Der Sommer ist in Israel noch lange nicht vorbei. Bei Temperaturen um die 30 Grad strömen die Menschen an diesem willkommenen freien Tag mitten in der Woche nicht nur in die Wahllokale, sondern bevölkern auch die Straßencafés, Parks und Museen sowie die Strände entlang der Mittelmeerküste.
Gal Schechter spaziert am frühen Nachmittag in Tel Aviv mit ihren zwei Hunden entlang der Promenade. Was sie vorhat? »Ich treffe mich mit Freunden am Hundestrand.« Ob sie schon wählen war? »Nein, und werde ich auch nicht.«
POLITIKMÜDE Auf die Frage des Warums verdreht die Studentin aus Rischon Lezion ihre Augen – und macht klar: »Es interessiert mich nicht. Ich lebe mein Leben und denke nicht an Politik.« Denn die sei in Israel ausschließlich negativ.
»Ich will nur noch positive Vibes wählen und meine Energie nicht mit diesem Mist verplempern«, so Schechter. Spricht’s und marschiert hocherhobenen Hauptes mit Bello und Lumpi die Treppen zum Wasser herunter.
»Ich habe für den Likud gestimmt. Damit fühle ich mich am sichersten«, sagt der Angestellte Avi Meron.
Mosche Van Dyke meint, dass jede Wahl in Israel ungemein bedeutend sei. Es ginge hier schließlich immer um einschneidende Entscheidungen. »Wenn die Linken mehr als 61 Sitze haben, dann gibt es so etwas wie Oslo oder die Räumung von allen jüdischen Siedlungen, die außerhalb der großen Blöcke liegen. Dann haben wir auf einmal 50.000 oder mehr Menschen, die umgesiedelt werden.«
ÄNDERUNGEN Premier Benjamin Netanjahu indes sei von Natur aus durch und durch konservativ und wolle keine großen Änderungen, ist Mosche Van Dyke überzeugt. Sein Fazit: Die Linken würden Dinge mit ihrer hyperaktiven Art aufrütteln, die Rechten den Status Quo beibehalten.
Für welche Richtung er sich im Wahllokal in seiner Stadt Beit Schemesch entschieden hat, verrät der religiöse Patentanwalt, der aus New York stammt, nicht. »Ich verstehe die Argumente beider Seiten und bin ein offener Mensch.«
Michal Bitan aus Ramat Hascharon hat von Netanjahu die Nase gründlich voll. Deshalb wählt sie das Demokratische Lager aus Ehud Baraks Israel Demokratit und der Linkspartei Meretz. »Ich kann es wirklich nicht mehr ertragen. Netanjahu versprüht nur Negatives und spaltet das Land.«
»Netanjahu versprüht nur Negatives und spaltet das Land«, ist die alleinerziehende Mutter aus Ramat Hascharon überzeugt.
Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern sagt, dass sie noch nie so viel Hass der Menschen untereinander in ihrer Heimat gespürt hat. »Auf der Straße, im Supermarkt, in den Büros. Mit ihm als Vorbild muss man sich nicht wundern, wenn alle korrupt, rassistisch und bösartig werden. Ich mache mir ernsthaft Sorgen um Israel.« Ob sie noch Hoffnung auf einen Wandel hat? »Das werden wir erst morgen früh sehen. Aber wenn, dann nur ohne Netanjahu.«
DEMOKRATIE Er bezeichnet sich als unpolitischen Menschen. Wählen geht Avi Meron trotzdem. »Weil ich mich sonst schlecht fühlen würde, denn es gehört zu einem Leben in der Demokratie. Außerdem haben extra dafür frei bekommen«, so der Angestellte.
Nach dem Urnengang in Herzlija fuhr er mit seiner Freundin nach Tel Aviv, um über den Rothschild-Boulevard zu schlendern und in Cafés zu entspannen. »Die Hochburg der Linkswähler«, flüstert er und schmunzelt, während er auf einer Bank unter den dicken Akazien sitzt und ein Eis verspeist. »Aber ich habe für den Likud gestimmt. Damit fühle ich mich am sichersten. Sogar hier in Tel Aviv.«
»Es ist nicht nur ein demokratisches Recht, wählen zu gehen, sondern auch eine Pflicht. Wer die Freiheit dieses politischen Einflusses hat, darf sie nicht durch Ignoranz verstreichen lassen. Das bringe ich auch meinen Schülern bei«: Es sind klare Worte von Dikla Gat, einer Lehrerin, die an diesem Nachmittag im hippen Stadtviertel Florentin in Tel Aviv ihre Stimme abgibt. Für wen, mag sie nicht sagen. Nur so viel gibt die 32-Jährige preis: »Ich will unsere Demokratie schützen und einen Wandel für Israel.«