Beit Haazmaut

Nüchtern und ohne Pomp

Schlicht und trotzdem würdevoll: David Ben Gurion verliest die Unabhängigkeitserklärung. Foto: ullstein bild

Prunkvoll sieht anders aus. Denn die Räumlichkeiten auf dem Tel Aviver Rothschild-Boulevard Nummer 16, in denen am 14. Mai 1948 um Punkt 16 Uhr eines der wohl wichtigsten Ereignisse in der jüdischen Geschichte der vergangenen 2000 Jahre seinen Lauf nahm, waren mehr als bescheiden.

Die Zeremonie sollte ebenfalls rasch über die Bühne gehen – immerhin gaben sich die 250 geladenen Gäste, darunter die Mitglieder des Volksrates, mit ihren Anzügen und Krawatten alle Mühe, dem Moment die angemessene Würde zu verleihen. Genau 33 Minuten, nachdem David Ben Gurion die »außerordentliche Sitzung« eröffnet hatte, war sie auch schon wieder vorbei.

Schließlich zählte der Text der Unabhängigkeitserklärung im Hebräischen gerade einmal 979 Wörter. Zum Vortragen brauchte Ben Gurion genau 16 Minuten. Dann folgte der Segen von Rabbiner Yehuda Leib Fishman, woraufhin Ben Gurion sowie die 24 Mitglieder des Staatsrats ihre Unterschrift unter das Dokument setzten. All das dauerte noch einmal 17 Minuten. Und schließlich sagte Ben Gurion recht lapidar nach insgesamt 33 Minuten: »Der Staat Israel ist gegründet. Die Versammlung ist beendet.«

Improvisation Ganz so reibungslos wie geplant verlief die Zeremonie ebenfalls nicht. Zum einen stritt man sich bis zuletzt über einzelne Worte des Textes. Dann war da noch Meir Vilner, Vertreter der kommunistischen Partei, der plötzlich erklärte: »Ich möchte erst noch wissen, was Stalin dazu sagt.« Arie Handler von Hapoel Hamisrachi, den religiösen Arbeiterzionisten, fauchte ihn an: »Wenn wir es heute nicht schaffen, wird es niemals einen Staat Israel geben.« Daraufhin gab Vilner Ruhe und unterzeichnete. Auch war Eile geboten, denn der Schabbat stand vor der Tür. Jede weitere Verzögerung hätte die Zeremonie gefährdet – und der Staat Israel wäre wegen des Ruhetages nicht ausgerufen worden.

Zum anderen musste der Ort, an dem der Staat Israel ausgerufen werden sollte, auf die Schnelle hergerichtet werden. Das Budget dafür war mit 200 Dollar denkbar knapp. Der Legende nach soll jemand die Teppiche für das Podium kostenlos zur Verfügung gestellt haben, und von einem anschließenden opulenten Buffet ist nichts überliefert Dass die Wahl bei dem Ort dann ausgerechnet auf Tel Aviv und das Gebäude am Rothschild-Boulevard fiel, sollte ebenfalls kein Zufall sein.

»Es waren symbolische Gründe, die Tel Aviv als Geburtsstätte des Judenstaates prädestinierten, wenngleich Jerusalem stets, und vor allem im traditionellen Judentum, die Stadt zionistischer Sehnsüchte war, was allein schon der alte Abschiedsspruch ›Nächstes Jahr in Jerusalem‹ zum Ausdruck bringt«, schreibt die Architekturhistorikerin Ita Heinze-Greenberg. »Als erste jüdische Stadt mit jüdischer Selbstverwaltung präfigurierte Tel Aviv den unabhängigen jüdischen Staat.« Zudem konnte aufgrund der militärischen Situation Jerusalem im Mai 1948 keine Option sein – schließlich stand die Stadt gerade unter der Belagerung durch die Araber.

