Awet Kibdom sitzt in einem Büro im Herzen Tel Avivs und schaut konzentriert auf den Bildschirm seines Laptops. Der 36-jährige Eritreer löst geduldig Aufgaben in der Programmiersprache Python. Vor neun Jahren ist er aus seiner Heimat nach Israel geflohen. Nun nimmt er an einem zehnmonatigen »Coding Bootcamp« teil, als Teil der Initiative einer Freiwilligenorganisation von Afrikanern und Israelis. Ziel ist, gleichzeitig afrikanische Asylbewerber besser zu integrieren und den großen Fachkräftemangel in Israels Hightech-Branche zu bekämpfen.
Bis Kibdom einen besseren Job findet, muss der Vater zweier kleiner Kinder noch parallel zu dem Programmierkurs seine Arbeit an einer Fräsmaschine in der Hafenstadt Aschdod fortsetzen. »Ich bin oft müde, aber wenn man den großen Wunsch hat, sein Leben zu verbessern, dann merkt man das gar nicht«, sagt der freundlich lächelnde Mann.
Es gebe etliche Asylbewerber, die schon mit Universitätsabschluss aus ihrer Heimat gekommen sind.
Vermittelt hat den Kurs das Entwicklungszentrum für afrikanische Flüchtlinge (ARDC), das mithilfe von Spenden auch finanzielle Unterstützung leistet. Mentoren der Freiwilligenorganisation begleiten Asylbewerber wie Kibdom während der Ausbildung und vermitteln anschließend auch Jobs bei israelischen Start-ups. »Dass sie Flüchtlinge sind, sagt nichts über ihre Fähigkeiten aus, nur über ihre Situation«, betont der ARDC-Vorsitzende Ori Lahat. Es gebe nicht wenige Asylbewerber, die schon mit Universitätsabschluss aus ihrer Heimat gekommen seien.
Die Initiative habe mit Vorbereitungs- und ersten Trainingskursen zur Jahreswende begonnen, erzählt Lahat. Dabei habe es einige Anfangsschwierigkeiten gegeben. »Wir haben daraus viele Lehren gezogen und waren dann besser auf die nächste Runde vorbereitet.« Im Oktober wolle man mindestens zehn weitere afrikanische Asylbewerber in Bootcamps schicken.
»Es hilft ihnen beim sozialen Aufstieg«, sagt Lahat. Die Idee sei, »dass die Leute mit einer Umschulung eine bessere Arbeit finden«. Erfolgreiche Unternehmen wie Guesty und Lemonade hätten bereits großes Interesse gezeigt. »Unsere Vision ist, dass im Jahr mindestens 50 afrikanische Flüchtlinge an Bootcamps teilnehmen.«
Tausende von Afrikanern sind seit Beginn des Jahrtausends nach Israel geflohen. Sie wurden dort keinesfalls mit offenen Armen aufgenommen. Bis zum Bau eines Zauns an der Grenze zu Ägypten 2013 kamen nach offiziellen Angaben rund 60.000 Migranten aus Afrika. Heute hält sich nur noch die Hälfte von ihnen in dem Land am Mittelmeer auf. Israel betrachtet sie als illegale Einwanderer. Asylanträgen wird nur in extrem seltenen Fällen stattgegeben.
Lassen sich die Erfahrungen in Israel auch auf Deutschland übertragen?
Ein Abkommen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk, das auch eine Integration Tausender Afrikaner in Israel vorgesehen hatte, war im vergangenen Jahr geplatzt. Daher bleibt ihr Status sehr prekär, Arbeiten ist nur unter speziellen Auflagen erlaubt.
»Das Leben in Israel ist nicht leicht«, sagt Kibdoms Freund, der 28-jährige Tesfaalem Haile. Er sitzt in dem Programmierkurs neben ihm. Haile erzählt, er habe in Massawa, einer Hafenstadt in Eritrea, ein Jahr lang Marinebiologie studiert, dann sei er aus dem Land am Roten Meer geflohen, das als brutale Diktatur gilt.
Der junge Mann, der bei der Organisation Ärzte für Menschenrechte als Übersetzer arbeitet, träumt davon, nach Kanada zu gehen. Als mittelfristiges Ziel will er jedoch den Programmierkurs erfolgreich beenden - und sieht sich dabei als Vorkämpfer für andere Flüchtlinge. »Mein größter Traum ist, dass weitere Eritreer denselben Weg einschlagen und auch Programmieren lernen.«
Lassen sich die Erfahrungen in Israel auch auf Deutschland übertragen? Deutsche Betriebe bilden immer mehr Flüchtlinge aus. Gegenwärtig sind es nach einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) 16 Prozent der Unternehmen. Insgesamt seien derzeit rund 25 000 Geflüchtete in einer Ausbildung in einem IHK-Betrieb. Rechnet man das Handwerk dazu, seien es rund 44.000.
Als mittelfristiges Ziel will Tesfaalem Haile den Programmierkurs erfolgreich beenden - und sieht sich dabei als Vorkämpfer für andere Flüchtlinge.
Könnten auch im deutschen IT-Bereich mehr Flüchtlinge Anstellung finden? Der politische Ökonom Christian Thauer meint: »Ich denke, dass es generell sehr möglich und sehr wünschenswert wäre, Menschen, die ökonomisch einen schweren Stand in Deutschland haben, aufgrund fehlender Abschlüsse und Qualifikationen, Programmieren beizubringen.« Programmierer würden langfristig gute Jobs haben, »und die Wirtschaft braucht diesen Beruf in Massen«. Es sei zudem ein Beruf, der nicht immer die totale Integration in die deutsche Arbeitswelt erfordere - vor allem sprachlich.
»Deutschlands Wirtschaft wird sich in eine zunehmend digitalisierte Richtung entwickeln müssen«, sagt Thauer. »Hier gäbe es also tatsächlich die Chance, die Tatsache, dass Deutschland ein Magnet für Neuankömmlinge ist, produktiv zu nutzen.«