In Syrien ist dieser Tage alles ungewiss. Aus diesem Grund sorgt Israel vor. Zerstörte Hubschrauber und Kampfjets, ausgebrannte Marineschiffe, Waffenfabriken in Trümmern – tagelang bombardierten die israelische Luftwaffe und Marine militärische Einrichtungen des gestürzten Diktators von Damaskus, Baschar al-Assad. Denn Israel befürchtet, dass nach dem Zusammenbruch des Regimes die Waffen der ehemaligen syrischen Armee an feindliche Kräfte fallen könnten.
In einer Erklärung teilte die israelische Armee (IDF) mit, dass sie »in 48 Stunden über 350 Angriffe auf strategische Ziele in Syrien durchführte, damit sie nicht in die Hände terroristischer Elemente gelangen«. Eine breite Palette von Zielen sei getroffen worden, darunter Flugabwehrbatterien, Flugplätze der syrischen Luftwaffe und Dutzende von Waffenproduktionsstätten in Damaskus, Homs, Tartus, Latakia und Palmyra. Zahlreiche strategische Waffen seien neutralisiert.
»Jede Rakete war mit erheblichen Sprengladungen beladen, die eine Bedrohung für zivile und militärische Seeschiffe in der Region darstellten.« Die Luftwaffe habe auch mehrere Standorte für Chemiewaffen angegriffen. 70 bis 80 Prozent der strategischen militärischen Kapazitäten des ehemaligen Assad-Regimes seien zerstört, fasste die Armee zusammen.
Die israelischen Operationen in Syrien erfolgten nach einer Blitzoffensive der Rebellenkräfte, die Assad am Sonntag zu Fall brachten. Im Jahr 2011 hatte der Bürgerkrieg begonnen, der seit Jahren unter der Oberfläche brodelte. Assad war enger Verbündeter des iranischen Regimes und Teil der sogenannten »Achse des Widerstands« gegen Israel. Jahrelang wurde Syrien als Schleuse für iranische Waffen auf dem Weg zur Terrororganisation Hisbollah im Libanon genutzt.
Am Dienstag wandte sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu an die Nachbarn: »Wir wollen korrekte Beziehungen zum neuen Regime in Syrien. Aber wenn dieses Regime dem Iran erlaubt, sich wieder im Land zu etablieren, oder den Transfer iranischer oder anderer Waffen an die Hisbollah zulässt, oder uns angreift, werden wir energisch reagieren und einen hohen Preis von ihm fordern.«
Israel hat Pufferzone besetzt
Die Vereinten Nationen warfen Israel am Montag vor, das Entflechtungsabkommen mit Syrien aus dem Jahr 1974 verletzt zu haben, nachdem Jerusalem dem UN-Sicherheitsrat mitgeteilt hatte, es habe »begrenzte und vorübergehende Maßnahmen« in einem entmilitarisierten Streifen an der Grenze der beiden Länder auf syrischem Gebiet ergriffen, um etwaigen Bedrohungen entgegenzuwirken. Auch Katar, die Türkei und Ägypten verurteilten die Besetzung durch Israel. Großbritannien und die USA hingegen zeigten sich weitgehend unterstützend für die Sicherheitsbedenken Israels.
