Michal Vinik

»Nicht alle Beziehungen sind ein Deal«

Die israelische Regisseurin über arrangierte Ehen, Frauen im Kino und schwul-lesbische Festivals

von Sharon Adler  29.05.2023 17:34 Uhr

»Die meisten Entscheidungen werden immer noch von Männern getroffen«: Michal Vinik Foto: Finnegan Koichi Godenschweger

Die israelische Regisseurin über arrangierte Ehen, Frauen im Kino und schwul-lesbische Festivals

von Sharon Adler  29.05.2023 17:34 Uhr

Frau Vinik, »Valeria is getting married« ist ein Spiel-, kein Dokumentarfilm zum Thema »arrangierte Ehen«. Für die ukrai­nischen Schwestern Valeria und Christina stellt diese Art von Ehe einen Ausweg aus prekären Lebensverhältnissen dar. Wie kamen Sie auf das Thema?
Ich bin über eine Annonce in der Zeitung auf dieses Thema gestoßen, hatte aber schon vorher über die Figur der Christina geschrieben, weil ich die Geschichte einer illegalen Einwanderin nach Israel erzählen wollte. Über die Annonce machte es bei mir Klick, und ich begann zu recherchieren. Als ich mir Dokumentarfilme ansah und die gesamte Gerichtsdiskussion in der Knesset las, stieß ich auf Mitschriften einer Diskussion über Brautwerbung. Ich war sehr an den Männern interessiert, insbesondere an der Zeugenaussage eines Mannes, dass dies »sein Geschäft« sei. Am Ende war klar, dass diese Art von Geschäft nicht illegal sein kann, weil es anderen Matchmakings zu ähnlich ist. Ich habe auch viele Chats von Männern gelesen, die auf der Suche nach einer Frau waren. Sie beklagten sich darüber, dass israelische Frauen sehr stark seien und sie ständig erniedrigen würden. Auf eine Weise hat mich dieses geringe Selbstbewusstsein sehr berührt. Ich fand es traurig zu lesen, dass es Männer gibt, die anscheinend keine normale Beziehung führen können.

Was hat Sie an dem Thema der arrangierten Ehe gereizt?
Es gibt viele Aspekte im Gleichgewicht von Angst und Liebe. Selbst aus der Generation meiner Mutter kenne ich Frauen, israelische Frauen, die mit israelischen Männern verheiratet waren und sich nicht scheiden ließen, weil sie allein ihre Kinder nicht hätten ernähren können. Das Konzept von finanziell unabhängigen Frauen ist ja relativ neu, also ist auch die ganze Sache mit der arrangierten Ehe vielleicht gar nicht so weit weg von uns.

Welche Rolle spielen in Israel arrangierte Ehen mit Frauen aus Osteuropa?
Das ist kein rein israelisches Phänomen, das gibt es genauso auch in den USA, in Deutschland und weltweit, und es betrifft nicht nur Frauen aus der Ukraine, sondern auch Frauen von den Philippinen und aus anderen Ländern. In Israel gibt es nicht viele dieser Ehen. In anderen Ländern ist das häufiger der Fall, aber ich habe dennoch eine kleine Anzahl von Paaren gefunden. Im Übrigen gehen 90 Prozent dieser Ehen schief, und die Frauen gehen zumeist in ihre Herkunftsländer zurück, während die Männer heartbroken zurückbleiben. Jedoch gibt es einige wenige Paare, die zusammenbleiben. Bei denen man denkt: Vielleicht ist es doch Liebe!

Hat sich Ihre Sicht auf Ehe und Beziehungen im Entstehungsprozess des Films oder nach der Produktion verändert?
Ja. Meine These war, dass jede Art von Beziehung eine Art von Vereinbarung darstellt, nicht nur die Ehe. Natürlich sind Gefühle und Emotionen Teil dieses Deals, aber das ist eben nicht alles. Vielleicht kann ich heute eine andere Option in Betracht ziehen. Dass nicht alle Beziehungen ein Deal sind.

