Die Israelis sind auf Schatzsuche. Täglich posten sie Karten und Wegbeschreibungen auf Facebook und Twitter, wo er gefunden werden könnte. Doch sie sind weder auf Münzen noch auf Juwelen aus, suchen keine wertvollen Geschmeide. Die Menschen im Land, in dem Milch und Honig fließen sollen, suchen das gelbe Gold, das sie morgens auf ihre Brötchen schmieren: Butter. Seit Monaten fehlt sie in den Regalen der Supermärkte. Warum – darüber wird gestritten.
Wer Glück und das nötige Kleingeld im Portemonnaie hat, findet hier und da einige Packungen im Supermarkt. Valio aus Finnland, Lurpak aus Dänemark, selten die irische Kerrygold. Doch die Butter aus dem Ausland kostet zwei- bis dreimal so viel wie die israelische. Von der, im silberfarbenen Papier mit rot gedecktem Häuschen und idyllisch grasenden Kühen im Logo, fehlt jede Spur. Und das, obwohl die Nachfrage an Butter in den vergangenen Jahren stetig stieg: 2015 wurden 4700 Tonnen verlangt, drei Jahre später 5100.
HINTERGRÜNDE Ziona Matan steht vor dem Milchregal und ist wütend. »Seit Monaten versuche ich, ohne Butter klarzukommen. Wenn ich einen Geburtstagskuchen backen muss, nehme ich die teure. Aber das ist doch nicht in Ordnung. Ich verstehe nicht, wieso man uns nicht sagt, was los ist.« Aus Mangel an offiziellen Erklärungen munkeln die Israelis in den sozialen Netzwerken über die Hintergründe. Die Mutter von drei Kindern meint, dass es sich für die Hersteller nicht mehr lohnt, Butter zu produzieren und die Herstellung deshalb komplett eingestellt wird. Das hat sie in einer WhatsApp-Gruppe gelesen. »Die Firmen wollen nur noch mehr Geld scheffeln. Wie es den Menschen damit geht, ist ihnen egal.«
Es gibt das Gerücht, dass die Produktion absichtlich eingestellt wurde, weil sie sich nicht lohne.
Dass es in Israel schon lange ein Problem mit dem Oligopol der Hersteller für Milchprodukte gibt, ist ein offenes Geheimnis. Der gesamte Markt in diesem Bereich liegt in den Händen von drei Produzenten: Tnuva, Tara und Strauss. Von denen stellen die ersten beiden Butter her. Eigentlich. Doch schon seit Monaten läuft die Butterherstellung langsam oder gar nicht.
Das Gerücht allerdings, dass der größte Hersteller, Tnuva, bereits 2018 absichtlich die Produktion einstellte, weil sich die Regierung weigerte, die Abgabepreise zu erhöhen, ist widerlegt.
Tatsächlich erhöhte Tnuva die Menge in dem Jahr um nahezu 20 Prozent, gibt das Landwirtschaftsministerium an. Allerdings schränkten sowohl Tnuva als auch Tara die Herstellung in der ersten Hälfte von 2019 extrem ein. »Zu wenig Profit«, lautet der Grund.
ALTERNATIVEN In einigen Supermärkten gibt es bereits Begrenzungen, wie viele Päckchen ein Kunde einpacken darf, damit nicht gehortet wird. Bäckereien stellen auf vegane Alternativen um oder erhöhen die Preise für Kuchen und andere süße Backwaren. Mani Cohen, Filialleiter im Supermarkt Bareket in Tel Aviv, zuckt mit den Schultern. »Anfangs haben wir die Lieferanten angerufen und gefragt, wo die Butter bleibt. Die leiteten uns an die Produzenten weiter. Von denen wurden wir nur vertröstet. Zuerst war der Sommer zu heiß, und die Kühe gaben nicht genug Milch, dann waren die Feiertage schuld. Jetzt antworten sie gar nicht mehr.« Manchmal komme ein kleines Paket von Tnuva an, das binnen Minuten aufgekauft ist. »Im Grunde genommen können wir momentan nur importierte Butter anbieten – oder gar keine.« Cohen hat keine Ahnung, wann und ob das Problem behoben wird.
Importierte Butter ist zwar erhältlich, ist aber um einiges teurer als einheimische.
Die Milchindustrie in Israel wird vom Staat kontrolliert und genauestens reguliert. Jeder Milchbauer erhält eine Quote, entsprechend der er produzieren darf. Die Mengen sind begrenzt, Überschüsse mit hohen Steuern versehen. Abgabepreise an die weiterverarbeitenden Betriebe sind ebenso festgesetzt wie die Preise der Großhändler bis zu dem Betrag, den der Kunde letztendlich im Supermarkt auf die Theke legen muss. Dazu gehört neben Milch, Sahne und einfachem Frischkäse auch die Butter. Die kostet pro 100 Gramm fast genau einen Euro (3,94 Schekel).
STEUERN Butter aus dem Ausland indes wird für durchschnittlich sechs bis sieben Schekel und mehr angeboten. Außerdem ist die Einfuhr extrem beschränkt und mit hohen Zöllen versehen. Anfang des Jahres erlaubte das Finanzministerium wegen des Mangels an einheimischem Fett 2800 Tonnen steuerbefreite Importe. Einzige Einschränkung: Die Butter hätte zum von der Regierung vorgegebenen Preis verkauft werden müssen. Das jedoch war für viele Importeure viel zu wenig, sodass sie auf den Deal verzichteten.
Schwierigkeiten mit der Butterproduktion gibt es in Israel nicht erst seit diesem Jahr. »Die Krise besteht bereits seit einigen Jahren und wird mindestens bis 2020 oder 2021 andauern«, schreibt das Wirtschaftsmagazin »Calcalist«. »Die Regierung tut nichts dagegen.« Eine Regierung existiere ja gar nicht, meinen andere und schreiben das Problem einer fehlenden Koalition in der Knesset zu. Als sich vor wenigen Wochen Hersteller mit Vertretern des Landwirtschaftsministeriums trafen, um höhere Quoten für die Produktion und Importe von Butter zu fordern, erhielten sie diese Antwort: »Die Regeln werden überarbeitet, wenn eine neue Regierung feststeht.«
Facebook-Gruppe »Es gibt seit einem halben Jahr keine Regierung«, argumentiert David Kadosch in einer Facebook-Gruppe zur Butterkrise. »Und es sieht nicht so aus, als ob wir bald eine bekämen. Wer glaubt, dass die Dinge trotzdem funktionieren, der irrt gewaltig.« Er meint, dass sich in Jerusalem niemand mehr für irgendetwas verantwortlich fühle, die Politik brachliege. »Und die Butterkrise ist nur ein Beispiel dafür.«