Sie sind jung, sie handeln meist alleine, und sie nutzen das Internet – nicht nur, um sich Inspiration zu holen, sondern auch, um ihre Taten vorher anzukündigen. »Einsame Wölfe« werden sie genannt – eine neue Generation von Terroristen, die die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen stellen. Auch in Europa. Jetzt, wo der Terror auch hier Einzug hält, blicken europäische Sicherheitsexperten nach Israel.
»In bestimmten Vierteln von Brüssel, München oder Paris sitzen potenzielle IS-Sympathisanten, die zwar keinen direkten Draht zu dieser Terrororganisation haben, sich aber von sozialen Medien beeinflussen lassen. Das ähnelt also dem, was wir in Israel seit zwei Jahren erleben«, erklärt der Cyberterrorismus-Experte Daniel Cohen vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien (INSS) in Tel Aviv.
Experten »Das ist eine Herausforderung«, sagte der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gilles de Kerchove, laut Medienberichten vergangene Woche auf einer Geheimdienstkonferenz in Tel Aviv. »Deswegen bin ich hier. Wir wissen, dass Israel zahlreiche Fähigkeiten im Cyberbereich entwickelt hat.«
Vor allem in den vergangenen Monaten hatten Israels Geheimdienste, die Armee und die Polizei mit diesen einsamen Wölfen zu kämpfen und haben dabei viel Erfahrung gesammelt, auf die die Europäer nun zurückgreifen könnten. »Israel hat verstanden, dass die Terroristen sehr jung sind und soziale Medien besonders intensiv nutzen«, erklärt Daniel Cohen. Von einer »Facebook-Intifada« war gar schon die Rede, weil viele der Täter die Plattform für Hetze und Terrorankündigungen nutzen. »Es gibt zahlreiche palästinensische Internetaccounts, die zum Terror anstacheln. Die Sicherheitsbehörden schauen also nach Hinweisen in den sozialen Netzwerken oder schalten bestimmte Webseiten ab«, so der Experte vom INSS.
Dabei hat sich in Israel in den vergangenen Jahren auch ein Zusammenspiel zwischen privaten Firmen und den öffentlichen Behörden entwickelt. »Firmen haben oft sehr fortschrittliche Technologien und stehen in enger Verbindung zu den aktuellen Entwicklungen, zu neuen Apps und sozialen Plattformen. Doch ihnen fehlt wiederum oft die Möglichkeit, große Mengen an Daten auszuwerten, wofür man zahlreiche Server benötigt«, erklärt Daniel Cohen.
Eine dieser Cyber-Intelligence-Firmen ist »Terrogence«: Das 50-Mann-Unternehmen arbeitet sowohl mit Firmen als auch mit staatlichen Behörden zusammen, nicht nur in Israel, sondern bereits in 20 Ländern weltweit, auch in Europa, wie der Geschäftsführer Shai Arbel erklärt. Sie haben Programme, Technologien und Methoden entwickelt, um Terroristen online auf die Spur zu kommen. Daraus ist auch eine Landkarte mit globalen Gefahrengegenden entstanden. Außerdem überprüfen sie für Firmen, zum Beispiel für Airlines, ob Angestellte ein Sicherheitsrisiko darstellen.
Terrogence ist ein typisches israelisches Unternehmen: »Viele unserer Mitarbeiter haben ihren Armeedienst in der Geheimdiensteinheit 8200 absolviert. Manche waren für einige Zeit beim israelischen Geheimdienst. Wir haben dort viel gelernt«, erklärt Geschäftsführer Shai Arbel. Immer wieder schöpfen Israelis aus ihrem Armeedienst Inspiration für ihre spätere Arbeit und entwickeln dieses Wissen weiter. Bis sie irgendwann so gut werden, dass sie wiederum den Behörden helfen können – auch im Ausland.
Wandel Denn die Geheimdienstarbeit konzentriere sich derzeit noch immer größtenteils auf die Arbeit von einzelnen Informanten (human intelligence) und auf die Informationen, die beispielsweise per Telefon oder E-Mail weitergegeben werden (signal intelligence). Nur 20 Prozent der Ressourcen würden derzeit für die Terrorabwehr im Netz genutzt. »Wir sind da, um dieses Problem zu lösen«, so Arbel. »Der Wandel hat in den Jahren 2008 bis 2010 begonnen. Damals war es für viele noch schwer vorstellbar, für diese neuen Aufgaben eine private Sicherheitsfirma zu beauftragen.« Heute bekommt Terrogence Konkurrenz von neuen Firmen, die das Potenzial erkannt haben. Gleichzeitig, so Arbel, werden mehr und mehr Personal und Ressourcen für die Terrorbekämpfung im Internet eingesetzt.
Das Wissen und die Technologien helfen allerdings nur wenig, wenn die Geheimdienste damit nichts anfangen dürfen – weil die rechtliche Lage es nicht zulässt. Und die ist von Land zu Land, auch innerhalb Europas, sehr unterschiedlich. Wie stark darf man in der Privatsphäre von Menschen herumstochern? Welche Daten darf man sammeln? »Regierungen müssen sich an die Situation anpassen. Das kann bedeuten, dass man für bestimmte Handlungen, die früher tabu waren, nun eine Erlaubnis benötigt. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, um darüber nachzudenken«, so Shai Arbel.
Deutschland ist in puncto Datenschutz besonders vorsichtig. Der Cyberterrorismus-Experte Daniel Cohen sieht daher auch andere Wege, um dem Terrorismus schon jetzt vorzubeugen: sogenannte »Counter Narrative«-Maßnahmen, also eine Art Gegenerzählung. Bei dieser Methode wird eine Gegeninitiative entwickelt – eine Alternative zum IS. Dies geht aber nicht von staatlicher Seite aus, sondern beispielsweise von einer NGO. »Da sitzt jemand allein in einem Flüchtlingsheim, ohne Eltern, ohne Identität, ohne Zukunft, und glaubt, seine einzige Möglichkeit ist nun, in den Dschihad zu ziehen. Dafür braucht es eine Alternative, die zeigt: So ist es nicht. Es ist nicht alles schwarz-weiß, du hast eine Zukunft, und wir helfen dir«, so Cohen.
Kampagne Für Deutschland hat er eine ganz konkrete Vorstellung, wie das ablaufen könnte: »Meine Idee ist, 20 Syrer zu identifizieren, die in einem Flüchtlingsheim in Deutschland leben und sehr online-affin sind. Mit ihnen kann man zusammenarbeiten, um eine Art Anführerschaft in den Heimen aufzubauen, ihnen die Möglichkeit geben, eine Kampagne zu starten. Sie kommen ja auch aus Syrien, sie wissen, worum es geht. Sie haben das Potenzial, die anderen zu überzeugen.«
Das hieße: IS und andere Terrororganisationen mit den eigenen, den stärksten Waffen zu schlagen – nicht mit Messern und Bomben, sondern mit Facebook, Twitter und anderen sozialen Netzwerken.