Warum hat Eytan auf diesem Weg eine Frau gesucht? Offenbar war es ihm nicht wichtig, eine jüdische Frau zu heiraten?
Das stimmt, Eytan hält sich selbst für einen liberalen Mann, und er war allein und verzweifelt. Vor allem wollte er endlich heiraten und sagen können: »Das ist meine Frau.«

Sie zeigen Eytan als einen sehr zerbrechlichen Charakter, nicht etwa als einen Macho, der mal eben so eine Ehefrau kauft. Was war Ihnen daran wichtig?
Ich musste meine Figuren verteidigen, um zu zeigen, dass Beziehungen und die Ehe komplex sind und nicht alles schwarz und weiß ist. Sonst wäre es nicht interessant gewesen, diese Geschichte zu erzählen.

Die Ukrainerin Dasha Tvoronovich in der Rolle der Valeria und Lena Fraifeld, die Christina spielt, sind renommierte Schauspielerinnen. Unter welchen Bedingungen wurde gedreht?
Lena Fraifeld ist ein Star am Theater, und dies war das erste Filmprojekt, das sie gemacht hat. Die größte Herausforderung war, Dasha Tvoronovich zu casten und sie nach Israel zu bringen. Als ich deshalb nach Kiew fliegen wollte, waren die Grenzen wegen Covid geschlossen. Das war noch vor den Impfungen. Also haben wir das Casting über Zoom gemacht. Am Ende konnte sie nach Israel kommen, musste aber zwei Wochen in Quarantäne bleiben. Wir konnten nicht proben, und weil sie das Hotelzimmer nicht verlassen durfte, habe ich ihr für diese Zeit eine meiner Gitarren gegeben. Sie ist fast durchgedreht.

War es auch eine Herausforderung, den Film in drei Sprachen zu drehen, Russisch, Hebräisch und Englisch?
Im Gegenteil, es war fast eher wie eine Unterrichtsstunde in Schauspiel und Regieführung. Das war sehr interessant. Die Übersetzung war eine größere Herausforderung, weil im Film immer eine Menge Leute gleichzeitig sprechen.

Mit Ihrem Film »Blush« von 2015, der von der Liebe zwischen zwei jungen Frauen handelt, wurde zum ersten Mal in großem Umfang ein lesbischer Film in israelischen Kinos gezeigt. Haben Sie bald wieder einen queeren Film auf der Agenda?
Ich habe gerade eine Fernsehserie gedreht, in der es um eine lesbische Detektivin geht. Ich schneide sie gerade. Es hat noch keinen finalen Titel, aber es ist eine Detektivserie nach dem Buch »The Man Who Wanted to Know Everything« von Dror Mishani. Nachdem ich »Blush« gedreht hatte, wurde ich zu vielen schwul-lesbischen Filmfestivals weltweit eingeladen, wo fast alle Filme nur von Liebe und Sex handelten. Ich denke nicht, dass dies das einzige Thema sein sollte. Ich meine, da gibt es noch viel mehr, über das man sprechen könnte, wenn man queere Menschen zeigt. Ansonsten wäre das so, als wenn eine jüdische Person den ganzen Tag über Mazzeknödel sprechen würde.

Sie haben das »Women in Film and Television Israel Forum« mitgegründet, das sich für die Chancengleichheit von Frauen in der israelischen Filmbranche einsetzt. Sind Sie dem Ziel der Gleichberechtigung für Frauen seitdem näher gekommen?
Wir haben es geschafft, dass unter den Entscheidungsträgern in den Filmfonds jetzt auch Frauen sind. Bevor wir gestartet sind, war es so, dass wir in einen Raum kamen, in dem drei Männer unsere Drehbücher lasen und darüber entschieden, ob sie es finanzieren würden oder nicht. Es war, als würden wir zwei Tests ablegen, einen für das Drehbuch und den zweiten, indem wir unsere Frauenthemen erklären mussten. Wir wollten auch Frauen als Entscheidungs­trägerinnen.

Was sind die größten Probleme, vor denen Sie und Ihre Kolleginnen derzeit stehen?
Die Tatsache, dass die meisten Entscheidungen immer noch von Männern getroffen werden, ist ein globales Problem, das nicht nur die Filmindustrie betrifft.

Was ist für Sie das Wichtigste an einem Film?
Figuren zu beobachten und zu erschaffen, die nicht immer perfekt sind oder manchmal Dinge tun, die man selbst nicht tun würde. Wie zum Beispiel Bräute kaufen.

Mit der israelischen Filmemacherin sprach Sharon Adler. Der Film »Valeria is getting married« läuft ab dem 25. Mai im Kino.

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