisten in den sozialen Medien sollten ihren Mund halten, wenn sie falsche Fakten verbreiten, so der Experte.
»Wir sorgen uns um unsere Freunde, die ihre Jobs verloren haben, um die Wirtschaft und die kaputten Geschäfte. Wir werden nicht die ersten sein, die nach einem Lockdown rufen.«