Es könnte die perfekte Kulisse für ein Märchen oder eine ZDF-Heimatschnulze sein. Die Kirschbäume stehen in voller Blüte, die runden Hügel der Golanhöhen überzieht sattes Grün. In den Dörfern und Kibbuzim werden die Felder bestellt, Touristen bestaunen die Natur. Doch wenn sich die Menschen auf der einen Seite in ihre Betten legen, beginnt auf der anderen der Lärm. Gewehrsalven und Bombeneinschläge hallen durch die Nacht.
Der Golan ist in zwei Teile geteilt: einen israelischen und einen syrischen. Seit drei Jahren wütet der Bürgerkrieg in Syrien und hat aus dem Land einen Friedhof gemacht. Fast die Hälfte der Zivilbevölkerung ist zu Flüchtlingen geworden, ein Ende kaum abzusehen. Der Despot Baschar al-Assad will sich nun erneut zur Präsidentenwahl aufstellen lassen. Einen Gegenkandidaten gibt es nicht.
Dudi Morad lebt seit 30 Jahren im Kibbuz El Rom mit seiner Frau und drei Kindern im Teenageralter. 350 Menschen wohnen in der kleinen Kooperative am nördlichen Zipfel des Golans, kaum drei Kilometer von der Grenze entfernt. Morad ist verantwortlicher Tourismusmanager und kümmert sich darum, das Andenken an eine der traumatischsten Schlachten Israels in Erinnerung zu halten: die im Tal der Tränen während des Jom-Kippur-Kriegs 1973.
Im kibbuzeigenen Kino wird Touristengruppen aus dem In- und Ausland Oz 77 vorgeführt, eine authentische Reportage über die Kämpfe. »An manchen Tagen kommen zehn Busse«, sagt Morad nicht ohne Stolz.
Dunkel Heute fließen die Tränen jenseits des Zaunes. Von dort, wo das Denkmal für die gefallenen Soldaten Israels aufgestellt ist, hat man einen freien Blick auf die Orte auf der anderen Seite. Der jüngst von der Armee verstärkte Zaun liegt knapp 500 Meter entfernt. Morad zeigt in Richtung Osten. Jedes noch so kleine Dörfchen kennt er mit Namen. Er zeigt nach links: »Das ist Jubat Al Chascheb. Da ist niemand mehr, eine reine Geisterstadt. Nachts leuchtet da nicht ein einziges Licht. Es gibt nur Dunkel.«
Rechts daneben liegt Chan Arnabeh, ein Städtchen mit etwa 8000 Bewohnern. Man kann Häuserblocks aus der Ferne ausmachen, eine Moschee mit Minarett. Während Morad über die Gegend, die Rebellen, Al Qaida, Drusen und die Armee von Assad erzählt, knallt es plötzlich dreimal schnell hintereinander. Dann steigt aus einem der Häuser eine meterhohe Rauchsäule auf. »Da, das ist die Realität«, sagt der Israeli kopfschüttelnd. In den Dörfern hätten sich die Rebellen verschanzt, in Kuneitra die Männer von Assad. »Und die kämpfen fast pausenlos gegeneinander. Nachts erzittern unsere Fenster von den Einschlägen.«
Friedenszeichen Damaskus liegt 55 Kilometer von hier entfernt und wäre in einer Dreiviertelstunde zu erreichen. Ob er keine Sorge hat, dass die Unruhen über den Zaun schwappen? Morad reibt sich den Nasenrücken und denkt einen Moment nach. Dann sagt er: »Ich vertraue ganz auf unsere Armee. Die informiert uns ständig über die Lage und beschützt uns. Das weiß ich.« Doch manchmal ist dieser Krieg auch ihm zu nah. Wie vor einigen Tagen, als israelische Soldaten über einen in der Straße versteckten Sprengsatz fuhren und verletzt wurden, einer von ihnen schwer. »Ich habe die Explosion gehört – das war sehr verstörend.«
Auch wüssten sie natürlich, dass grausame Dinge im Nachbarland geschehen, täglich unschuldige Menschen sterben. Gemeinsam mit seinen Kindern hat Morad vor einigen Monaten ein paar Utensilien eingepackt und ein überdimensioniertes Friedenszeichen auf einem Hügel gebaut – genau gegenüber von Chan Arnabeh. »Eine Botschaft an die Menschen auf der anderen Seite: dass wir in Israel ihnen nichts als Frieden wünschen.«
»Doch was können wir sonst noch tun? Nichts!« Für den Kibbuz geht das Leben fast gänzlich seinen normalen Gang. »Denn«, sagt Morad, ohne mit der Wimper zu zucken, »wir leben in der sichersten Gegend des Landes. Schaut doch: Welche Natur, welche Ruhe, welcher Stolz!« Etwa 250 Meter vor dem Grenzzaun liegen die Felder, Weingärten und Obstplantagen von El Rom. Die Gegend ist mit ihrem sauren Boden und den weichen Hügeln wie geschaffen für den Obstanbau. Kirschen, Äpfel, Nektarinen, Pfirsiche, Blau- und Himbeeren, Trauben. »Das ist, was unseren Alltag bestimmt. Bald beginnt die Kirschernte, und wir haben nicht genug Wasser.« Der regenarme Winter, in dem lediglich ein Drittel des gewöhnlichen Niederschlags gefallen ist, sei ein riesengroßes Problem. »Wir müssen aus anderen Gegenden Wasser importieren. Das ist, was uns umtreibt und wirklich Kopfzerbrechen bereitet.«
idylle Zurück im Kibbuz wartet Erez Bushy, der für die Kinovorführungen von Oz 77 zuständig ist, auf eine Touristengruppe. Er ist überzeugt, hier sein persönliches Paradies gefunden zu haben. »Es ist so unglaublich ruhig«, beschreibt er und meint es nicht im Geringsten zynisch. Der in Israel geborene Vater von drei Kindern lebte 25 Jahre in den USA, kehrte dann in die alte Heimat zurück und eröffnete in Rehovot ein Restaurant. »Doch es war furchtbar. Im Zentrum steht immer alles unter Spannung, ist aggressiv. Ich fühlte mich wie auf einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch.«
Dann fand er El Rom. »Und hier war es einfach wunderschön und friedvoll.« Wenige Tage, nachdem Bushy mit seiner Frau und drei kleinen Kindern einzog, ging der Krieg in Syrien los. »Natürlich belastet uns die Situation dort drüben«, gibt er zu. »Die Kinder fragen, was los ist, und wir wissen, dass nur wenige Kilometer von hier Menschen in großer Not sind.« Er sei besorgt, dass im Golan eine Situation wie im Gazastreifen entstehe, mit ständigem Terror vor der Haustür. Dennoch kommt für ihn kein Umzug infrage. »Wir fühlen uns hier einfach wohl und haben das Gefühl, wirklich unser Stück Himmel gefunden zu haben.«
Der Kibbuz schläft an diesem Schabbat aus. In den meisten Häusern ist es still, die Menschen lassen es ruhig angehen. Hier und da hört man ein paar Töpfe und Pfannen klappern, irgendwo duftet es nach frisch gebackenem Kuchen. Einige Kinder sind schon aufgewacht und düsen mit ihren Fahrrädern über die Wege. »Der Krieg hat wenig mit uns zu tun«, meint Morad. »Natürlich hoffen wir, dass es nicht schlimmer wird. Doch das ist nicht die erste Sorge am Morgen. Wenn ich aufwache, schaue ich, wie das Wetter wird, und lese dann die Fußballergebnisse.« Es ist die perfekte Idylle an diesem sonnigen Tag – wenn man nicht hinter den Hügel schaut.