Auch wenn der Zeitpunkt für viele unerwartet früh kommt: In den vergangenen Wochen hatten sich die Vorzeichen für Neuwahlen in Israel gemehrt. Denn von Regieren konnte keine Rede mehr sein. Nicht etwa, dass die Koalitionspartner über Grundlegendes stritten – sie redeten schon kaum mehr miteinander.
Was sich von Beginn an abgezeichnet hatte, wurde immer deutlicher: Zwischen den fünf Parteien der Mitte-Rechts-Koalition unter Führung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu lagen tiefe politische und ideologische Gräben. Das fing beim Armeedienst für Ultraorthodoxe an und endete nun vor wenigen Tagen mit dem heftig umstrittenen Gesetz über Israel als jüdischen Nationalstaat.
Gesichtsverlust Ein Gespräch in der Nacht zum Dienstag zwischen dem Premier und dem Chef seines größten Koalitionspartners, Finanzminister Yair Lapid von der Zukunftspartei, hätte eigentlich der Klärung dienen sollen. Aber es war nach fünf Minuten beendet. Netanjahu hatte Lapid eine Liste von Forderungen gestellt, die der Finanzminister nicht akzeptieren konnte, ohne sein Gesicht zu verlieren.
Lapid bezeichnete sie als »demütigend«. Unter anderem forderte Netanjahu Lapids Zustimmung zur Erhöhung des Verteidigungshaushaltes. Des Weiteren sollte sich der Finanzminister künftig jeglicher Kritik am Wohnungsbau in Ostjerusalem enthalten, er müsse dem Nationalstaatsgesetz zustimmen, und – aus Sicht Lapids sicherlich der Gipfel – er sollte sein wichtigstes Prestigeprojekt auf Eis legen: jungen Paaren beim Erwerb ihrer ersten Wohnimmobilie die Mehrwertsteuer komplett zu erlassen. Dies sei ein Bruch der Koalitionsvereinbarungen, hatte Lapid bereits vor Wochen gesagt und damals zum ersten Mal damit gedroht, die Regierungskoalition platzen zu lassen und in die Opposition zu wechseln.
Nach dem Gespräch beschuldigten sich beide gegenseitig, die alleinige Verantwortung für den Bruch der Koalition zu tragen. Lapid kritisierte Netanjahu, dieser handele ohne jede Rücksicht auf nationale Interessen. »Die Bedürfnisse der Öffentlichkeit stehen auf seiner Prioritätenliste an letzter Stelle. Er zwingt das Land zu unnötigen Neuwahlen und so zum Stillstand.« Der Premier seinerseits beklagte sich, seine Position werde von seinen eigenen Ministern untergraben. Auf diese Weise lasse sich ein Land nicht regieren: »Ich verlange Loyalität und keine Opposition.« Er sprach sogar von einem »Putsch«, den Lapid und Justizministerin Zipi Livni von der Hatnua-Partei geplant hätten.
Viel scheint er sich jedoch nicht mehr erwartet zu haben: Noch am Dienstagabend beantragte Netanjahu die Entlassung von Lapid und Livni. Gleichzeitig beantragte er auch die Auflösung der Knesset. Das israelische Parlament, das ohnehin auf Antrag der Opposition am Mittwoch über seine Selbstauflösung und damit über vorgezogene Neuwahlen beraten sollte, stimmte am Nachmittag über den Antrag ab (nach Redaktionsschluss).
Die vorgezogenen Neuwahlen sollen nun am 17. März stattfinden, reguläre Wahlen hätten erst im November 2017 angestanden. Das ohnehin angespannte Verhältnis in der Koalition verschärfte sich zuletzt in der Auseinandersetzung um das Gesetz über einen Nationalstaat. Dabei geht es um das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat. In dem von der rechten Likud-Partei Netanjahus erarbeiteten Entwurf wird Israel als jüdischer Nationalstaat definiert, in dem jüdische, religiöse Vorschriften als Inspiration für die Gesetzgebung festgeschrieben sind. Arabisch wird als offizielle Landessprache abgeschafft. Kritiker bemängeln, das Gesetz diskriminiere arabische Israelis.
Obwohl Netanjahu angekündigt hatte, im weiteren Gesetzgebungsverfahren einen abgeschwächten Entwurf vorzulegen, hatte Justizministerin Zipi Livni mit dem Bruch der Koalition gedroht, sollte er auf eine Parlamentsabstimmung über das Gesetz bestehen. »Der Ministerpräsident wird sich entscheiden müssen, ob er Minister seiner Regierung entlassen und seine Koalition zerbrechen lassen will«, hatte sie erklärt. »Wenn er deswegen Neuwahlen will – kein Problem.«
Daraufhin ließ der Premier die für diese Woche anberaumte Abstimmung erst einmal verschieben, bemühte sich aber derweil schon einmal um andere Koalitionspartner: die orthodoxen Parteien sowie die national-religiöse Partei »Jüdisches Haus« von Wirtschaftsminister Naftali Bennett. Er soll ihnen eine Regierungsbeteiligung zugesagt haben.
Sowohl Arie Deri von der Schas-Partei wie Moshe Gafni von der Vereinten Tora-Partei bezeichnen diese Gerüchte allerdings als haltlos: Erst nach den Wahlen werde sich zeigen, wer mit wem eine Koalition eingehe, sagte Deri. Die Reaktionen der anderen Parteien legen jedoch nahe, dass sie die Existenz dieser Absprachen als offenes Geheimnis betrachten. »Das Gespräch mit Lapid war nur noch eine Farce. Da hatte Netanjahu den Deal schon in der Tasche«, heißt es aus Kreisen der Hatnua-Partei.
Wie auch immer – für alle Parteien sind Wahlen zu diesem Zeitpunkt unpassend, weil alle mit Stimmeneinbußen rechnen müssen. Auch Netanjahu, der neuesten Umfragen vom Dienstagabend zufolge mit seiner Likud-Partei mit 22 Sitzen zwar noch die stärkste Partei in der Knesset stellen würde. Persönlich jedoch hat der Premier deutlich an Beliebtheit verloren. Nur noch 38 Prozent der Befragten waren mit seiner Leistung als Ministerpräsident zufrieden, wie die Zeitung Haaretz vor einer Woche berichtete. 47 Prozent sprachen sich für seinen Rücktritt aus.
Netanjahus größtes Plus ist: Ein starker Gegenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten ist nicht in Sicht.