Es ist nichts Ungewöhnliches, dass sich Politiker zu Hause besuchen. Wenn es sich dabei allerdings um den Palästinenserpräsidenten und den israelischen Verteidigungsminister handelt, die Seite an Seite auf dem heimischen Sofa Platz nehmen, ist es schon etwas Besonderes, und die Nachrichten in aller Welt überschlagen sich.
So geschah es vor einigen Tagen. Der Präsident der Palästinenser, Mahmud Abbas, reiste von Ramallah nach Rosh Haayin, eine Kleinstadt östlich von Tel Aviv. 60 Kilometer entfernt, eigentlich eine Fahrt von rund einer Stunde. Gleichwohl könnte die Distanz kaum größer sein. Denn Ramallah, der Sitz der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), ist von Israel aus nicht leicht zu erreichen. Schon gar nicht, da jegliche Verhandlungen um eine Lösung des Nahostkonfliktes seit Jahren auf Eis liegen.
frieden Wer sich dieser Tage des Wortes »Frieden« bedient und gar mit der anderen Seite reden will, der wird im besten Fall als idealistischer Spinner abgetan, im schlimmsten als Verräter. So taten es Israelis wie Palästinenser, nachdem sich Abbas von Gantz verabschiedet hatte.
Der israelische Justizminister Gideon Saar von der Rechtspartei »Neue Hoffnung« nannte die Zusammenkunft beispielsweise »unnötig, aber auch nicht sehr bedeutungsvoll«. Parteikollegen von Abbas bezeichneten ihn als »Kollaborateur«. Tatsache jedoch ist, dass dies der erste formelle Besuch des palästinensischen Präsidenten in Israel seit mehr als einem Jahrzehnt war.
Gantz sieht in dem Treffen Vorteile für beide Seiten.
»Die Notwendigkeit, die Sicherheit Israels zu wahren, war der Hauptfokus meines Treffens mit Abbas, zusammen mit der Bekämpfung der Terrorgruppe Hamas«, argumentierte Gantz. Er zeigte sich von den Kritikern auf israelischer Seite enttäuscht und ließ wissen: »Hinter verschlossenen Türen hören sie sich ganz anders an.«
Der Verteidigungsminister ist sicher: »Es ist im Interesse der Palästinenser, Ruhe und eine gesunde Wirtschaft mit der Aussicht auf eine bessere Zukunft zu schaffen. Und das ist der Grund, warum ich mich weiterhin mit Abbas und anderen Vertretern in der Region treffen werde, mit denen der Diskurs unserer Stabilität, Sicherheit und unseren Interessen dient.«
Auch der Minister für zivile Angelegenheiten der PA, Hussein al-Sheikh, wischte die Kritik beiseite und nannte die Zusammenkunft einen »ernsthaften und mutigen Versuch, einen politischen Weg zu finden«. Es sei die letzte Chance vor der Explosion der Lage und dem Weg in eine Sackgasse.
Erklärung Gantz veröffentlichte eine Erklärung, dass er zugestimmt habe, 100 Millionen Schekel (28,5 Millionen Euro) als Vorschuss auf die Steuern zu zahlen, die Israel im Namen der PA erhebt. Hunderte von Genehmigungen für palästinensische Geschäftsleute sollen die Bewegungen zwischen Westjordanland und Israel erleichtern, VIP-Pässe werden für hochrangige Beamte der PA ausgestellt.
Darüber hinaus sollen rund 6000 Menschen ohne Rechtsstatus im Westjordanland und 3500 im Gazastreifen ein Aufenthaltsrecht erhalten. Die beiden Politiker diskutierten auch diplomatische Themen, gleichwohl werden palästinensische Quellen in israelischen Medien zitiert, dass »keine echten Fortschritte bei den Friedensgesprächen erwartet werden«. Man spreche nicht von einem Durchbruch, sondern von dem Bemühen, die Dinge in Bewegung zu bringen.
»Abbas fährt nicht von Ramallah ins Haus des Verteidigungsministers und ehemaligen Stabschefs der israelischen Armee, um ein paar VIP-Pässe und Millionen zu bekommen, die ohnehin palästinensisches Geld sind«, wird die Quelle zitiert.
zustimmung Der Präsident hatte seine Pläne mit Ägypten und Jordanien sowie Washington abgestimmt, die Biden-Administration hatte ihre Zustimmung ausgedrückt. Vertreter von Hamas und dem Islamischen Dschihad im Gazastreifen nannten den Besuch hingegen »einen Stich in den Rücken des palästinensischen Volkes«.
Abbas hatte seine Pläne mit Ägypten, Jordanien und den USA abgestimmt.
Die Feindseligkeit zwischen Abbas im Westjordanland und der Hamas in Gaza ist einer der Punkte, die Israel umtreiben. Davon ist auch der Leiter des Forums für Palästinensische Studien am Moshe-Dayan-Zentrum der Tel Aviver Universität, Michael Milstein, überzeugt.
Die finanzielle Hilfe für Ramallah sei besonders wichtig, denn die internationalen Spenden sind in den vergangenen zwei Jahren extrem zurückgegangen. »Es ist sowohl im Interesse der PA als auch der israelischen Regierung, die Lebensqualität für die Palästinenser zu verbessern.«
Das zeige sich unter anderem an der Weiterführung der Projekte im zivilen Bereich in Krisenzeiten, sogar während des Gaza-Krieges vom Mai 2021. Die immer wieder aufflammenden Anschlagsserien bezeichnet Milstein als »keine sehr große Herausforderung. Es ist ganz anders als etwa bei der Intifada vor 20 Jahren«.
Hamas Während der letzten militärischen Auseinandersetzung mit Israel sei die Macht der Hamas gewachsen, meint Milstein. »Und das ist gefährlich.« Allerdings wolle sich die jetzige Koalition in Jerusalem nicht mit den politischen Problemen auseinandersetzen, genauso wie dies bereits die vorherige Regierung vermieden hatte. Doch auf lange Sicht könne das keine Gleichung sein, die aufgeht.
Denn die Hamas könne dieses Vakuum ausnutzen und versuchen, die Macht, im Westjordanland zu übernehmen. Ein Horrorszenario für Ramallah und Jerusalem. Denn, so meint der Experte: »Beide Seiten haben im Moment lieber mit dem Teufel zu tun, den sie schon kennen.« Und wenn es sein muss, auch im heimischen Wohnzimmer.