Nach einem Monat weitgehenden Stillstands lässt Israels Regierung ab Anfang dieser Woche wieder etwas mehr Wirtschaftstätigkeit zu. Leicht, geschweige denn schnell, wird der Neustart allerdings nicht sein. Und auch, wenn nicht alle Sektoren und Branchen im gleichen Maße von der zur Epidemiebekämpfung verordneten ökonomischen Lähmung betroffen sind, schreiben Wirtschaftsexperten das Jahr 2020 ab.
Nach Schätzung der Bank of Israel wird die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorjahr um rund fünf Prozent schrumpfen. Nach Meinung des Internationalen Währungsfonds wird das Minus bei sechs Prozent liegen. Allerdings sind das lediglich vage Vermutungen. Wie tief die durch die Corona-Epidemie ausgelöste Krise sein und wie lange sie dauern wird, weiß nämlich niemand.
Noch zu Jahresbeginn gingen alle Prognosen von einer Fortsetzung des in den vergangenen Jahren verzeichneten kräftigen Wirtschaftswachstums aus. Mitte März sah sich die Regierung aber gezwungen, die meisten Bürger in ihre vier Wände zu verbannen, um die Gefahr eines Massensterbens durch Corona abzuwenden.
PREIS Dieses Ziel wurde auch – trotz einiger Versäumnisse – bisher erreicht. Allerdings war der wirtschaftliche Preis enorm. Die meisten Sektoren wurden lahmgelegt. Ausnahmen wurden vor allem für existenziell wichtige Industriezweige wie die Nahrungsmittel- und die Rüstungsindustrie gemacht. Andere Industriezweige durften wenigstens teilweise arbeiten.
Allerdings stehen ohnehin nur neun Prozent aller israelischen Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe in Lohn und Brot. So schnellte die Arbeitslosigkeit binnen weniger Tage auf den historischen Höchststand von 25 Prozent; die absolute Zahl der Arbeitslosen überschritt die psychologisch wichtige Marke von einer Million. Zudem stehen viele der rund 500.000 Selbstständigen und zahlreiche kleine Geschäftsinhaber ohne jegliches Einkommen da.
Ein von der Regierung verkündetes Hilfsprogramm konnte die Verzweifelten nur bedingt trösten. Das ist nicht weiter überraschend. Natürlich können staatliche Beihilfen nicht die reguläre Tätigkeit der gewerblichen Wirtschaft ausgleichen. Allerdings wurde der Zustand von Tag zu Tag unerträglicher.
LOCKERUNG Anfang dieser Woche sah sich die Regierung dann zu ersten Lockerungen des Wirtschaftslebens gezwungen. Zugleich warnte sie aber vor Verstößen gegen die Vorschriften zur sozialen Distanzierung. Solche Verstöße, so die düstere Prophezeiung, würden nämlich zu einem unkontrollierten Ausbruch von Covid-19 führen und eine erneute, noch umfassendere Schließung der Wirtschaft provozieren.
Deshalb fielen die Lockerungen erst einmal zaghaft aus. Bestimmte Geschäfte, etwa für Waren des Haushaltsbedarfs, dürfen unter strengen Auflagen öffnen. Die bei Israelis so beliebten Shopping Malls und das Dienstleistungsgewerbe inklusive der Restaurants, der Kinos, ja, sogar der nach einem Monat ungeduldig ersehnten Friseursalons bleiben aber auf unabsehbare Zeit geschlossen. Unter diesen Umständen lässt sich der Schaden für die Wirtschaft und damit auch für das soziale Gefüge nicht wirklich einschätzen.
Selbstständige und Geschäftsinhaber stehen ohne jegliches Einkommen da.
Freilich ist die Lockerung der Abschottungsregeln nur eine Seite der Medaille. Solange Freizeitaktivitäten eine akute Ansteckungsgefahr bedeuten, wird ein Großteil der Verbraucher auch ohne staatliche Verbote dem Dienstleistungsgewerbe fernbleiben. Einen wirklichen Wendepunkt würde wahrscheinlich erst eine wirksame – und verfügbare – Impfung gegen das Virus bringen. Bis dahin bleiben große Teile der Wirtschaft im Überlebensmodus und Hunderttausende von Familien von tiefer Armut – bis hin zum Nahrungsmittelmangel – bedroht.
HIGHTECH Die Krise geht nicht einmal am sonst erfolgsverwöhnten Hightech-Sektor vorbei. Nicht nur frischgebackene Start-ups, sondern auch etablierte Firmen haben Mitarbeiter entlassen oder zwangsbeurlaubt. Und was bisher eine Stärke der israelischen Hochtechnologie war, ist jetzt eine Achillesferse: die hohe Abhängigkeit von ausländischem Kapital.
Übernahmen durch ausländische Investoren oder Börsengänge an der New Yorker Technologiebörse NASDAQ sind eine der Voraussetzungen für den unaufhörlichen Boom israelischer Hightechfirmen. Selbst die laufenden Forschungs- und Entwicklungsausgaben wurden bisher zur Hälfte von Geldgebern aus Übersee finanziert. Jetzt freilich schrumpft der Geldbeutel ausländischer Investoren ebenso wie deren Bereitschaft zum Engagement jenseits der eigenen Landesgrenzen.
Es gibt aber wenigstens einen Lichtblick: Dank der Vielzahl israelischer Unternehmen, die Technologien zur Bekämpfung der Pandemie anbieten oder entwickeln, nimmt Israels Renommee als Technologiegroßmacht weiter zu. Die Datenbank der gemeinnützigen Hightech-Organisation »Start-up Nation Central« weist sage und schreibe 165 solcher Firmen aus.
EXISTENZ Unterm Strich müssen viele israelische Unternehmen indessen um ihre Existenz bangen; der Regierung wird sich bald die Frage stellen, welche von ihnen gerettet werden können – oder müssen. Letzteres gilt zweifellos für die Luftfahrtbranche. Die gegenwärtig totale Abschottung Israels vom internationalen Flugverkehr und die Aussicht auf eine auch 2021 anhaltende Tourismuskrise machen das eigenständige Überleben der drei israelischen Airlines – EL AL, Israir und Arkia – unwahrscheinlich.
Auf der anderen Seite will Israel nicht nur von ausländischen Fluggesellschafen abhängig sein, die beispielsweise im Kriegsfall ihre Israelflüge einstellen würden. So wird die Regierung, in welcher Form auch immer, den einheimischen Airlines sicher kräftig unter die Arme greifen.
Wie dringend der jüdische Staat eigene Airlines braucht, zeigt sich auch jetzt: Vor allem EL AL, die über die größte Langstreckenflotte verfügt, fliegt im Regierungsauftrag durch die Welt, um dringend benötigte Medizintechnik zum Einsatz gegen das Coronavirus ins Land zu bringen. Auf solche Kapazitäten kann und wird Israel nie verzichten.