Initiative

Nur mit Code in die Kita

Unzureichend gesichert: Kindergarten im orthodoxen Viertel Makor Baruch Foto: Ulrike Schleicher

Eine Seitenstraße in Makor Baruch, einem orthodoxen Viertel in Jerusalem, gleich hinter dem Busbahnhof: Vor einem Eisengitter steht eine Frau, klingelt, wartet, sagt »Schalom«, ein Summen ertönt, und sie drückt die Tür auf. Ein kleines Mädchen schießt aus der Eingangstür des Hauses. »Mama«, ruft sie freudestrahlend. Die Frau umarmt das Kind, hinter ihr bleibt das Tor offen, denn schon folgen andere Mütter und Väter, und gleich darauf wirbeln alle mit ihren Kindern im Eingangsbereich des Gebäudes herum.

Die Szene gehört zum Alltag in Jerusalem. Jeden Tag geben Eltern ihre Kinder in die Obhut einer Krippe, Vorschule oder eines Kindergartens. Von Letzteren allein existieren 2000 in der Stadt, 1000 davon sind jüdische Einrichtungen. Meist gibt es dort drei Gruppen mit mehr als 30 Kindern, die von je zwei Erzieherinnen betreut werden.

Es sind städtische Einrichtungen, die vor fremden Blicken geschützt hinter hohen Zäunen und Mauern liegen. Wer hinein will, braucht entweder eine Code-Nummer oder gibt sich über eine Gegensprechanlage zu erkennen. Ob dies ausreichenden Schutz bietet, wird in Israel schon lange diskutiert. Nach den jüngsten Terrorattacken sind Eltern jedoch besonders alarmiert.

bewaffnung »Ich habe einfach Angst um meine Kinder«, sagt Dena Scher, Mutter eines zweijährigen Sohnes, der in einer privaten Krippe untergebracht ist, und einer vierjährigen Tochter in einem Kindergarten. Ihrer Erfahrung nach sind es oft die Kinder, die den Türöffner betätigen – »einfach, weil die Erzieherinnen nicht überall sein können und in den Bring- und Abholzeiten alles drunter und drüber geht«. Auch die Zäune böten keinen Schutz: »Jeder einigermaßen sportliche Mann kann sie überwinden.«

Die Medienberaterin im Wirtschaftsministerium ist Mitglied des Elternforums »Mütter Jerusalems und der Region« mit rund 6000 Mitgliedern, das sich unter anderem mit Ernährungsfragen, Erziehung und Kinderkrankheiten auseinandersetzt, nach dem Attentat in der Synagoge in Har Nof jedoch unmittelbar aktiv geworden ist. Das Ziel des Forums: ein Gesetz, das den Schutz von Kindergärten durch bewaffnete Sicherheitskräfte vorschreibt.

Unterstützt wird die Initiative vom israelischen Elternverband. »Wir bekommen täglich Dutzende Anrufe besorgter Eltern«, sagt Verbandssprecherin Danit Greenboim. Die Situation sei absurd. So sei es zwar gesetzlich vorgeschrieben, dass jede Shoppingmall Sicherheitspersonal vorweisen muss, ausgerechnet für Kindergärten und Krippen jedoch existiere keine einheitliche Richtlinie. Theoretisch sollten Einrichtungen mit mehr als 150 Kindern geschützt werden, »praktisch aber haben die meisten weniger Kinder« – und daher keinen Schutz. Gleiches gilt für die Türöffner, die eigentlich alle mit Codes ausgestattet sein sollten. »Aber das prüft niemand nach«, sagt Michal Fishman-Rouah, Mitgründerin und Vorsitzende des Elternforums.

Verantwortung Hinzu kommt, dass die Polizei für Sicherheit zuständig ist, deren personelle und technische Ausstattung jedoch Angelegenheit der Stadtverwaltung ist. Anstatt zu handeln, schieben sich beide Institutionen nun die Verantwortung zu, bedauert Fishman-Rouah. Nicht einmal das Minimalziel sei erreicht. So hat die Stadt zu Beginn des Schuljahres beschlossen, 200 Sicherheitskräfte in Kindergärten zu stationieren, die sich in östlichen Wohnvierteln befinden. »Schon das ist nur zum Teil gelungen.« Sie verstehe, dass Sicherheit Geld koste, sagt die 34-Jährige, aber: »Das Leben unserer Kinder ist unbezahlbar.« Es sei bedauerlich, dass immer erst etwas passieren müsse, bevor gehandelt werde. Das habe die Terrorattacke auf die Synagoge gezeigt.

Um ihr Ziel zu erreichen, holen sich die Eltern lokale Politiker ins Boot, wie etwa Stadtrat Hanan Rubin und Paz Cohen, Vorsitzender des Elternbeirats in Jerusalem, sowie Abgeordnete der Knesset. Ein Treffen mit Erel Margalit von der Arbeitspartei noch am Tag des Attentats führte dazu, dass dieser zunächst einen Brief an den Ministerpräsidenten schrieb, in dem er ihn dazu aufforderte, Geld für die Sicherheit von Kindergärten zur Verfügung zu stellen. Zudem fand auf Margalits Initiative hin vergangene Woche ein Treffen von Mitgliedern des Ausschusses für Bildung und Schule statt, zu dem auch Angehörige aller relevanten Ministerien und der Stadt eingeladen waren.

»Har Nof gehört nicht zu den gefährdeten Wohngebieten in Jerusalem. Es ist ein Beispiel dafür, dass die gesamte Stadt zum Ziel von Terror geworden ist. Eine Lösung für den Schutz der Kinder muss schnell gefunden werden«, unterstreicht der 53-jährige Unternehmer. Das Wachpersonal müsse zudem gut ausgebildet sein, fordert er.

selbstschutz Aber auch die Eltern tun etwas. So hat Michal Fishman-Rouah inzwischen alle Einrichtungen nach ihren Sicherheitsstandards abgefragt: Wer hat einen Code, wer eine Gegensprechanlage, wer einen Alarmknopf? »Und in den Kindergärten versuchen wir, die Kinder davon abzuhalten, die Tür zu öffnen«, sagt sie und ist sich gleichzeitig bewusst, dass diese Regelung nur bedingt funktionieren wird.

Eine weitere Zwischenlösung sind private Wachdienste. »Aber die kann man sich nicht lange leisten«, so die Mutter von zwei Kindern. Manche der Eltern lassen ihre Kinder aus Angst auch einfach zu Hause. Und nachdem es seit vergangener Woche gesetzlich erleichtert worden ist, beantragen viele eine Waffe. So wie Michals Ehemann.

Eine Dauerlösung ist all das nicht. Sicherheit ist ein nationales Thema, besonders in diesen Zeiten. Das wissen die Eltern und hoffen, dass schnell reagiert wird. Aber es sei schwer, so lange untätig herumzusitzen und zu warten, sagt Dena Scher: »Ich engagiere mich auch deswegen, um meine Angst und Ohnmacht zu überwinden.«

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