Manchmal braucht es nur einen kleinen Klick für eine große Veränderung. Das Programm »Connected«, das Holocaust-Überlebende in Israel vor die Computerbildschirme bringt, will eines ihrer größten Probleme angehen: die Isolation. Eine Studie des Brookdale-Instituts im Auftrag der »Foundation for the Benefit of Holocaust Victims« fand heraus, dass sich fast die Hälfte der Überlebenden in Israel (46 Prozent) »sehr einsam« fühlt.
Die Stiftung, 1994 von Überlebenden selbst ins Leben gerufen, gibt an, dass noch 198.000 Menschen in Israel leben, die die Schoa überlebt haben. Etwa 50.000, also rund ein Viertel von ihnen, lebt unterhalb der Armutsgrenze. 78 Prozent leiden unter körperlichen oder seelischen Beschwerden. Das Durchschnittsalter ist 84 Jahre, jeden Tag sterben 35 von ihnen (Stand September 2015). Laut der Studie glaubt ein Großteil zudem, dass die Schoa in Vergessenheit gerät, wenn sie alle gestorben sind.
Die Stiftung ist heute die wichtigste Organisation in diesem Bereich. Sie hilft jedes Jahr Zehntausenden von Menschen durch Pflege in ihren Häusern, finanzielle Unterstützung, medizinische und juristische Beratung, Zahnarztbesuche, Brillen, Hausrenovierungen sowie die Vermittlung von freiwilligen Helfern.
Zuschüsse Die Armut der Überlebenden in Israel ist nach wie vor ein Thema, denn trotz der vermehrten Offenlegung von Zahlen und der Diskussionen in den vergangenen Jahren ist sie nicht behoben. Im Juni 2014 verabschiedete die Knesset nach monatelanger Debatte eine Änderung des Gesetzes für die Unterstützung von Schoa-Überlebenden. Der damalige Finanzminister Yair Lapid stellte Zuschüsse für Tausende von Betroffenen zur Verfügung. Jeder, der keine staatliche Hilfe erhielt, sollte dadurch mindestens rund 200 Euro monatlich aus dem Topf des nationalen Hilfsprogrammes erhalten.
Doch auch diese gut gemeinte Initiative konnte die Not nicht für alle lindern. Die mehreren Milliarden Schekel reichten nicht aus, um die Bedürfnisse der immer älter und kränker werdenden Bevölkerungsgruppe zu decken. Die Vorsitzende der Stiftung für die Hilfe für Holocaust-Überlebende und ehemalige Ministerin Limor Livnat gibt zu bedenken: »Während der Feiertage, wenn wir mit unseren Familien zusammensitzen, müssen wir uns an die Überlebenden erinnern, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Das ist grausam. Denn es bedeutet, dass diese Überlebenden nicht einmal ihr Alter in Würde erleben können.«
Neben der Armut sei die Einsamkeit das größte Problem, fand das Brookdale-Institut heraus. Es verglich die gesamte Gruppe der Überlebenden in Israel mit der Teilgruppe, die von der Stiftung Unterstützung erhält, und gibt an, dass die Mitglieder der letzteren kränker und in fast allen Bereichen eingeschränkter sind als andere. Viele von den Hilfeempfängern hätten große Probleme, das Haus zu verlassen und soziale Kontakte zu pflegen.
Rund 10.000 Schoa-Überlebende haben keinerlei Angehörige. »Doch sogar jene mit Familien leben oft noch immer im Schatten der Erinnerungen und den daraus resultierenden Schwierigkeiten«, weiß die Vorsitzende. Und obwohl Einsamkeit ein derart weitreichendes Problem mit oft physischen Auswirkungen ist, gibt es kein Budget vom Staat, um es zu bekämpfen. Deshalb will die Stiftung in diesem Bereich besonders helfen. »Denn«, wie Livnat betont, »Armut ist nicht die einzige Schwierigkeit. Die schlimmste Krankheit des Alters ist das Alleinsein. Deshalb hat sich unsere Organisation dieses Problem auf die Fahnen geschrieben.«
Know-how Die Stiftung setzt dafür derzeit mehr als 1800 Ehrenamtliche ein, die die Überlebenden regelmäßig besuchen, ihnen bei Erledigungen helfen, mit ihnen Spaziergänge machen und kulturelle Veranstaltungen besuchen oder einfach nur reden. Laut der Studie würden diese persönlichen Kontakte das Gefühl der Isolation bei den Schoa-Überlebenden wesentlich verringern.
Manche Freiwillige bringen den Überlebenden bei ihren Besuchen auch etwas mit: etwa das Know-how, einen Computer zu benutzen. Bei dem Programm »Connected« kommen zwei Helfer ins Haus und zeigen, wie man mit dem Internet umgeht. Viele sind Schüler oder Studenten, doch es gibt auch Senioren, Angestellte von Hightechfirmen und Polizisten, die teilnehmen. Dabei gehen die Helfer auf die Bedürfnisse der Überlebenden ein, zeigen ihnen etwa die Benutzung von Skype, um mit Angehörigen im Ausland zu kommunizieren, oder ein Schreibprogramm, wenn sie ihre Lebensgeschichte niederschreiben möchten.
»Auf diese Weise werden die Menschen verbunden – in vielerlei Hinsicht. Sie haben Zugang zum täglichen Geschehen in der Welt und eine besondere Verbindung zu ihrem ehrenamtlichen Helfer«, so die Stiftung über ihr Programm. Bislang haben bereits Hunderte von Menschen durch »Connected« Computer, Internetzugang und die Hilfe von Freiwilligen erhalten. Die Stiftung sucht nach weiteren Spendern, um mehr Überlebende ins Netz zu bringen. Die Kosten belaufen sich auf etwa 750 Euro (Computer plus Internetzugang für ein Jahr).
Chawa und Kona Mordechai freuen sich, jetzt »verbunden und online« zu sein. »Wir sind sehr zufrieden damit«, erzählt Chawa. »Jeden Dienstag kommen zwei nette junge Leute in unser Haus und bringen uns bei, wie man mit einem Computer umgeht. Mein Mann ist behindert, und ich bin allein mit ihm zu Hause. Also sind wir begeistert, wenn die Kinder kommen. Besonders glücklich macht mich, dass ich jetzt meine Familie in Amerika am Bildschirm sehen kann.«