Pessach in Israel sind Mazzen und Haggada, Leil Haseder und Treffen der Großfamilien. Doch so bunt die Bevölkerung im jüdischen Staat ist, so verschieden sind auch die Traditionen der Menschen während der acht Tage andauernden Festwoche, die an den Auszug der Ahnen aus der ägyptischen Sklaverei erinnert.
Sigal Knei-Paz feiert in diesem Jahr ganz groß. Die Mutter von drei Töchtern hat in ihr Haus im Moschaw Mazor geladen. Rund 30 Leute werden kommen, die ganze Familie und Freunde aus den USA. Obwohl vorher viel Arbeit mit Vorbereitungen und Kochen ansteht, freut sie sich. »Ich mag den Sederabend sehr, er ist so festlich und außergewöhnlich.« An die Kaschrut hält sich die Familie nicht strikt. »Wir essen zwar während der acht Tage kein Brot, Pasta, Kuchen oder Ähnliches, aber wir suchen nicht jeden Krümel Chametz. Dafür bringen wir Blumen aus der Natur ins Haus, kaufen neue Kleider und feiern eine Art Erneuerung.«
Wichtiger als Details sei für die Sozialarbeiterin die tiefere Bedeutung des Pessachfestes. Dafür zelebriert sie eine modernere Version des Seders. »Wir lesen die komplette Haggada, aber fügen Dinge hinzu, die für uns wichtig sind. Das kann ein Lied über Freiheit sein oder eine Erklärung zu einer bestimmten Stelle. Für mich geht es darum, das Erbe der Vorfahren weiterzugeben und in die Gegenwart zu bringen.« Wie sie den nächsten Seder verbringen wird, weiß Sigal Knei-Paz auch schon. »Im kommenden Jahr werden wir in der Wüste feiern. Das wünsche ich mir schon eine ganze Zeit lang.« Freunde haben ihr von der besonders festlichen Atmosphäre inmitten der Einöde vorgeschwärmt. »Wir werden alle Weiß tragen, einen Tisch aufstellen, ihn mit allem decken, was zu Pessach gehört, und wie unsere Ahnen in der Natur sein.«
Sophie Mivasair freut sich auf ihr erstes Pessachfest in Israel. Die junge Frau aus Vancouver hat vor einem Monat Alija gemacht und kennt die Sederabende sonst nur von ihrer Familie in Nordamerika. »Und die waren immer ganz besonders«, erinnert sie sich schmunzelnd. Ihr Vater, Reformrabbiner der Jewish-Renewal-Bewegung in Kanada, leitete die Abende, »die sich praktisch durch die ganze Nacht zogen«. Als Teenager habe sie manchmal die Augen gerollt und meinte, das sei übertrieben, später jedoch sah sie die Abende als besonders wertvoll und als eine Reise an, die man gemeinsam unternimmt. »Meine Eltern bemühen sich, das Judentum persönlich und zeitgemäß zu gestalten. Beispielsweise erklärten sie, dass Juden in Ägypten Sklaven waren, und fragten die Gäste, was sie in der heutigen Zeit versklave. Oft kamen dabei total interessante Gespräche zustande.«
Gleichzeitig sei im Hause Mivasair alles strikt koscher gewesen. »Meine Mutter ist traditioneller als mein Vater. Also haben wir alles ausgetauscht, Geschirr, Besteck, und natürlich wurde jegliches Chametz verbannt und tagelang geputzt. Ich fand das sehr schön, weil es etwas Neues, Frisches hatte.« Dieses Jahr sitzt die 25-Jährige bei dem sefardischen Teil ihrer Familie am festlichen Sedertisch und ist gespannt. »Es ist völlig anders als bei uns zu Hause. Obwohl die Haggada komplett gelesen wird, geht es viel schneller. Vor allem denke ich, dass es lustig wird, weil eine riesige israelische Kinderschar herumtobt.«
Michaela Segal ist Bäckerin. Vor zwei Jahren eröffnete sie ihre Bäckerei »Michaela« in der Herzlstraße in Tel Aviv. Für sie ist Pessach vorrangig Urlaub. An allen anderen Feiertagen kann sie es sich nicht leisten, auch nur einen Tag zu schließen. »Vor Festen brummt das Geschäft, da arbeite ich praktisch doppelt so viel. Pessach sind die einzigen Ferien im ganzen Jahr.« Zwar könnte sie die Backstube geöffnet lassen und Produkte aus Mazzen anbieten, aber das sei unheimlich schwierig. »Zum einen ist es ein Wahnsinnsaufwand, jeden Krümel zu finden, alles für Pessach zu kaschern, und die Prüfungen des Rabbinats kosten eine Menge Geld. Zum anderen brauche ich wirklich eine Pause.«
Ins Ausland reisen will Segal aber nicht, denn sie lebt strikt koscher. »Ich habe das Gefühl, dass ich an Pessach in anderen Ländern gar nichts essen kann. Da macht das Reisen keinen Spaß.« Außerdem gehören die acht freien Tage vor allem ihrer Familie: der Mutter, den fünf Geschwistern sowie ihren sieben Nichten und Neffen. »Wir stammen aus Rumänien und feiern alle Feste zusammen.« Der Seder wird von der Schwester in Herzlija ausgerichtet, strikt koscher und mit dem traditionellen Pessach-Programm. »Und Mazzen essen wir natürlich, bis wir Bauchschmerzen bekommen.« Am letzten Abend kehrt Segal schon nach Sonnenuntergang zurück an ihren Ofen. »Dann backe ich pausenlos Teilchen, Brote und Burekas.«
Ohad Hasson ist Soldat des gemischten Kampfbataillons »Karakal«. Zum dritten Mal in Folge muss der junge Mann den Sederabend in der Armeebasis verbringen – passend zum Auszug der Juden aus der Wüste an der Grenze zu Ägypten. Und obwohl es auch in der Armee in der Sedernacht richtig festlich sei, wäre er lieber bei seiner Familie zu Hause in Petach Tikwa. Trotzdem meint er: »Sie geben sich hier wirklich viel Mühe, um es schön für uns zu machen. Das Essen ist viel besser als an normalen Tagen, es gibt sehr gutes Fleisch und tolle Nachspeisen.« Wie bei seiner Mutter sei es aber trotzdem nicht. »Einfach nichts ist so gut wie das Essen meiner Ima.«
Der 21-Jährige ist im Moment dort, »wo sonst niemand hinkommt«, wie er selbst sagt. Trotzdem brachte die Armee im letzten Jahr einen Rabbiner zu den Soldaten, um Leil Haseder in der Wüste gebührend zu feiern. Auch zu Hause würde seine sefardische Großfamilie bei den Zeremonien alles sehr genau nehmen. Ihm selbst sind Traditionen ebenso wichtig. »Pessach ist für mich das Fest der Feste, dazu gehört einfach jedes Detail: von der Haggada über die Mazzen bis hin zu jeder kleinen Zutat mit ihrer einzigartigen Bedeutung.«