Am 2. März fand im Weißen Haus in Washington eine hochkarätig besetzte Krisensitzung mit mehr als zwei Dutzend Teilnehmern statt. Thema: die Suche nach einem Impfstoff, der vor Corona schützt. Anwesend waren Vizepräsident Mike Pence, Gesundheitsminister Alex Azar und Anthony Fauci, der Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases. Im Raum waren zudem 24 prominente Vertreter von Tech- und Pharmafirmen.
Mit dabei war auch Stephane Bancel, der Chef von Moderna. Sein Chefmediziner, der gebürtige Israeli Tal Zaks, hatte bei den Versuchen zur Erforschung eines Corona-Impfstoffes bereits Fortschritte verzeichnet. Moderna konnte anlässlich des Treffens im Weißen Haus als einzige Firma darüber informieren, dass sie bei den Forschungen in einem fortgerückten Stadium sei. Sie habe bereits eine erste Version des Impfstoffs für klinische Versuche an die Regierungsbehörden gesandt.
erfolg Zwei Wochen später, am 17. März, vermeldete Moderna einen weiteren Erfolg: Als erstes Pharmaunternehmen könne es mit den klinischen Tests beginnen. Mitte November kam die nächste Erfolgsmeldung aus dem Haus Moderna.
Der unter Zaks’ Anleitung entwickelte Impfstoff zeige in einer Zwischenanalyse eine Effektivität von 94,5 Prozent, hieß es in einer Medienmitteilung. Dies hätten Tests an 30.000 Menschen in der sogenannten Phase III der klinischen Tests ergeben. Und: Bald schon werde Moderna eine Notfallzulassung bei der US-Arzneimittelagentur FDA beantragen.
Seine Alma Mater ehrte den Mediziner diese Woche mit dem Ben-Gurion-Preis.
Hinter dem Erfolg steht der Israeli Tal Zaks, der Chefmediziner von Moderna. Der 54-Jährige studierte Medizin an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva mit Spezialgebiet Onkologie. Seine Alma Mater hat ihn diese Woche für seine Erfolge bei Moderna mit dem Ben-Gurion-Preis geehrt, mit dem »Individuen ausgezeichnet werden, die signifikante Beiträge im Geist des ersten Premierministers Israels, David Ben Gurion, geleistet haben«.
TUMORFORSCHUNG Zaks lebt seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr in Israel. Nach seinen Studien zog es ihn in die USA, wo er sich der Krebsbekämpfung widmete. 1996 kam er als Post-Doktorand ans weltweit größte biomedizinische Forschungsinstitut, das National Institute of Health, das er in einem Interview einmal als »Mekka auf dem Gebiet der Tumorforschung« bezeichnete. Danach war er bei GlaxoSmith unter anderem für den Aufbau der Onkologiegruppe zuständig.
Vor zehn Jahren wurde er bei der französischen Pharmafirma Sanofi Chef der Onkologieabteilung in Boston, die sich jetzt ebenfalls am Wettlauf um einen Impfstoff gegen das Coronavirus beteiligt. Vor fünf Jahren trat er dann seinen jetzigen Job als Chefmediziner bei Moderna an, der ihn weltweit berühmt machen sollte.
Das Tragen von Masken und das Befolgen der Corona-Regeln bleiben auch nach der Impfung empfehlenswert.
Das 2010 gegründete Start-up, das heute mehr als 1200 Mitarbeiter beschäftigt, hat in den vergangenen Jahren Verluste von insgesamt 1,7 Milliarden Dollar eingefahren. Doch mit dem Impfstoff mRNA-1273 gegen Covid-19 scheint das Unternehmen einer profitablen Zukunft entgegenzugehen. Moderna wird an der Nasdaq-Börse, wo die Firma seit Dezember 2018 notiert ist, mit derzeit mehr als 40 Milliarden Dollar bewertet. Nach den jüngsten Erfolgsmeldungen hatten die Titel um knapp 15 Prozent zugelegt.
Jetzt ist Zaks, der neben seinen Forschungsarbeiten bei Moderna als außerordentlicher Professor Medizin an der University of Pennsylvania unterrichtet, in einem Wettlauf mit Pharmagiganten wie Pfizer und Astra-Zeneca. Beide melden ebenfalls Erfolge bei der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Corona.
METHODE Das geforderte Tempo scheint für den Israeli kein Problem zu sein. Als die Chinesen am 11. Januar die Sequenz von Sars-CoV-2 publiziert hatten, dauerte es nur zwei Tage, bis Moderna alle notwendigen Informationen hatte. »Am 13. Januar«, so Zaks in einem Interview, »begannen wir mit den Arbeiten an unserem Impfstoff.« Am 17. März war Moderna das erste Unternehmen, das klinische Tests an Menschen durchführte – »63 Tage, nachdem wir entschieden hatten, mit der genetischen Sequenz zu arbeiten«, meinte Zaks Mitte April und sprach von einem »Weltrekord«.
Jetzt spekulieren Experten, dass der Impfstoff von Moderna noch vor Ende des Jahres eine erste Zulassung erhalten könnte. Dass nach relativ kurzer Zeit bereits belastbare Ergebnisse vorliegen, hat auch mit der Methode zu tun, die Moderna und Pfizer anwenden. Während bei herkömmlichen Impfstoffen das Antigen gespritzt wird, ist es bei mRNA die genetische Information. Sie hat das Ziel, dass der Körper das Antigen selbst bildet, wie Experten die neue Technik auf den Punkt bringen.
Das habe mehrere Vorteile, so Zaks. Man benötige nur digitale Informationen, die man im Virus finde, was den Prozess beschleunige. So sei es möglich gewesen, statt nach Jahren bereits nach Wochen oder Monaten praktische Ergebnisse zu erhalten. Damit seien Kombinationen möglich, die in der traditionellen Medizin kaum vorstellbar sind.
Seine Faszination für die Medizin entdeckte Zaks in der israelischen Armee als Sanitäter.
Seine Faszination für die Medizin habe er in der israelischen Armee entdeckt, wo er als Sanitäter Dienst leistete, sagt Zaks in Interviews. Sein Vater war einige Jahre Präsident der israelischen Mathematikgesellschaft. Seine Mutter beschreibt er als »Ich tue alles für die Kids«-Typ. Vor der Corona-Krise reiste er zwei Mal im Jahr nach Israel, um seine 80-jährige Mutter zu besuchen, die in Raanana lebt.
VORTEIL Als Zaks erstmals vom neuen Virus hörte, war er zu Hause und ging die E-Mails seines Chefs durch. Dort stieß er auf eine Notiz aus dem »Wall Street Journal« über das neue Virus in China, von dem derzeit niemand wusste, was es damit auf sich habe. Doch die Ansage seines CEOs war klar: »Das ist vielleicht etwas, dessen wir uns schnell annehmen sollten«, schrieb Bancel damals. Der Rest könnte bald Geschichte sein.
Die Impfstoffe von Moderna – zusammen mit denjenigen von Biontec/Pfizer – werden laut der Europäischen Arzneimittel-Agentur in der zweiten Dezemberhälfte eine bedingte Marktzulassung bekommen – wenn alles planmäßig verläuft. Wobei Modernas Kandidat gegenüber demjenigen von Pfizer einen großen Vorteil hat. Pfizers Impfstoff muss bei minus 70 Grad gelagert werden, der von Moderna hingegen bloß bei minus 20 Grad. Wobei der Impfstoff keine Wunderwaffe sei, um die Pandemie zu beenden, warnt Moderna. Das Tragen von Masken und das Befolgen der Corona-Regeln blieben auch nach der Impfung empfehlenswert.