Dizengoff Historie und Sicherheitsaspekte sprachen gleichfalls für das Gebäude auf dem Rothschild-Boulevard. Immerhin galt es als eines der ersten Häuser Tel Avivs überhaupt. Das Grundstück selbst tauchte schon 1909 unter der Nummer 43 im Grundbuch der Stadt auf. Sein Besitzer und Bewohner war niemand Geringeres als Meir Dizengoff, Tel Avivs legendärer erster Bürgermeister. Bereits 1930, sechs Jahre vor seinem Tod, hatte er es der Stadt überschrieben und darum gebeten, darin ein Kunstmuseum einzurichten.

Carl Rubin, Mitarbeiter des Architekten Erich Mendelsohn, gestaltete das Haus 1936 neu und gab ihm den modernen Touch, der für die als Internationaler Stil bekannte Architektursprache Tel Avivs so typisch ist.

Auch befand sich der Raum, in dem die Zeremonie mit 240 Gästen stattfand, unterhalb des Straßenniveaus, sodass im Falle eines Luftangriffs ein Minimum an Schutz gewährleistet schien. Aber weil das Gebäude eigentlich ein Kunstmuseum war, mussten einige Gemälde, die Frauen etwas spärlich bekleidet zeigten, weggeräumt werden.

Original Nach der Staatsgründung wurden die Räumlichkeiten wieder als Kunstmuseum genutzt, seit 1973 als Bibelmuseum. Erst 1978, anlässlich des 30. Geburtstags Israels, kam man auf die Idee, durch eine Ausstellung wieder einen Bezug zu den 33 Minuten, die die Welt bewegten, herzustellen.

2009 wurde dann das Beit-Haazmaut-Gesetz erlassen, das die Umwandlung in ein Nationalmuseum bestimmte. Das historische Erbe sollte bewahrt werden. Es folgten umfangreiche Renovierungsarbeiten, die das Gebäude genau so wiederherstellten, wie es 1948 ausgesehen hatte. Das Budget dafür dürfte deutlich weniger bescheiden gewesen sein als für die gesamte Zeremonie vom 14. Mai 1948.

Gazakrieg

Hunderttausende demonstrieren in Israel für einen Geisel-Deal

»Ihre Zeit läuft ab«, sagte die Verwandte einer Geisel in Tel Aviv

 07.09.2024

Nahost

CIA-Chef Burns: Gaza-Verhandlungen sollen weitergehen

Die Gespräche kommen seit Monaten nicht voran

 07.09.2024

Einspruch

Wer mordet, will keinen Deal

Philipp Peyman Engel erinnert daran, dass nicht die israelische Regierung, sondern die Hamas sechs israelische Geiseln umgebracht hat

von Philipp Peyman Engel  06.09.2024 Aktualisiert

Gazakrieg

Hamas veröffentlicht Propaganda-Video von getöteter Geisel

Die Aufzeichnung zeigt den 23-jährigen Hersh Goldberg-Polin vor seiner Ermordung

 06.09.2024

Meinung

Der Westen und die Palästinenser

Warum fließen weiter Milliarden an Hilfsgeldern, ohne dass sich etwas zum Besseren wendet, fragt sich unser Gastautor

von Jacques Abramowicz  06.09.2024

Medienbericht

Geheimdokument enthüllt, was die Hamas mit den Geiseln vorhat

Die Terroristen wollen auch die Öffentlichkeit täuschen, um an der Macht zu bleiben

 06.09.2024

Israel

Außenministerin Baerbock trifft Katz und Gallant

Die Grünen-Politikerin will über die Verhandlungen über einen Geiseldeal sprechen

 06.09.2024

Interview

»Wir kämpfen den gleichen Kampf«

Der Außen- und Sicherheitspolitiker Amit Halevi über den vereitelten Terroranschlag auf das israelische Generalkonsulat in München und die Parallelen zwischen den Islamisten in Gaza und Europa

von Detlef David Kauschke  05.09.2024

Kommentar

Hartes Herz

Unsere Israel-Korrespondentin weiß um die Gnadenlosigkeit der Hamas-Mörder und wundert sich über die Unbarmherzigkeit der Regierung gegenüber den Geiseln und deren Angehörigen

von Sabine Brandes  05.09.2024