Um 15 Uhr (israelische Zeit) werden die Türen des kargen Gerichtssaales geöffnet, und damit wird zum ersten Mal in der Geschichte des Landes einem amtierenden Ministerpräsidenten wegen des Vorwurfs krimineller Vergehen der Prozess gemacht. Für Regierungschef Benjamin Netanjahu wird dann Tag eins auf der Anklagebank im Gebäude des Jerusalemer Bezirksgerichtes an der Salah-al-Din-Straße beginnen. Ihm wird Korruption in drei Fällen vorgeworfen.
In allen drei Fällen ist er wegen Veruntreuung und Betrug angeklagt, in einem Fall zudem wegen des schwerer wiegenden Verdachts der Bestechlichkeit. Netanjahu streitet alle Vorwürfe ab. Die Richterin Rivka Friedman-Feldman wird dem Gericht vorsitzen. Sie brachte bereits den ehemaligen Premier Ehud Olmert hinter Gitter.
VERBÜNDETE Mehrere enge Verbündete aus Netanjahus Partei, dem Likud, kündigten am Morgen des Prozessbeginns an, dass sie den Regierungschef auf dem Weg ins Gericht begleiten wollen. Darunter seine Vertrauten, Transportministerin Miri Regev und ihr Kollege im Sicherheitsressort, Amir Ohana. Auch Tzachi Hanegbi sagte sein Kommen zu.
Besonders die angekündigte Teilnahme von Ohana, der als neu eingesetzter Sicherheitsminister die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden überwacht, wurde von vielen kritisiert. Oppositionsführer Yair Lapid (Jesch Atid) nannte das Vorhaben eine »nationale Schande« und betonte die Funktion von Ohanas Amt. »Dies ist ein echter Coup-Versuch«, schrieb er auf Twitter.
»Netanjahu führt uns noch in einen Bürgerkrieg, um von dem Prozess verschont zu werden«, sagte Oppositionsführer Yair Lapid.
»Netanjahus Aufwiegelungen und die seiner Leute gegen das Justizsystem sind falsch, gefährlich, gewalttätig und überschreiten jegliche Grenze«, führte Lapid aus. »Netanjahu führt uns noch in einen Bürgerkrieg, um von dem Prozess verschont zu werden.«
JUSTIZSYSTEM Andere Netanjahu-Unterstützer kritisierten lautstark das Gericht und das juristische Procedere. Der neue Knessetsprecher Yariv Levin vom Likud nannte den Prozessbeginn gegen Netanjahu »einen neuen Tiefpunkt im israelischen Justizsystem«.
Levin argumentiert, dass nicht nur der Premier persönlich vor Gericht steht, sondern es ein Prozess für die Demokratie und die Zukunft der Strafverfolgung sei. »Ich, wie Millionen von Israelis auch, stehe heute an der Seite des Ministerpräsidenten«, machte er klar.
Sein Parteikollege Miki Zohar unterstellte den Ermittlern der Polizei sogar, die Vorwürfe konstruiert zu haben. Viel Kritik richtete sich gegen Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, den Netanjahu einst persönlich eingesetzt hatte.
Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit und seine Familie erhalten seit geraumer Zeit Morddrohungen.
Der Likud-Minister für Cyber und digitale Angelegenheiten, David Amsalem, bezeichnete Mandelblit in der vergangenen Woche als »vermeintlichen Kriminellen«. Amsalem bezieht sich auf einen abgeschlossenen Fall, die sogenannte »Harpaz-Affäre«, in die Mandelblit und der damalige IDF-Chef, Gabi Ashkenazi, verwickelt waren. Die Details des Falls unterliegen einer Nachrichtensperre.
MORDDROHUNGEN Mandelblit erhält seit geraumer Zeit Morddrohungen gegen sich selbst und seine Familie. Ihm wurde unter anderem eine Fotomontage geschickt, die ihn in Nazi-Uniform zeigt. Der Generalstaatsanwalt erstattete Anzeige bei der Polizei.
Viele Netanjahu-Anhänger machen den Anwalt für den Prozess gegen den Regierungschef verantwortlich, denn er war es, der im November 2919 verkündete, dass der Premier in drei Fällen angeklagt wird. Der jetzige Justizminister Avi Nissenkorn (Blau-Weiß) rügte Amsalem scharf und erklärte, er habe vollstes Vertrauen in Mandelblit.
Der bekannte Strafverteidiger Avigdor Feldman gab sich im Armeeradio geschockt: »Ich hätte niemals geglaubt, dass ein Minister so etwas über einen Generalstaatsanwalt sagen würde. Alle Grenzen wurden überschritten. Hier geht es um mehr als einen langfristigen Schaden«, sagte Feldman.