Die israelische Armee spricht Tacheles – doch viele ultraorthodoxe Rabbis wollen davon nichts hören. Religiöse Oberhäupter haben ihren Anhängern aufgetragen, die Post der IDF gänzlich zu ignorieren.
»Nur ein Dummkopf verschickt Einberufungsbescheide«, sagte eine hochrangige rabbinische Autorität am Mittwoch über Verteidigungsminister Yoav Gallant. »Jeder weiß, dass selbst ein einziger Tag beim Militär Zerstörung bedeutet. Wir führen Gottes Krieg«, so Rabbi Meir Zvi Bergman, Mitglied des Rates der Weisen der Partei Vereinigtes Tora-Judentum – die übrigens mit Gallant gemeinsam in einer Koalition in Jerusalem sitzt.
Zuvor hatte Gallant klargemacht, er würde keine Gesetzgebung unterstützen, die die Ultraorthodoxen pauschal vom Militärdienst befreit, wenn sie nicht breite Unterstützung in der Knesset hätte. Und dass es die in Zeiten des Krieges geben wird, ist so gut wie ausgeschlossen. Doch von Einheit will der Großteil der charedischen Rabbiner nichts wissen, wenn es um die Armee für die jungen Männer ihrer Gemeinschaft geht.
Schützlinge sollen nicht zum Armee-Vorverfahren erscheinen
Ein anderer, Rabbiner Dov Landau, der die berühmte Slabodka-Jeschiwa in Bnei Brak leitet, wies seine Schützlinge im wehrpflichtigen Alter ohne Umschweife an, sich nicht zum Vorverfahren in den entsprechenden Armeestellen zu melden. Dieses Verfahren muss jeder israelische Jugendliche durchlaufen, bevor er oder sie mit 18 Jahren zum eigentlichen Dienst eingezogen wird.
Als Begründung schrieb Landau in einem offenen Brief, der auf der Titelseite der Donnerstagsausgabe der ultraorthodoxen Zeitung Yated Ne’eman veröffentlicht wurde, dass »die Gerichte der Tora-Welt den Krieg erklärt haben«. Er fügte hinzu: »Jahrelang gab es hier eine Übereinkunft mit den Militärbehörden, dass Jeschiwa- und Kollel-Studenten nicht eingezogen werden würden.«
Dass sich die Zeiten geändert haben, vor allem seit dem 7. Oktober, wollen die meisten der Charedim jedoch nicht akzeptieren. So drohte der scheidende sefardische Oberrabbiner Yitzhak Yosef bereits vor der gerichtlichen Entscheidung, dass seine Anhänger Israel verlassen würden, wenn sie eine Einberufung bekämen. Wohin, ließ Yosef allerdings offen.
»Jeder weiß, dass selbst ein einziger Tag beim Militär Zerstörung bedeutet. Wir führen Gottes Krieg.«
Rabbi Zvi bergman
Die Richter hatten geurteilt, dass die IDF junge charedische Männer einberufen müsse und dass die Regierung überhaupt keine Befugnis habe, Befreiungen zu erteilen. Infolgedessen dürften für Verweigerer keine Jeschiwa-Stipendien mehr gezahlt werde. Ein harter Schlag für die Gemeinde.
Doch die IDF braucht dringend Personal. Der Generalstab beschrieb die große Notwendigkeit, angesichts der Verluste seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober zusätzliche Brigaden aus Wehrpflichtigen zu bilden. Dazu gehören 681 Todesopfer und über 4.100 ins Krankenhaus eingelieferte Verwundete, wobei einige tausend weitere Soldaten an posttraumatischen Reaktionen wegen des Krieges leiden.
Und doch wird die Einberufung von ultraorthodoxen Männern voraussichtlich nur langsam voranschreiten. Seit die Richter ihr Urteil verkündeten, gibt es immer wieder Schätzungen über den Umfang der Einberufungsbescheide.
Doch jetzt berichteten israelische Medien, dass das Ziel in Gesprächen zwischen dem Verteidigungsminister, dem Stabschef und hochrangigen Mitgliedern der Personaldirektion festgelegt worden sei. Und es ist sehr bescheiden: Die IDF will zwischen diesem und dem nächsten Juli weitere 3000 charedische Soldaten einziehen, zusätzlich zu den 1800, die bereits vor dem Urteil eingeplant waren.
Derzeit sind etwa 66.000 charedische Männer im Wehrpflichtalter. Es dienen jährlich etwa 700 Soldaten aus strengreligiösen Gemeinden.
Lapid wirft Koalition »Heuchelei« vor
Premierminister Benjamin Netanjahu ist in seiner Koalition auf die Charedi-Partner angewiesen, die darin mit der sefardischen Schas-Partei und dem aschkenasischen Vereinten Tora-Judentum vertreten sind. In den Koalitionsvereinbarungen hatte sich der Premier verpflichtet, ein neues umfassendes Gesetz zu verabschieden, das die Befreiung strengreligiöser junger Männer festschreibt. Das alte war im März ausgelaufen.
Doch wie es aussieht, würde ein derartiger Gesetzesentwurf derzeit keine Mehrheit in der Knesset bekommen. Denn selbst Mitglieder der Regierungskoalition haben geäußert, es »schändlich« zu finden, dass die Charedim sich pauschal weigern, einen Teil der Last zu tragen.
Der eklatante Truppenmangel würde eine Ausweitung der Wehrpflicht und eine Verlängerung der Dienstzeit in der Reserve erforderlich machen. Das hieße noch mehr Last auf die, die bereits dienen. Doch dagegen sprach sich Verteidigungsminister Gallant, ein Mitglied von Netanjahus Likud, vehement aus.
Oppositionsführer Yair Lapid kritisierte den Aufruf von Rabbiner Landau noch am Donnerstag scharf. Der Koalition warf er zudem »Heuchelei« vor. Vor dem Ausbruch des Krieges hatten Minister aus verschiedenen Regierungsparteien Demonstranten gegen die sogenannte »Justizreform« vorgeworfen, sie würden die Sicherheit des Landes riskieren, als sie dazu aufforderten, nicht zum Reservedienst in der IDF zu erscheinen und sie als »Verräter« beschimpft.