Israel scheint keinen Weg aus der politischen Krise zu finden: Rund fünf Wochen nach der Parlamentswahl droht Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut mit einer Regierungsbildung zu scheitern. Aktuell hat er noch bis Mittwoch um Mitternacht Zeit - andernfalls müsste er Präsident Reuven Rivlin dann um eine Fristverlängerung bitten oder das Mandat zurückgeben.
Die Verhandlungen für eine große Koalition galten bereits weitgehend als gescheitert, nachdem das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des israelischen Ex-Militärchefs Benny Gantz Anfang Oktober Gespräche mit Netanjahus Likud-Partei abgesagt hatte.
Netanjahu, der am Montag 70 Jahre alt wird, hat mit dem Verlust der rechts-religiösen Mehrheit im Parlament und drohenden Anklagen in drei Korruptionsfällen zu kämpfen. Er weist alle Vorwürfe zurück und spricht von einer »Hexenjagd« auf ihn und seine Familie. Bereits nach der letzten Wahl im April war Netanjahu damit gescheitert, eine Koalition zu formen.
Die Verhandlungen für eine große Koalition galten bereits weitgehend als gescheitert.
Doch auch die Chancen seines Herausforderer Gantz, eine Regierung zu bilden, gelten als gering. Sollte Netanjahu das Mandat zurückgeben oder Rivlin eine Verlängerung ablehnen, könnte der Präsident Gantz den Auftrag zur Regierungsbildung geben. Rivlin hatte sich für eine große Koalition mit beiden Parteien als gleichwertige Partner ausgesprochen.
Bei der Parlamentswahl am 17. September war das Mitte-Bündnis Blau-Weiß von Gantz mit 33 Mandaten stärkste Kraft geworden. Netanjahus Likud kam nur auf 32 Mandate. Rivlin gab rund eine Woche später allerdings Netanjahu den Auftrag zur Regierungsbildung, weil dieser 55 Empfehlungen von Abgeordneten für das Amt des Ministerpräsidenten hatte - Gantz dagegen nur 54.
Weder das rechts-religiöse noch das Mitte-Links-Lager hat eine Mehrheit zur Regierungsbildung. Der ultrarechte Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman (Israel Beitenu) gab weder für Netanjahu noch für Gantz eine Empfehlung ab. Er strebt eine Regierung mit beiden Parteien an.
Rivlin hatte sich für eine große Koalition mit beiden Parteien als gleichwertige Partner ausgesprochen.
Netanjahu und Gantz hatten sich bereits in den vergangenen Wochen gegenseitig für die Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung verantwortlich gemacht. Der Likud hatte Blau-Weiß eine Blockadehaltung gegenüber einer Einheitsregierung mit paritätischer Aufteilung unter den Partnern vorgeworfen. Gantz hatte dagegen betont, seine Partei werde nicht in einer Regierung sitzen, »deren Vorsitzender sich einer schwerwiegenden Anklage stellen muss«.
Außerdem hatte Netanjahu, der bereits seit 2009 Ministerpräsident ist, direkt nach der Wahl einen Block mit den rechten und religiösen Parteien gebildet. Er besteht darauf, diese in ein Regierungsbündnis aufzunehmen. Gantz strebt jedoch eine säkulare große Koalition an.
Nach Einschätzung von Jonathan Rynhold, Politikprofessor an der Bar-Ilan-Universität, warten beide Seiten aktuell auf eine Entscheidung des Generalstaatsanwaltes in den drei Korruptionsfällen gegen Netanjahu. Dem Regierungschef werden Bestechlichkeit, Betrug und Untreue vorgeworfen. Die Entscheidung soll laut Rynhold bis Mitte Dezember vorliegen.
»Wenn die Vorwürfe gegen Netanjahu runtergestuft werden und er nicht länger für Bestechlichkeit angeklagt wird, dann könnte Netanjahu in einer sehr guten Position sein«, sagt der Politikexperte. »Betrug und Untreue werden nicht als schwerwiegend angesehen, weder in der Justiz, noch in der Gesellschaft.«
Rivlin könnte nach einem Scheitern Netanjahus bei der Regierungsbildung auch erklären, dass es keine Möglichkeit zur Regierungsbildung gibt.
Sollte Netanjahu allerdings wegen Bestechlichkeit angeklagt werden - »dann ist er unhaltbar, dann ist er erledigt«. In dem Fall könnte ein anderes Mitglied des Likud versuchen, eine Regierung zu bilden.
Rivlin könnte nach einem Scheitern Netanjahus bei der Regierungsbildung auch erklären, dass es keine Möglichkeit zur Regierungsbildung gibt. Dann bliebe laut dem Israelischen Demokratie-Institut jedem der 120 Parlamentarier drei Wochen Zeit, um eine Mehrheit von 61 Abgeordneten für eine Regierung zu suchen. Sonst würde sich die Knesset auflösen, und es käme erneut zu vorgezogenen Wahlen - den dritten innerhalb eines Jahres.