Gleichzeitig bestritt Israel Berichte, wonach seine Bodentruppen die Pufferzone überschritten hätten. »Berichte, dass IDF-Truppen vorrücken oder sich Damaskus nähern, sind völlig falsch«, schrieb Avichay Adraee, der arabischsprachige Sprecher der IDF, auf X. »IDF-Truppen sind innerhalb der Pufferzone und in Verteidigungspositionen nahe der Grenze anwesend, um die israelische Grenze zu schützen.«
Am Sonntag, nur kurz nach dem Fall des Diktators Assad, war Netanjahu in die Golanhöhen gereist. »Dies ist ein historischer Tag für den Nahen Osten«, kommentierte er mit Blick auf das Nachbarland. »Der Zusammenbruch des Assad-Regimes bietet große Chancen, birgt aber auch erhebliche Gefahren.« Der Sturz Assads sei die direkte Folge des israelischen Vorgehens gegen die Hisbollah und den Iran, die wichtigsten Unterstützer des Diktators. »Es löste eine Kettenreaktion bei all jenen aus, die sich von dieser Tyrannei befreien wollen.«
Eine mögliche Bedrohung sei durch das Ende des Entflechtungsabkommens entstanden. »Dieses Abkommen galt 50 Jahre lang. Doch in der vergangenen Nacht brach es zusammen, als die syrische Armee ihre Stellungen aufgab«, erklärte der Premier. Man werde die Ereignisse sehr aufmerksam verfolgen. Zur selben Zeit betonte er, dass »Israel allen Menschen jenseits unserer Grenze in Syrien eine Hand des Friedens ausstreckt: den Drusen, den Kurden, den Christen und Muslimen, die in Frieden mit Israel leben wollen.«
Durch die Ausschaltung der Hisbollah blieb das Assad-Regime ohne Kampftruppe zurück.
Das wünscht sich auch Hazem Alghabra. Der in Damaskus geborene Syrer ist Gründer und Präsident von Frontiers Consultants, einem Beratungsunternehmen, das Public-Relations- und Krisenmanagementlösungen mit Schwerpunkt auf Nahost und USA anbietet. Die Syrer müssten verstehen, dass »die Israelis keine Monster sind, die ihnen ihr Land wegnehmen wollen.«
Er kennt sich bestens aus mit den Beziehungen zwischen dem Westen und dem Nahen Osten. Vor der Gründung seines Unternehmens hatte der Politikexperte mehrere Positionen im US-Außenministerium inne, unter anderem war er leitender Berater für öffentliche Angelegenheiten in der Abteilung für Nahostangelegenheiten.
Alghabra ist völlig überzeugt, dass Israel eine entscheidende Rolle beim Zusammenbruch des syrischen Regimes gespielt habe. »Durch die Ausschaltung der Hisbollah und der iranischen Stellvertreter blieb das Regime ohne echte Kampftruppe vor Ort zurück. Keine Frage – Israel entwickelt sich immer mehr zu einer Supermacht im Nahen Osten.«
Die Normalisierung der Beziehungen ist möglich
Gleichzeitig seien die Entwicklungen in Syrien für Israel jetzt auch eine Chance. »Es ist nicht zu übersehen, dass sich die gesamte Region verändert. Die Normalisierung der Beziehungen zu den Vereinigten Arabischen Emiraten war fantastisch, ebenso zu Bahrain. Ein potenzieller Frieden mit Saudi-Arabien wäre auch sehr gut. Aber der Frieden mit Syrien wäre ein Finalspiel. Wenn man das erreichen könnte, wäre nichts mehr wie vorher«, ist er sicher. »Das syrische Volk sehnt sich nach Veränderung.«
Allerdings könnte sich die Lage auch als bedrohlich für Israel entpuppen. Vor wenigen Tagen wurden Hamas-Mitglieder neben Tausenden unschuldigen politischen Gefangenen aus den Kerkern um Damaskus entlassen. Und auch in den Golanhöhen gebe es Elemente, die sich nicht aus der Grenzregion zurückgezogen haben. »Deshalb hat sich die IDF sofort dort positioniert und ganz klar gezeigt, wie viel Macht Israel hat.«
Alghabra hofft, dass die Syrer verstehen, dass ein Frieden mit Israel viele Chancen biete. »Das allerdings wird seine Zeit dauern.« Syrien habe nicht viel Öl, aber eine gute Landwirtschaft. »Die Menschen sind erfahren darin, Lebensmittel zu produzieren, und könnten dadurch ihre Nation wieder aufbauen.« Und er schaut bereits in die Zukunft: »Israel könnte dafür die Bewässerung liefern, bei der es so fortschrittlich ist.« Man sollte sich der Probleme, die existieren, annehmen und dann kooperieren. »Es wäre ein großartiges Zusammenspiel.