Ein Skandal um sexuellen Missbrauch durch einen Rabbiner er-
schüttert Israels nationalreligiöse Kreise. Und eröffnet gleichzeitig eine Debatte über das Schweigen, das oft damit einhergeht. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Bewegung, Rabbiner Mordechai Elon, steht unter Verdacht, einige seiner Schüler unsittlich berührt und mit anderen eine sexuelle Beziehung gehabt zu haben. Elon ist berühmt für seine dynamische Ausstrahlung, leitete die Jeschiwa HaKotel, gab Torastunden im Fernsehen. Er selbst und ein Großteil seiner Anhänger weisen die Beschuldigungen als »bösartige Verleumdungen« zurück.
Im Fall von Elon, den seine Schüler nur Rabbi Motti nannten, gelangten die Vorwürfe erst jetzt durch eine Stellungnahme des Takana Forums an die Öffentlichkeit. Das Forum ist 2003 von religiösen Einrichtungen gegründet worden, um sich gegen sexuellen Missbrauch von Autoritäten innerhalb der religiösen Gemeinschaft einzusetzen. Mitglieder sind unter anderem Rabbi Aharon Lichtenstein und Rabbi Jehoschua Schapira, Rabbanit Jehudit Shilat sitzt dem Forum vor. Dem Rabbiner Elon würden »Taten vorgeworfen, die gegen die Werte von Heiligkeit und Moral verstoßen«, hieß es in der Erklärung von Takana.
Anschuldigungen Bereits vor Jahren soll der geistige Lehrer Elon durch sexuelle Handlungen mit Schutzbefohlenen aufgefallen sein. Ein ehemaliger Student berichtet, dass er bei einem Beratungsgespräch mit ihm vor etwa zehn Jahren seine Hose und Unterhose ausziehen sollte und dieser ihn dann im Intimbereich berührte. Der junge Mann sei verstört gewesen, habe sich aber nicht an die Behörden gewandt, sagte er. Als Takana die ersten Vorfälle von sexueller Ausbeutung zu Ohren kamen, »waren es die schlimmsten Anschuldigungen, die in keiner anderen Weise hätten interpretiert werden können«, so Mitglieder. Elon hat Zigtausende von Anhängern, gilt als besondere Persönlichkeit, charmant, klug und außergewöhnlich warmherzig. Für viele war er nicht nur Lehrer, sondern auch bester Freund und Vaterfigur.
Das Forum bat Elon nach eigenen Angaben bereits nach den ersten Vorwürfen, nicht mehr mit einem Mann allein zu sein und beriet über weitere Konsequenzen. Doch etwa ein Jahr darauf kamen neue Vorwürfe auf, »noch ernster als die vorherigen«. Takana beschloss, den Rabbiner von allen öffentlichen sowie Lehrämtern zu entbinden und weitere Restriktionen aufzuerlegen. »Es wurde alles getan, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, noch einmal jemandem etwas anzutun«, resümierte das Forum. Angeblich unterzeichnete Elon ein Papier der Übereinstimmung. Er legte seinen Vorsitz der Jeschiwa HaKotel nieder und zog in die abgeschiedene Stadt Migdal im Norden des Landes. »Aus gesundheitlichen Gründen«, lautete die offizielle Begründung. Zwar hatte sich Takana bereits 2006 an die Polizei gewandt, Generalstaatsanwalt Menachem Mazuz jedoch be-
schloss, dass der religiöse Zirkel die Sache unter sich ausmachen sollte, vor allem weil das angebliche Opfer keine Anzeige erstatten wollte. Die Öffentlichkeit wusste von nichts.
Beziehung Dass sich das Forum nun jedoch entschied, den Vorhang des Schweigens zu lüften, erklärt es mit der Furcht, »ansonsten die Öffentlichkeit nicht mehr vor weiterem Schaden bewahren zu können«. Angeblich habe Rabbi Elon eine langfristige Beziehung mit einem seiner Studenten, die eindeutig sexueller Natur sei und sich damit nicht an die Abmachungen gehalten. Nach Bekanntwerden der Affäre um den im ganzen Land berühmten Rabbiner wandten sich immer mehr einstige Schüler mit Beschwerden an Takana.
Ein ehemaliger Student und glühender Anhänger von Elon blickt auf seine Zeit zurück, als der Rabbiner ihn herzte und mit ihm mitten in der Nacht Toratexte studierte. Anschel Pfeffer schreibt in Haaretz: »Hätte man mich gefragt, bevor die Geschichte bekannt wurde, wie ich über das zehn Jahre dauernde Verhältnis denke, ich hätte zugegeben, dass es problematisch war. Meine Verbindung zu einem Menschen diesem Charisma erfüllte mich mit Energien, die meine eigene Identität fast auslöschten und mich auf Wege schickte, die ich im Nachhinein bereue. Charisma und Bewunderung haben eine dunkle Seite.« Das Problem existiere nicht nur in Jeschiwot, sondern habe es in der alten Kibbuzbewegung gegeben und sei noch immer existent in katholischen Schulen der ganzen Welt, meint Pfeffer. »Eine hohe Zahl von Fällen sexuellen Missbrauchs ist nur eine Folge dieser abgeschlossenen und intensiven Umgebungen. Als Lektion kann ich nur sagen: Nehmt euch in Acht vor Charisma – als wäre es Feuer.«
Justiz Mittlerweile prüfen die Behörden eine strafrechtliche Verfolgung Elons. Auch die Knesset beschäftigt sich nächste Woche in einer Anhörung mit dem Thema, was jedoch bereits vor dem Bekanntwerden der Vorwürfe anberaumt war. Der Journalist und Justizexperte Mosche Negbi sagte im Armeeradio, dass Rabbiner in Israel oft eine Art Immunität genießen würden. Daher gehe die Justiz Vorwürfen nicht entschieden genug nach. Neben der Debatte um sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen werden zudem immer mehr Stimmen laut, die sagen, dass Homosexualität innerhalb der religiösen Kreise nicht mehr totgeschwiegen werden darf, um solche Fälle von vornherein zu verhindern.
Der in Misskredit geratene Rabbiner bereitet währenddessen offenbar mit seinen Brüdern, dem ehemaligen Knessetmitglied Benjamin Elon und dem Richter Josef Elon, seine Verteidigung vor. Der Presse sagte er, dass nun, früher als gedacht, die ganze Wahrheit ans Licht kommen werde. Zahlreiche jugendliche Anhänger veranstalteten an der Jerusalemer Klagemauer einen Gottesdienst, um ihrem Idol zu zeigen: »Wir stehen trotz allem zu dir«.